Aufgaben der Philosophie

Aufgaben  der  Philosophie

Die Philosophie beschäftigt sich bewusst mit den existentiellen Grundfragen des Menschen. Ihre Antworten, die immer nur zeitabhängige Setzungen sind, bestimmen neben seinen Instinkten die Orientierungsvorgaben seines Bewusstseins. Sind ihre Antworten rational ausgerichtet, stellt sie eine Wissenschaft dar, werden sie vermehrt aus spirituellen Anmutungen gegeben, stehen sie eher den Religionen nahe. So gibt es verschiedenen Philosophentypen

  • die einen tauchen in das volle Leben ein,
  • andere schauen hoch zu den Sternen und
  • wieder andere sehen nur in sich.

Deren unterschiedliche Antworten ergeben sich aus den verschiedenen neuronalen Programmierungen der sie vertretenden Gehirne. Auf ihren verbreiteten Antworten beruhen unsere Kulturen und unsere Zivilisation. Ihre Setzungen bilden die Grundlagen all unserer Wissenschaften und werden auch die Zukunft der Menschheit bestimmen.

Ihren Anfang nahm die europäische Philosophie mit den Vorsokratikern, die, befruchtet durch die vielen religiösen Denkansätze im damaligen Mittelmeerraum und eventuell auch in Asien, diese anfingen rational zu hinterfragen und für ihre Antworten als einzige sichere Orientierungskonstante die Natur nahmen, – ein Ansatz, der noch heute die Grundlage unserer Existenz ist und aus den sich alle Wissenschaften entwickelt haben. Wir Menschen sind Natur, sind aus ihr hervorgegangen, sind von ihr abhängig und werden in der Zukunft im Rahmen ihrer Aktivitäten langfristig auch in ihr, mit ihr einmal untergehen. Sie bildet auch heute noch die Grundlage unserer rationalen Orientierungen und unserer Anmutungen mit ihrem „gestirnten Himmel“ über uns.

Die Vorsokratiker sahen die Wahrheit als das Verborgene an. Ihre Anfänge begannen vor etwa 2500 Jahren in den griechischen Stadtstaaten an der türkischen Küste mit der Überwindung der Homerischen Götterwelt. Eine Haltung, die später die Sophisten erschütterten. Für Platon waren daraufhin die „Ideen“ das Unvergängliche. Er  machte die Wahrheit zu einer Angleichung einer Vorstellung zu etwas Vorgestelltem. In Athen setzte man als letzten Urgrund unseres Daseins das Sein, – dort noch unter verschiedenen Benennungen (Platon den „Ideen“, Aristoteles dem „Wesentlichen der Objekte“),  aus dem alles kausal hervorgegangen ist. Sie setzten an die Stelle der Naturgötter und Naturphänomene höchste Setzungen. In den spätantiken  Philosophieschulen wurden diese dann zu praktischen Orientierungs- und Lebenshilfen. Man sollte in Einklang mit sich selbst und der Natur leben. In der Scholastik gelang es dann dem Christentum, über die Vereinnahmung des römischen Eklektizismus (besonders den Lehren der Stoikern), sich über die Philosophie zu erheben. In der Renaissance konnte man sich wieder aus deren Bevormundung befreien. Während der Aufklärung, im Rahmen einer breiten Spezialisierung der Tätigkeitsbereiche, lösten sich danach die verschiedenen Wissenschaften aus der Philosophie. Der einzelne Mensch wurde im Rahmen dieser Entwicklung immer stärker auf sich alleine als Individuum zurückgeworfen.

Im Mittelalter wurde das Sein zur ersten Ursache eines Schöpfergottes, wie wir es heute noch alltagssprachlich sehen. Er wurde zur kulturellen Basis unseres aktuellen Monotheismus, soweit er für unsere Orientierung noch eine Rolle spielt. Über die rationalen Möglichkeiten kausaler Abfolgen glaubten wir lange, alles Seiende eher oder später verstehen und beherrschen zu können. Von dieser Haltung ist uns heute zunehmend nur das Wissen um unsere Grenzen und die Offenheit unserer Zukunft geblieben, der wir allein durch die Setzung von Orientierungswerten eine gewisse Richtung zu geben vermögen.

Aus der Philosophie der Vorsokratiker haben wir ein dreifaches Erbe übernommen:

  • die ausformulierten Grundfragen unserer Existenz,
  • eine zunehmende Abstraktion unseres Denkens (den Weg vom Mythos zum Logos),
  • Denkfragmente,
    • die wir in unserem Sinne interpretieren können,
    • die wir weiterdenken können,
    • in die wir unsere eigenen Gedanken einbringen können.

Das Besondere der westlichen Philosophie gegenüber der östlichen ist der Umstand, dass die Vorsokratiker als wesentliches Merkmal in sie die Rationalität einbrachten, während die östliche allein auf die intuitive, ganzheitliche Umweltwahrnehmung beharrte. Damit konnte die westliche Wissenschaft über die Beherrschung der Naturdetails zwar die technische und ökonomische Weltherrschaft erlangen, verlor aber ihre Beziehung zu ihrer Bindung an die Ganzheit des Seins. Sie lernte die Natur im begrenzten Rahmen zu beherrschen, indem sie gleichzeitig die menschlichen Existenzgrundlagen zu zerstören ansetzte. Wahrscheinlich erlangte sie einen Pyrrhussieg, der – wenn ihre technische Entwicklung wie bisher weitergeht – langfristig zu einer evolutionären Ablösung des Menschen als Menschen führen kann.

Philosophien beschäftigen sich mit den Grundfragen des menschlichen Daseins. Dabei haben sie drei Möglichkeiten der Vorgehensweisen:

  • eine rein rational-kausale (wissenschaftliche): Hier orientiert sie sich jeweils an den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Diese sind dabei aber immer an ihre jeweiligen Paradigmen und Struktursysteme (Logiksysteme) gebunden und bleiben damit zeitabhängig.
  • eine allgemeine Kulturorientierung, wie sie z.B. die jeweiligen gesellschaftlichen Bildungskanons Je nach der Betonung der einzelnen Aspekte gelangt man zu einer unendlichen Vielzahl an Antworten.
  • eine spezielle Kulturorientierung. Hier wird historischen oder lebenden Autoritäten gefolgt. Alle hier gefundenen Antworten haben die Aufgabe, ihren Besitzern einen Orientierungs-rahmen für ihr Dasein zu geben.

Dabei kennt die Philosophie fünf große Themenbereiche: Die Frage nach

  • den Grenzen der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten
    (die Möglichkeiten des Erkennens und seine Struktur, bzw. Denkvorgaben; hier u.a.: Platon, Aristoteles, Descartes, Pascal, Hume, Kant),
  • Gott
    (die letzten Hintergründe unseres Daseins; hier u.a.: Aristoteles, Augustinus, Thomas von Aquin, Pascal, Kierkegaard),
  • die Stellung des Menschen im Kosmos
    (die Evolution allgemein, das Werden des Menschen und sein physisches und psychisches Sein, seine Kultur als existentieller Grund, gewachsen aus der Nachhaltigkeit (Weitergabe) seines Erkennens und seiner Kommunikation),
  • seinen Orientierungsinhalten
    (seinen Orientierungsvorgaben (Ideologien) und sein Spannungsfeld zwischen naturgegebenen und sozialen Bindungen (z.B. seinem Angewiesensein auf Erziehung) und seiner Individualität; hier alle Ethiker und Existentialisten),
  • dem Staat und der Politik
    (seine soziale Organisation, hier u.a.: Platon, Aristoteles, Machiavelli, Hobbes, Locke, Montesquieu).   

Anders ausgedrückt: Es handelt sich dabei um alle Grundfragen über die Herkunft, die Bedingungen und die Organisation unseres Daseins, um daraus rational für uns Orientierungsinhalte ableiten zu können. Sie liefert Erstinterpretationen für unser Dasein. Das heißt:

  • Die Philosophie ist eine ideologiebildende Orientierungswissenschaft. Sie besitzt damit eine gewisse Verwandtschaft zur Religion, nur dass diese von Mythen, Ritualen und Institutionen verstärkt bestimmt wird. Das Besondere an ihr ist, dass sie ständig damit beschäftigt ist, ihre Orientierungsinhalte, d.h. ihre Setzungen und die zu ihnen führende Gedankensysteme, Logiken, Erkenntnis- und Wissenschaftstheorien immer wieder neu zu hinterfragen. Zur Zeit kennt der Autor in Deutschland keinen Philosophen, der für unsere inneren und sozialen Orientierungen langfristig eine größere Bedeutung haben könnte.

Philosophien sichern einer Gesellschaft ihre kulturelle Einheit, – in einer pluralistischen Gesellschaft deren allgemein akzeptierten Grundrechte. Philosophien stehen als geistige Grundhaltungen am Anfang jeder Kultur. Alle Einzelwissenschaften haben sich aus ihnen entwickelt. Es ist kein Zufall, dass sich deren Ausgangsfragen mit denen der Philosophie decken. Alles wissenschaftliche Denken baut auf etwas Vorausgesetztem. Seit Aristoteles versucht die Philosophie ihre Setzungen auf eine möglichst breite Basis von Erkenntnissen zu bauen, Er unterschied bereits           

  • bei den Funktionen: Materie (Stoff) und Form in ihren Bezügen zu einander,
  • beim Vorhandensein: Realität (Wirklichkeit) und Möglichkeit. Über diese vier Begriffssetzungen versuchte er die Welt zu erklären.

Für viele Fragen der klassischen Philosophie besitzen wir heute solide Natur- und sozialwissenschaftliche Antworten, selbst wenn diese von der Masse der Bevölkerung nicht zur Kenntnis genommen werden. Jede ernst zu nehmende Philosophie muss von den vorgegebenen Wissensständen ihrer Zeit ausgehen.

Die Geschichte der Philosophie beginnt mit dem Versuch, das menschliche Dasein rational zu verstehen. Sie ging einst (besonders in der Stoa) von der Einheit der

  • Logik (verbunden mit der Erkenntnistheorie, Sprachphilosophie, Rhetorik),
  • Physik (Naturwissenschaften),
  • Ethik

aus. Auf unsere heutige Kultur bezogen, hat sich daran wenig geändert. Auch wir fragen weiterhin nach

  • den Möglichkeiten und Grenzen unserer Erkenntnis,
  • nach den Erkenntnissen der Naturwissenschaften und deren Einheit,
  • nach der persönlichen Verwirklichung und einem idealen Zusammenleben der Menschen.

Die alte, klassische Philosophie war in erster Linie eine Erkenntniswissenschaft. Rational angelegt, sind aus ihr unsere Logiksysteme und unsere Wissenschaften hervorgegangen. In den Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sind hier inzwischen vielleicht die meisten Fragen beantwortet worden oder auf dem Weg dahin. Die Aufgaben der zukünftigen Philosophie werden sein,

  • aus ihr eine akzeptierte Orientierungswissenschaft für die Mehrheit der Menschen zu schaffen,
  • für das globale Miteinander Orientierungskonzepte für einen möglichen Weg in die Zukunft festzulegen.

Denkend kann der Mensch die Welt nur bis zu seinen Erkenntnisgrenzen erfassen, darüber hinaus nur noch ein Stück intuitiv, soweit unsere unbewussten Wahrnehmungen uns zu einem inneren Bild tragen (das wir vielleicht bei einer gewissen Begabung als Kunst darzustellen vermögen).

Oft setzt die Kritik an philosophischen Texten ein, wenn Bilder dem Kritisierenden nicht zugänglich sind, er mit seiner persönlichen Hirnprägung den Inhalt ihrer Aussagen nicht, nur nebulös oder gar nur als schwülstig zu erfassen vermag. Häufig wird ihr Lesen auch noch dadurch erschwert, das für vergleichbare Inhalte verschiedene Begriffe benutzt werden, wie z.B.  in den Upanischaden „Brahma“, bei Platon die „Ideen“, bei Kant das „Ding an sich“ oder bei Schopenhauer die „wahre Realität“, oder aber verschiedene Inhalte unter einem gleichen Begriff genannt werden, wie z.B. oft beim „Gottes“-Begriff. Auch sind viele Philosophiegebäude oft nur wunderschöne, spekulative Fantasiegebäude, die uns manchmal punktuell unseren eigenen Gedanken Anregungen bieten, die aber in sich nicht wertvoller als manche Science-Fiktion-Romane sind, gedanklich bewundernswert, im konkreten Orientierungswert dagegen bedeutungslos. Trotzdem sind sie oft herausragende Kultur-leistungen, vergleichbar prächtigen Domgebäuden für einen verehrten Gott, über den genau genommen man nichts weiß, ob es ihn gibt, bzw. den es in der verehrten Form nie gab. Sie sind allein Orientierungsgebäude der menschlichen Fantasie.

Die Philosophie stellt letztlich nichts anderes dar, als den Blick von Subjekten auf die sie umgebende Welt der Objekte. Ihre Bedeutung ergibt sich aus deren Orientierungswert für bestimmte soziale Gruppen. Die Bedeutung eines Philosophen wird daran gemessen,

  • wie oft seine Gedanken diskutiert werden,
  • wie stark sie auf eine Kultur Einfluss nehmen,
  • ob seine Gedanken eine „Schule“ bilden
    (bzw. er seine Schüler auf eine möglichst große Zahl an Lehrstühlen bringen kann).

Oft schreiben Philosophen nur für Philosophen, d.h. für Ihresgleichen, auch wenn diese dann andere Meinungen vertreten. Ihre größte Anerkennung ist, wenn sie in deren Schriften (auch ablehnend) zitiert werden.

Vielleicht ist das Fragengerüst der Philosophie konstitutionell im Menschen angelegt. Instinktiv und rational sucht das einzelne Individuum darin seine Antworten für seine persönliche Orientierung, die deshalb immer auch nur individuums-, zeit- und kulturabhängig sein kann. Es sind immer Fragen zur Existenz als solchen, zu allen wahrnehmbaren Bezügen und zum Zusammenwirken des Allerkleinsten  mit dem Allergrößten, – Fragen die z. B. um die alten Zentralbegriffe wie Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit und Glück kreisen. Bei ihren Überlegungen arbeitet sie oft mit gewaltigen Systemen des menschlichen Erkenntnis-vermögens, Logiken, die allein von den Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens her zwangsläufig begrenzt werden, um auch ihren gegenstandslosen Orientierungssetzungen (wie z.B. „Gott“ und „Seele“) einen Orientierungswert zu geben. Dem Argument, das sie rational nicht beweisbar seien, kontern sie mit dem Gegenargument, dass auch deren Nichtvorhanden-sein nicht nachweisbar sei.

Für Descartes war noch die Wissenschaft ein System sicherer Sätze, deren Axiome als intuitiv erkannt, nicht mehr hinterfragt werden mussten und deren Folgesätze dann deduktiv als wahr galten. Mit Nietzsche verlagerte sich der Blick der Philosophie auf das Individuum, die dann ihren ersten Höhepunkt in der Lebensreformbewegung fand. Heidegger, ein Kind des Wandervogels, verlor im ersten Weltkrieg seinen Gottesglauben und suchte danach auf seine religiösen Fragen eine neue Antwort, die er in seinem epochemachenden Werk „Sein und Zeit“ darlegte. In ihm verpflichtete er den Menschen, bewusst seinem Leben einen Inhalt zu geben. Für Sartre wurde dies zum Auftrag der Selbstverwirklichung. Jeder gibt sich seinen Lebenssinn im Universum selber. In seiner letzten Lebensphase kehrte Heidegger dann zu seinen früheren Ansätzen der Lebensreformbewegung zurück, was sich in seiner Technik-kritik äußerte, der Kritik an dem „Gestell“.

Bis einschließlich des 20. Jahrhunderts war die Philosophie spekulativ und errichtete oft wunderbare, fantasiereiche Gedankengebäude. In Zukunft wird sie eine andere sein müssen. Die neuen wissenschaftlichen Forschungsergebnisse lassen die historischen Antworten auf die Menschheitsfragen als überholt erscheinen.

Die Fragen der Philosophie sind zwar die alten geblieben, ihre Informationsvoraussetzungen haben sich aber völlig verändert:

  • 16 % aller wissenschaftlichen Publikationen weltweit beschäftigen sich mit der Gehirnforschung.
  • Allein in den fünf Jahren von 2009 – 2013 hat es im Bereich der Neurowissenschaften global über 1.790.000 Publikationen gegeben.
  • In den Jahren 1996 – 2014 gab es weltweit 1.730.000 forschende Neurowissenschaftler.
    (Quelle: Elsevier Brain Research Report).
  • erweiterten sich unsere naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, – zwar nur facettenartig -, einerseits bis an die „Grenzen“ des Universums und andererseits zum Kleinen hin bis zu den Quarks, den Strings oder Higgs.           
  • wurde in den letzten Jahren pro Jahr weltweit etwa die Hälfte des Sozialprodukts mit den Ergebnissen der Quantenforschung erzielt.
  • nahm der mediale Informationsfluss aufgrund der digitalen Techniken einen unvorstellbaren Umfang an.
  • wurde der Mensch durch die modernen Verkehrsmittel unglaublich beweglich.
  • nahm der weltweite Kulturaustausch einen globalen Umfang an (was verstärkt das Hinterfragen der eigenen Kultur erlaubte).

Bei gleichzeitigem Zerfall

  • der alten Orientierungsinhalte aus dem Bereich der Familien, Religionen, politischen Gemeinschaften.
  • eine zunehmende Distanzierung von der Natur durch deren Unkenntnis und rücksichtslose Ausbeutung.
  • der sozialen Gemeinschaften
    (die Förderung eines hedonistischen Individuums, d.h. von Freiheiten ohne Pflichten und ohne eine soziale Verantwortung).

Da die alte Philosophie auf all das keine Antworten mehr geben kann, versank sie in die Position eines unbedeutenden, universitären Lehrfaches, das weitgehend nur noch seine frühere,  große Geschichte pflegte.

Es ist kaum 25 Jahre her, dass die Computer ihren Siegeszug antraten, kaum 10 Jahre das Handy. Verbunden damit veränderte sich in einer unglaublichen Schnelligkeit unsere Wertwelt, unser familiäres Zusammenleben, unsere Arbeit als der uns tragende Lebensinhalt, die Vereinzelung des Menschen und damit sein Eingehen in seine große orientierungslose Einsamkeit. Verbunden damit ist eine weitgehend orientierungslos gewordene Entwicklung unserer Zivilisation und die globale Herrschaft eines zwar human wertfreien, in der Praxis aber brutal agierenden Kapitals. Wir sind zu einer weitgehend orientierungslosen Freizeitgesellschaft geworden, die auf der Jagd nach einer ständigen Unterhaltung ist, um ihre eigene Inhaltslosigkeit  nicht spüren zu müssen. Die staatlichen Institutionen müssen wie im alten Rom dafür ständig neue Angebote schaffen, daran verdienende Dienstleister ständig neue Betätigungsstätten und von Alltag ablenkende Freizeitangebote (Einkaufsmöglichkeiten, Freizeitangebote (oft medizinisch verklärt), Kick-Ereignisse).

Dem allem stehen hilflos gegenüber:

  • Religionen, die auf die modernen kulturellen und sozialen Entwicklungen mit Hilfe ihrer alten Mythen keine Antworten mehr besitzen; heute ihre Orientierungsfunktionen weitgehend nur noch zur Absicherung ihres historischen Machtbesitzes nutzen.
  • Wissenschaften, deren geistige Grundlagen ihre hochspezialisierten Angehörigen oft nicht mehr verstehen, von deren Arbeitsergebnissen die Masse der Bevölkerung nur gedankenlose Nutzer sind.
  • Philosophien, die in ihrer aktuellen Bedeutungslosigkeit sich im Kleinklein von Einzelthemen artistisch verlieren und die auf der Straße kein Mensch mehr ernst nimmt (oft von deren Existenz nicht einmal mehr weiß).

Unser Wissen über die Welt wächst zwar in einer unglaublichen Geschwindigkeit, unsere Ausgangsfragen über uns, über unser Sein und das (Da-)Sein als solches, bleiben aber weiterhin so unbeantwortet wie einst als sie zum ersten Male gestellt wurden. Unser Problem ist, dass es uns bisher nicht gelungen ist, für unsere moderne Welt ein konsensfähiges Weltbild zu entwerfen. Die bisherigen Philosophien und alten Religionen haben es jeweils nur für kleinere Menschengruppen geschafft, für unsere globale Welt mit ihren heutigen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und technischen Möglichkeiten sowohl kommunikativer wie auch mobiler Art reichen sie als Bindemittel nicht mehr aus. Was wir benötigen, ist eine neue Orientierungslinie, die nur eine Philosophie leisten kann, die einerseits aus ihrer Geschichte ihre grundsätzlichen Menschheitsfragen mitbringt, andererseits sich in einer Gesamtschau bemüht, unser Gesamtwissen in einer  neuen (auch wieder zeitabhängigen) Orientierungslinie zusammenzufassen.

Unsere heutige Philosophie ist immer noch weitwehend darauf ausgerichtet, sich Gedanken über die Überlegungen ihrer Vorgänger zu machen und weniger sich auf die Beantwortung deren Fragen, bezogen auf die Probleme unserer Zeit, zu konzentrieren. Sie beschäftigt sich heute weitgehend nur noch mit dem Relativieren der bisherigen Orientierungsinhalte, der Werte, der Inhalte bisherigen Lebenssinns. Dabei gehörte es zu ihren Aufgaben, der Menschheit den Preis zu zeigen, den diese wahrscheinlich für ihre sich abzeichnende Entwicklung zu zahlen hat. In die heutige Philosophie gehen zu wenig die Erkenntnisse aus der Breite der Naturwissenschaften ein. Wahrscheinlich können wir innerhalb unserer komplexen Welt für das Zusammenkommen verschiedener Grundorientierungen und Interessen nur noch Denkanregungen bieten. Dabei betont die angloamerikanische Philosophie (zu deren Vätern einst Frege und Wittgenstein gehörten) heute verstärkt die analytische Vorgehensweise, ausgerichtet auf die Logiksysteme der Sprache, Handlungsabläufe und naturwissenschaftliche Ergebnisse, während die kontinentale Philosophie (soweit sie nicht von der analytischen zunehmend verdrängt wird) die historischen Denktraditionen von Platon, Kant, Heidegger bis Sartre, d.h. eine verstärkt metaphysisch-wertorientierte, reine und praktische Philosophie, die in unserem Verständnis einem Orientierungscharakter näher steht als eine vorrangig analytische.            

 

Als gut lesbare Einführungen in die Geschichte der klassischen Philosophie sieht der Autor:

  • – Zimmer, Robert  „Das neue Philosophenportal“,
  • – Höffe, Otfried  „Kleine Geschichte der Philosophie“,
  • Precht, David „Erkenne die Welt“ (Bd. I, Philosophie der Antike und des Mittelalters).