10.1 Setzungen, Gedanken
- Jede „Realität“ wird bewusstseinsmässig von einer sozialen Auswahl „objektiver“ Setzungen bestimmt. Sie ist damit nur der Ausdruck einer gesteuerten Interessenlage.
Die Grenzen des Sagbaren liegen in den Grenzen von Struktursystemen, primär in denen ihrer Grammatik und verwendeten Symbole, d.h. ihrer „Sprache“.
- Eine sprachliche Denkstruktur ist das A priorische Gerüst jeder Kultur. Sie ist in ihren Ansätzen beliebig austauschbar, ein Akt auswechselbarer geistiger Mannigfaltigkeit auf der Grundlage sozialer Provenienzen. Das bedeutet, dass alle menschlichen Erkenntnisse in ihren Inhalten letztlich willkürlich sind.
Strukturen sind dem Menschen gemäße logische Gebilde zur Einordnung ausgewählter Informationen aus den Wahrnehmungen seines Bewusstseins. Sie entsprechen seinen Orientierungsvorgaben, stellen seine perspektivischen Hypothese-Rahmen dar und sind somit das Gerüst seines Denkens, das damit immer auf einem ideologischen Hintergrund baut.
- Strukturen geben dem menschlichen Denken seine Sicherheit, psychisch verstärken sie bei einer fehlenden Hinterfragung sein Geborgenheitsgefühl. D.h., seine verinnerlichten Vorgaben bestimmen seine „Wahrheit“. Es bedeutet, sich in vorgegebenen Gedankensystemen zu bewegen und dann „richtige“ (gewünschte) Assoziationen herzustellen.
- Eine Struktur ist der Orientierungsrahmen der menschlichen Ratio. Ihr Verlassen weckt in ihm ein Gefühl der Unsicherheit, der Angst, ihre Nutzung eine (perspektivische) Entlastung bei der Verarbeitung der auf ihn einwirkenden Flut von Umweltinformationen. Sie ist ein verinnerlichter Filter seiner Außenbeziehungen. Sie trennen das Subjekt von der Ganzheit seines betrachteten Objekts.
Dort wo der Mensch seine Strukturen, „seine“ Ordnungen nicht zu erkennen vermag, beginnt für ihn das „Chaos“. Seine psychische Sicherheit erwächst aus seinen eigenen Grenzen.
- Eine Struktur ist das perspektivische Korsett mit dessen Hilfe der Mensch seine Welt betrachtet. Sie schafft in ihm das Ordnungssystem aus dem heraus Informationen beachtet, geordnet und bewusstseinsmässig stabilisiert werden. Das „logische Denken“ fußt auf sozial vorgegebenen abstrakten Setzungen. Es orientiert sich an folgenden Kriterien:
- seinem Zeichensystem, der Einheitlichkeit, bzw. „Unschärfe“ seines sozialen Begriffsapparates,
- der inneren Widerspruchsfreiheit seiner Bezugsgrößen,
- der äußeren Widerspruchsfreiheit im Rahmen einer jeweiligen „Kultur“, d.h. der geistigen Gesamtstruktur einer bestimmten sozialen Gruppe,
- der subjektiven Orientierungsbedeutung der Gedanken,
- der Möglichkeit eines Nachvollzuges der Überlegungen, d.h. ihrer sozialen Überprüfbarkeit.
- Strukturen werden über Dimensionen erfasst. Die kantschen Kategorien sind solche. Dabei ist es weitgehend noch unklar, inwieweit diese Vorgaben im Menschen bereits biologisch angelegt sind (wahrscheinlich), in Ansätzen angelegt und dann sozial überhöht wurden oder inwieweit sie allein verinnerlichte soziale Vorgaben sind. Bei der Dimension der Zeit wissen wir, dass sie weitgehend eine soziale Vorgabe ist, die in einer spezifischen Grammatik ihren Ausdruck findet.
Strukturen ergeben sich aus Wiederholungen, Beziehungen, für den Menschen wahrscheinlich oft in der Form von Symmetrien. Sie ergeben sich damit als Ergebnis einer Aufreihung gleicher Elemente an einer Geraden, einer Aufreihung um einen festen Punkt und einer einfachen Wiederholung, d.h. Spiegelung. Solche Strukturelemente können neben- oder hintereinander (z.B. in der Zeit) gestaffelt werden.
- Das Strukturdenken ist letztlich ein Denken in bestimmten Schemata, deren Erfassung als Möglichkeit im Menschen vorgegeben ist, d.h. er erfasst seine Umwelt letztlich nur in mehr oder weniger abstrakten Bildern für deren Wahrnehmung, Ein- und Umstrukturierung der einzelne zunächst biologisch und dann sozial, hier besonders durch die Sprache, vorgeprägt ist.
Die Strukturvorstellungen des Menschen bestimmen seine Maschinen und deren Effektivität. Die Möglichkeit der Naturbeherrschung bestimmen rückwirkend wiederum die Strukturvorstellungen, d.h. das Denken der Menschen. Jede Struktur als solche ist zunächst abstrakt-steril. Zu ihrer geistigen Fruchtbarkeit gehören die Brüche, das Unnormale, Abweichende. Sie und nur sie sind der Boden des Kreativen.
Strukturen spiegeln nicht eine „Wahrheit“ wieder, sondern nur ein System mit dessen Hilfe der Mensch seine Umwelt beherrscht (sich an ihr orientiert), zu ihr Zugang hat, über das er sie durchdringt und in das er sie hineinzwingt.
- „Reine“ Strukturen sind objektunabhängig, frei, „kalt“, inhuman. Ihnen fehlt die Fülle eines „vollständigen“ Objektes, die Schönheit und das Hässliche, der „Reichtum“ mit dem sie sich in Beziehung zu bringen vermögen. Eine „reine“ Struktur repräsentiert das Fehlen aller Emotionen, die erst die „Welt“ zu einer menschlichen machen können.
Erst durch die subjektiven, gefühlsmäßigen Ergänzungen gewinnen die Objekte, nachdem der Mensch seinen ganzheitlichen Bezug zu ihnen verloren hat, über das Anschauliche auf einer beschränkten Ebene ihre Greifbarkeit wieder zurück.