21.1 Setzungen, Gedanken
- Die biologische Evolution beschreibt eine Entwicklung zunehmender organischer Komplexität, an deren augenblicklichen Ende auch der Mensch steht. Jeder biologische Standort ist eine „Arbeitseinheit“ oder eine Ansammlung arbeitsteiliger Zellen, jeder Organismus eine in sich strukturierte Funktionseinheit. Biologische Vorgänge sind physikalisch-chemischer Natur innerhalb offener Systeme. Ihr nicht stabiles Energiegleichgewicht lässt sie, im Rahmen ständig neuerer Entwicklungen, sich die fehlende Energie zu Lasten „Schwächerer“ beschaffen.
Ein Lebewesen ist das Spiegelbild seiner Gene. Sie beinhalten die Grundstruktur seiner Lebensorientierung A priori, d.h. die seiner Erscheinung, seines Stoffwechsels, seiner psychischen und geistigen Möglichkeiten und die seines Todes. Für jedes Leben liefert ein genetischer Code dessen individuelle Wahrheit. Jede Neukombination der Gene schafft neue existentielle Voraussetzungen, eine neue Stoffwechselsituation. Jede „Befruchtung“ ist die Überwindung einer Vergangenheit. Sie ist ein Aspekt einer neuen Daseinsorientierung, ein Ausdruck der biologischen Bewegung.
- Auf der Erde besteht ein in sich geschlossenes biologisches System. Eingriffe an einer beliebigen Stelle wirken sich auf das gesamte System aus. Der Mensch ist durch seine Existenz nicht nur mit der Natur verbunden, er ist auch an sie gebunden. Sie ist seine „Norm“, da er zunächst selber Natur ist. Er kann sie verändern, aber nur als Umwelt, nie sie an sich. Sein Mangel an Instinkten und der Ausbau seiner rationalen Struktursysteme haben ihn weitgehend vergessen lassen, dass er von diesen unabhängig ein Teil eines ihn umgebenden biologischen Systems bleibt, ohne das er nicht existenzfähig ist. Der moderne Mensch leidet zur Zeit weniger an einer Entfremdung von sich selbst, als an seiner Entfremdung von der Natur.
Aus der Natur muss der Mensch die Notwendigkeit von energiemässigen „Gleichgewichten“ lernen und sein Eingebundensein in Kreisläufen, die er als biologisches Wesen ohne Selbstaufgabe nicht verlassen kann. Sein genetisches Material bestimmt seine Möglichkeiten, durch seine Arbeit seine Umwelt, seine Kultur, die Ausrichtung seiner Anpassung. Er verlagert sein bewusstes Da-Sein in eine Welt des Rationalen, eine Welt seiner Struktursetzungen, d.h., er entfremdet sich von seiner biologischen Herkunft, er amputiert sich selber.
- Wenn die vorhandene Natur ein Ergebnis der Evolution ist, dann ist es auch der Mensch. Wenn der Mensch ein Ergebnis der Evolution ist, dann ist er es uneingeschränkt. D.h., dass es auch die Art seiner rationalen Umwelterfassung über Struktursysteme ist, z.B. die Grenzen seiner Mathematik oder Logik. Die Evolution beschreibt eine gerichtete Bewegung des Lebenden, einer Auswahl des jeweils Lebensstärksten in dem Sinne, dass es sich selber aus seiner Umwelt die für seine Existenz notwendige Energie beschaffen konnte, ohne selber dafür genutzt zu werden. Die Geschichte eines biologischen Schicksals wird zwingend von Mutationen und Selektionen bestimmt. Die Auslesefaktoren werden von der jeweiligen Umwelt bestimmt. Das Stärkere lagert sich standortbezogen über das jeweils Schwächere. Dabei erfolgt die Selektion des Menschen weitgehend innerhalb und durch den sozialen Verband. Die Evolution beschreibt eine „bewusste“ Antwort auf eine bestimmte Umwelt.
Im Laufe seiner Entwicklung speicherte der Mensch in sich Orientierungs- und Verhaltensschemata, die auf die heutige Umwelt bezogen zwar nicht angemessen sind, die aber immer noch sein Denken und Handeln beeinflussen. Sie bestimmen über sein „Unterbewusstsein“ die Bilder seiner „Realität“, sie repräsentieren in ihm sein festgelegtes A priorisches. Sein unterschiedliches genetisches Programm bedingt seinen unterschiedlichen Stoffwechsel und sein unterschiedlicher Stoffwechsel ist der Hintergrund seiner Individualität.
- Die biologische Evolution zielt auf eine genetische Überlebensoptimierung. Beim Menschen wirkt die soziale Auslese in diesen Mechanismus hinein. Mit der Entschlüsselung seines Erbgutes beginnt nun ein neuer Abschnitt in seiner Evolution. Theoretische Modelle können gezielt angestrebt werden, negative Diagnoseergebnisse moderne „Ausleseverfahren“ begründen. „Minder- oder Höherwertigkeit“ eines menschlichen Erbgutes kann von Computern bestimmt, nach Bedarf im Sinne einer Vorgabe interpretiert und auf eine bestimmte Umwelt hin umgewandelt werden.
- Das Gehirn ist ein Spiegelbild der biologischen Evolution. Es repräsentiert den Kosmos einer individuellen Existenz, die subjektiven Grenzen des Universums. Das Gehirn beinhaltet die Phasen und Urbilder seiner Entwicklung. Es ist der Träger einer Geschichte, das sich aus der Vielheit eines Daseins heraus entwickelt hat. Dabei wird das Ältere durch das Neuere überlagert, wobei das erstere immer das Tragende bleibt. Die unteren Schichten bestimmen die Bewusstheit der Wahrnehmungen. Sie bestimmen über den Stoffwechsel die Stimmungslagen und damit das Angemutetsein durch die Objekte. Sie entscheiden über die Auswahl und Rangstellung der Informationswerte und damit über unser Denken. Mit der Weiterentwicklung des Nervensystems und des Hirns wuchs dem Leben eine neue Orientierungsqualität zu.
Das Prinzip unserer geistigen Ordnung findet seine Grenzen in den biologischen Strukturierungsgrenzen des menschlichen Gehirns. Die Grenzen der biologischen Strukturierungsmöglichkeiten liegen in der evolutionsbedingten Entwicklung, d.h. dem existenzsichernden Grundverhalten in der Natur. Jeder Teil unseres Gehirns ist für uns existentiell unentbehrlich. Auch die unteren Teile sind Teile unseres Umweltbezuges und damit ein Faktor unserer Erkenntnis. Sie bestimmen fundamental, A priori unser Da-Sein.
- Jeder Teil unseres Gehirns steuert unsere Erkenntnisse. Das Stammhirn regelt die physiologischen Grundfunktionen des Lebens wie Atmung, Kreislauf und den Stoffwechsel. Es sichert uns unsere vegetative, archaische Existenz. Wir werden von dort, von uns unbeeinflussbar, gelebt. Über vorgegebene „Programme“ reagieren wir auf unsere Umwelt. Das Zwischenhirn beinhaltet die instinktiven Verhaltensmuster, die Mutations-, Selektionsergebnisse der Vorfahren unserer Frühzeit. Es enthält über unserem genetischen Code unsere angeborenen Erfahrungen, unsere A priori. Es ist artspezifisch. Es repräsentiert ein Erfahrungskonzentrat für eine gegebene Umwelt, d.h. den Spiegel eines Überlebenskampfes einer Art, eines Kampfes um seine existentielle Energiesicherung. Das Zwischenhirn vermittelt der Welt des Großhirns das Fleisch für seine Strukturen, deren Fülle und Farbigkeit. Das Großhirn ist der Ort, in dem die ungezielt eintreffende Informationsflut im Rahmen sozial ausgerichteter Strukturmuster und Setzungen aufgefächert und geordnet wird. Menschsein heißt, biologisch gesehen, eine Betonung des Großhirns bei einem gleichzeitigen Aufkommen einer „Ur“-Angst vor dem Verlust unserer existentiellen Fundamente. Mit der Entwicklung des Großhirns beginnt die Ausstoßung des Menschen aus dem „Paradies“. In seine Welt tritt das Bewusstsein des Gespaltenseins, des Irrtums. Die Sehnsucht nach einer archaischen Geborgenheit wird zum Inhalt seiner Träume, aller seiner späteren Utopien.
- Ein Organismus wird von seiner Energiezufuhr und seinem Stoffwechsel bestimmt. Die materielle Basis allen Seins ist die Energiezufuhr. Stoffwechselfunktionen dienen einem Energieausgleich. Dafür bieten die Zellen arbeitsteilig eine artspezifische Gegenleistung. D.h., unsere Gehirnzellen zeichnen sich von den anderen Zellen durch ihren spezifischen Stoffwechsel aus. Alle Einwirkungen auf diesen müssen Auswirkungen auf unser Fühlen und Denken haben. Ein Bewusstsein ist zunächst ein biochemischer Zustand. Durch eine Veränderung des Stoffwechsels, verändert sich das Bewusstsein. Das „Bild“ unserer Welt ist auch immer ein Abbild des Stoffwechselgleichgewichts in unseren Zellen. Zwei genetisch verschiedene Menschen leiten deshalb aus einem identischen Sachverhalt zwei verschiedene Wahrheiten ab. Über seinen Stoffwechsel ist jedes Lebewesen einmalig.
- Das Lebende befindet sich zur Sicherung seines Energiebedarfs in einem ständigen Prozess der Informationsgewinnung. Es entwickelt die Strukturen, die seiner Umwelt und seinen Energiequellen entsprechen. Seine Informationen erhält es durch Nervenreizungen, die in Symbole übersetzt und eingespeichert werden können. – (Dabei ist die gesamte Einspeicherung identisch mit einem Schaltbild, vergleichbar einem holographischen Verfahren, und jeder Punkt desselben enthält abgeschwächt alle Daten dieser Speichereinheit). – Die Verarbeitung der Informationen erfolgt nach einem System der Reizhäufigkeit und dem mit ihnen verbundenen Sanktionen zu einem Zeitpunkt der biologischen Plastizität.
Der Mensch ist zunächst ein auf Außenorientierung hin angelegtes Wesen. Sie erfolgt im Rahmen der jeweils sozialen Erfordernisse, immer auf einem Hintergrund von Setzungen. In dem Augenblick, in dem ein Mensch zur Vereinfachung seiner Orientierung die Wahrnehmungen aus seiner Umwelt zu ordnen beginnt, die „Realität“ abstrahiert begreift, Symbole für sie schafft, trennt er sich von der Natur und steht plötzlich außerhalb „seines“ Paradieses. Durch seine Reflektionen steht er nicht mehr in der Natur, sondern als Betrachter außerhalb ihr und als ein um seine Existenz Kämpfender ihr gegenüber. Der Mensch interpretiert sich dann aus der Struktur seiner von ihm selbst geschaffenen Welt. Er wird zu seinem eigenen Entwurf. Gott und sein Selbstverständnis haben als Schöpfer den selben Vater.
- Die Reizfähigkeit der einzelnen genetischen Existenz liegt in deren biochemischen Code. Der Reichtum ihrer Lebenswirklichkeit wird bestimmt von der Zahl der ihr zugänglichen Reizskala, d.h. von den ihr vorgegebenen Wahrnehmungsfiltern und Strukturierungsgrenzen. Eine Schwierigkeit für eine spätere Entwirrung eines geistigen Hintergrundes ist die Abhängigkeit dessen Verhaltensmuster von einigen wenigen Gehirnzellen, die in einem Regelsystem zwischen Reiz und Reaktion die Verbindung herstellen, die Mobilisierung verschiedenster Organsysteme auf einen bestimmten Reiz über komplizierte Schaltsysteme und die Synchronisation der Reaktion der verschiedenen Organe veranlassen, so dass später Ursache und Wirkung oft nicht mehr eindeutig zu trennen sind.
- Das „Lernen“ ist das Schaffen einer neuronalen Matrix auf die deren Besitzer später zurückgreifen kann. Es erfolgt weitgehend auf dem Hintergrund eines vorbereiteten genetischen Vorprogramms innerhalb einer für ein bestimmtes Lernprogramm plastischen Lernphase, – davor und danach nicht mehr. Durch das Lernen wird eine biologisch vorgegebene Tendenz im Sinne einer Kultur verstärkt.
Das „Denken“ ist der abstrahierende Arbeitsprozess des Gehirns. Es ist eine Interaktion zwischen zwei Orientierungspunkten, im Rahmen einer Kultur zwischen zwei Symbolen. Aufgrund seiner genetischen Vorgaben kann der Mensch seine Welt weitgehend nur mechanisch-kausal begreifen. Für seine bisherige physische, existentielle Orientierung reichte dieses biologische Programm aus. Sein Stoffwechsel schuf die „Realitäten“ in seinem Denken, wie sein Denken über die „Realitäten“ seinen Stoffwechsel beeinflusste.
Jede Erkenntnis verändert die neuronalen Strukturen des menschlichen Gehirns und damit letztlich auch das Subjekt, den Standort und damit dessen Umwelt, das soziale Umfeld. Sie ist ein Ausdruck der Bewegung eines bestimmten Standortes. Eine primär sensitive Bewegung ist eine physische Reaktion auf etwas zu oder von etwas fort. Beim Menschen bestimmt das Denken, sein Bewusstsein weitgehend (für sein Bewusstsein) diese Reaktion.
- Der Mensch ist eine arbeitsteilige Stoffwechseleinheit. Körper und Geist, Bewegungen, biochemische Abläufe, Emotionen und Gedanken bedingen sich gegenseitig. Wenn es nur in einem gesunden Körper einen gesunden Geist gibt, dann muss unser „Geist“ krank sein, da unser Körper mit seinem spezifischen Stoffwechsel genetisch nicht für ein Leben in unserer Zivilisation „entworfen“ worden ist. Voraussetzung dafür wäre die „Gesundheit“ des neuronalen „Stimulations- Apparates“ und der kann in unserer Welt sich nicht seinen Bedürfnissen gemäss entwickeln.
Das innere „Gleichgewicht“ des modernen Menschen ist gestört. Er lebt nicht mehr im Sinne seines biologischen Programms. Seine fehlende Übereinstimmung mit der Natur, seiner Natur macht ihn krank. In der modernen Welt verkümmern seine Sinne oder werden überfordert, gerät sein Stoffwechsel aus dem Gleichgewicht, verliert er seine innere „Mitte“. Jedes psychische und soziale Defizit verlangt einen Ausgleich. Die Überbetonung einer Seite bedeutet den Verlust des Stoffwechselgleichgewichts und wird schnell zum Ausgangspunkt einer Selbstzerstörung. Bei einem „gestörten“ Menschen reicht dann oft ein banaler Anstoß aus, um bei ihm verstärkt Stoffwechselprozesse auszulösen, deren Folge ein überzogenes Verhalten ist. Sie vereinnahmen ihn völlig in seinem Denken und engen seine Umweltperspektive auf ein verzerrtes Wahrnehmungsbild ein.