Hirnforschung

Die Hirnforschung

Wahrscheinlich ist die Hirnforschung durch ihren Realbezug der wichtigste Wissenschaftszweig unserer Zeit. Sie ist dabei den historischen Leib-Seele-Dualismus zu überwinden und die „Seele“ zu einem physischen Inhalt zu machen. Langfristig bedeutet sie das Ende der heutigen Religionen. Ihr rational-empirischer Ansatz bringt diese auf ihren empathischen (gefühlsbezogenen) Kern zurück und wird die Menschheit (d. h. die Philosophie) zwingen, sich innerhalb eines neuen Orientierungssystems sich ihre eigene Zukunft neu zu entwerfen. Zurzeit ist es in der Hirnforschung so, dass man zwar sehr viel Wissen besitzt, deren Zusammenhänge aber noch nicht versteht. Die Beschäftigung mit dem Gehirn bewegt sich auf sechs Ebenen

  • einer Nanoebene, d. h. mit den genetischen Einflüssen, den Neuronen und Hormonen,
  • einer Makroebene, d. h. unserer Seele, unserem Geist, unserem Bewusstsein (der komplexen Summe unserer Nanoebenen),
  • dem Hirnstoffwechsel, durch dessen Kenntnis man sich die Linderung, bzw. möglichst die Beseitigung vieler Krankheiten erhofft,
  • den sozialen Anwendungsmöglichkeiten, wie der Gewaltforschung und besseren gesellschaftlichen Kontrollen,
  • der Neuroethik, d. h. den sozialen Folgen für eine zukünftige Gesellschaft,
  • der langfristigen Perspektive einer Verbindung von biologischem Dasein und technischem Gerät (z. B. Prothesen, Minicomputern bis hin zu einem Cyborgdasein).

In der Hirnforschung sind psychische und physische Ursachen nicht unterscheidbar. Unser gesamter Körper stellt für sie eine Einheit dar. Es gibt keine echte Trennung zwischen der Psychologie und Biologie. So haben auch alle „Geisteskranken“ einen biologischen Hintergrund (z.B. als Folge von Stoffwechselstörungen oder Reaktionen des Autoimmunsystems (wie bei der Multiplen Sklerose, bei der Antikörper durch eine falsche Programmierung den eigenen Hippocampus angreifen). Im Gehirn bestimmen die Komplexität unseres Erbguts mit der Komplexität der Prägungen die Komplexität seines neuronalen Aufbaus und entziehen sich in vielen Bereichen in ihrer Komplexität noch der heutigen Forschung.

Schon in der Vorzeit glaubten die Menschen, das bei besessenen Menschen die bösen Geister in deren Kopf hausten. Aber bereits

  • Alkmäon von Kroton (um 500 v. Chr.) sah das Gehirn als Zentrum für die Sinneswahrnehmungen und das Denken an.
  • Anaxagoras (um 500 – 488 v. Chr., Anatom) glaubte, dass der Geist sich in den Hohlkörpern (Kammern) des Gehirns aufhielte.
  • Hippokrates (um 400 v. Chr.) erkannte im Gehirn den Sitz der Gefühle und des Denkens (und nicht im Herz wie Aristoteles).
  • Das Kammermodell des Anaxagoras wurde dann laufend verfeinert. Im Mittelalter glaubte man, dass die
    • 1. Kammer der Wahrnehmung und der Einsicht diene,
    • 2. Kammer der Erkenntnis diene,
    • 3. Kammer dem Gedächtnis diene.
  • Leonardo da Vinci (1452 – 1519 weist mit Wachsabdrücken nach, dass das Gehirn ein verästeltes, zusammenhängendes Gebilde ist.
  • Descartes, René (1596 – 1650): Für ihn war das Gehirn ein physisches Organ, auf das die Seele einwirke (zur letzteren gehörten das Bewusstsein, das Gewissen und die Moral).
  • Willis; Thomas (1621 – 1675, engl. Arzt) sah im Gehirn als erster den Sitz aller Hirnfunktionen und dass sich die Nervensysteme von Mensch und Tier kaum unterscheiden.
  • Ein Unfall 1648 (Phineas Gage) machte deutlich, dass „moralische“ Verhaltensweisen vom vorderen Stirnhirn bestimmt werden, während Sprache und die Bewegung von anderen Hirnarealen beeinflusst werden.
  • Broca, Paul erkannte 1861, dass im linken Frontallappen („Broca-Areal“) sich das menschliche Sprachzentrum befindet, in dem Syntax, Grammatik und Satzstruktur verarbeitet werden. Schädigungen führen zu einem Verlust des Sprachvermögens.
  • Haldever-Hartz, W. stellt 1891 eine Neuronentheorie auf, nach der das gesamte Gehirn aus Nervenzellen (Neuronen) besteht, die über Synapsen untereinander Kontakte haben. Sie sind die Träger aller nervalen Erregungen.
  • Brodmann, Korbinian unterteilt 1909 die Großhirnrinde in 52 Areale, denen er bestimmte Funktionen zuspricht (schafft einen Hirnatlas).
  • Homunkulus (um 1950, epistemische neuroanatomische Hilfskonstruktion durch Wilder Penfield und Theodor Rasmussen): In ihm werden zu den verschiedenen Hirnregionen Körperteile zugeordnet.
  • Eccles, John erkennt 1963 die Funktionsweise der Synapsen. Er erklärt die elektrische Weiterleitung der Reize im Gehirn.
  • Sperry, Roger weist in den 60iger Jahren bei Epilepsie-Patienten nach, dass die linke und die rechte Hirnhälfte verschiedene Aufgaben haben:
    • links: sprachliche und analytische Prozesse,
    • rechts: ganzheitliche Prozesse (Orientierung, Musikalität, Kreativität).
  • Libet, Benjamin erkennt in den 70iger Jahren, dass bewusste Handlungen eine vorbewusste Vorlaufzeit besitzen.
  • Singer, Wolf weist 1987 nach, dass die Informationsverarbeitung eines Gehirns bestimmten elektrischen Mustern  (Gleichtakten) folgt.
  • Gallese, Vittorio und Rizzolatti, Giacomo weisen 1996 „Spiegelneuronen“ nach, die Handlungen anderer im eigenen Kopf nacherleben lassen (= Voraussetzung der Empathie und evtl. der menschlichen Kultur als solchen).
  • Human Brain Project (2013, Forschungsauftrag der EU): Für eine Milliarde Euro soll das menschliche Gehirn in zehn Jahren in einem Computer nachgebaut werden (d. h. 100 Mrd. Nervenzellen, 600 Billionen Verbindungen, ohne die eigentliche Kenntnis des eigentlichen Schaltplans des Gehirns; etwa 800 Neurowissenschaftler haben dies in der vorgesehenen Art in einem Aufruf in Frage gestellt. Zurzeit bestehen dazu noch viele theoretische, technische und organisatorische Probleme

Es gibt die experimentale Hirnforschung seit etwa 200 Jahren. Seit den 1970er kann man auch Bilder von einem lebenden Gehirn machen. Ihr öffentliches Ansehen stieg seit den 1980er Jahren mit der Entwicklung der Magnetresonanztomographie (MRJ), mit deren Hilfe man über die Sauerstoffsättigung im Blut, die Aktivitäten der verschieden Hirnteile beobachten kann. Heute ist sie dabei, die kommende wissenschaftliche Leitdisziplin zu werden. Wahrscheinlich wird sie unser Bild vom Menschsein radikal ändern und uns zwingen, uns neue Orientierungsmaßstäbe zu suchen. Sie wird die historische Begrenztheit unserer bisherigen Orientierungssysteme (Religionen, Ideologien) deutlich machen und dabei selber als modernes Orientierungssystem (Natur-) Wissenschaft doch letztlich der anthropogenen Begrenztheit des Menschen verhaftet bleiben. 2004 veröffentlichten 11 führende deutsche Neurowissenschaftler als Manifest ein Programm für die Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung. Man hoffte am Ende der Arbeiten alle Vorgänge im Gehirn zu verstehen, besonders die molekularbiologischen Hintergründe vieler Krankheiten (u.a. Alzheimer, Parkinson, Schizophrenie, Depression). Trotz vieler Einschränkungen war man optimistisch. Man besaß zu diesem Zeitpunkt allerdings noch keine Vorstellung davon wie

  • das Gehirn arbeitet,
  • es die Welt abbildet,
  • es seine unmittelbaren Wahrnehmungen mit früheren Erfahrungen verbindet,
  • das eigene Tun erlebt wird,
  • das zukünftige Tun geplant wird,

und wie diese Fragen erforscht werden können.

Durch neue Hirnbilder bestätigt wurden inzwischen,

  • dass alle psychische Prozesse im Zusammenhang mit neuronalen Vorgängen stehen,
  • dass Geist und Bewusstsein als Ausdrucksformen des Nervensystems sich in der Evolution entwickelt haben.

Zehn Jahre Später (2014) war eine große Ernüchterung gegenüber den vorangegangenen Hoffnungen eingetreten. Auch heute noch

  • fehlen ihr belastbare Resultate,
  • fehlt ihr ein theoretisches Verständnis des Gehirns,
  • besitzt man keine „Theorie von Geist und Gehirn“,
  • erscheint die heutige Hirnforschung als realitätsfremd,
  • bleibt die Natur des Geistes umstritten.
  • Viele ihrer Messergebnisse sind nicht reproduzierbar.
  • Viele menschliche Phänomene lassen sich bisher noch nicht auf neuronale Prozesse zurückführen.
  • Die Frage des subjektiven Erlebens bleibt ungelöst.

Die große Vision besteht in der Hoffnung, dass die Hirnforschung eines Tages der Menschheit ein umfassendes Weltbild wird liefern können. Dabei befürchtet man, es letzten Endes nie völlig verstehen zu können, weil es sich in seiner Komplexität, in seinen Details einer unmittelbaren Anschauung entzieht.

Wir glauben, dass die Betrachtung des Gehirns allein als Orientierungsorgan viele theoretische Fragen beantworten und eine „Theorie des Gehirns“ liefern könnte. Darin wird sie unser angeborenes, in der Evolution erworbenes genetisch-instinktives Wissen und unser kulturell erworbenes Wissen zu einem persönlichen Identitätsbild verschmelzen und uns Modelle für unsere Selbstdefinition, Selbst-erkenntnis liefern.

Es ist zu erwarten, dass wir in 20 – 30 Jahren die biologischen Hintergründe von Geist, Bewusstsein und Gefühlen widerspruchsfrei kennen werden, vielleicht noch nicht das Verhalten individueller Gehirne vorhersagen können.

Die heutige Hirnforschung arbeitet auf drei Ebenen: Auf einer

  • untere Ebene: Die Erforschung der Vorgänge in den einzelnen Zellen und Moleküle:

Wir besitzen bereits ein großes Wissen über die Vorgänge zwischen den Zellen, die Funktion der Neurotransmitter und Neurohormone und die Weiterleitung neuronaler Erregungen, damit verbunden die Arbeitsweise der Sinnesorgane und des Nervensystems. Die wichtigsten Methoden dafür sind:

    • die Patch-clamp-Technik,
    • die Fluoreszensmikrokospie.
    • das Xenopus-Oocyten-Expressionssystem.
  • mittlere Ebene: Die Erforschung der Zellverbände (hier hat man bisher die geringsten Erfolge):

Über die Verbindung zwischen der unteren und der oberen Ebene weiß man relativ wenig. Dazu gehören u. a.

    • die Abläufe zwischen den Zellverbänden,
    • die Kommunikation-codes zwischen den einzelnen und der Gesamtheit der Nervenzellen. D. h.,

*   nach welchen Regeln das Gehirn arbeitet,

*   wie das Gehirn die Welt so erfasst, dass es seine unmittelbaren Wahrnehmungen mit seinen abgespeicherten Erfahrungen so verbindet, dass sich daraus Orientierungsvorgaben schaffen lassen.

Noch weiß man nicht, mit welchen Methoden man dies erforschen kann.

  • obere Ebene:  Die Erforschung der Hirnareale Großhirnrinde, Amygdala und Basalgangien.

Als Methoden dienen dafür bildgebende verfahren, die im Rahmen ihrer Besonderheiten den Energiebedarf der verschiedenen Hirnregionen messen:

    • PET     (Positronen-Emissionstomographie),
    • fMRT  (funktionelle Magnetresonanzphalographie),
    • EEG    (klassische Elektroencephalographie),
    • MEG   (Magnetencephalographie).

Wahrscheinlich stellen die neuronalen Netzwerke nichtlineare, komplexe Systeme dar,        die mit Hilfe der bisherigen Methoden nicht erfasst werden können.

Die Arbeitsbereiche der heutigen Hirnforschung (2017) sind u. a.:

  • Therapien gegen psychische Krankheiten

(d. h. komplexe Fehlfunktionen größerer Hirnschaltkreise; die ersten daran beteiligten Gene sind bekannt; man erhofft sich bessere Diagnosemöglichkeiten und Therapieformen).

  • Hilfen für den pädagogischen Bereich

(dabei sind die Ansätze stark bestätigend ideologieorientiert; bisherige Forschungsergebnisse sind für die Schulen unbedeutend geblieben).

  • Möglichkeiten von persönlichen Leistungssteigerungen

(z. B. durch die Verbesserung der Gedächtnisleistungen und der Konzentrationsfähigkeiten).

  • Anregungen für die Wirtschaft

(d. h., die Suche von Möglichkeiten der Einflussnahme auf ein Kaufverhalten).

  • Suche nach Ursachen von Verhaltensauffälligkeiten

(z. B. bei Psychopathen),

  • Suche nach Möglichkeiten Gedanken Hirntätigkeiten zuzuordnen

(bereits erfolgreich bei Lügendetektoren).

Hinzu kommen Grundlagenuntersuchungen wie     

  • Klärung eines möglichst freien Willens

(Die Libet-Versuche lassen ihn als unwahrscheinlich erscheinen.  Dabei besteht eine gewisse Sicherheit darüber, was unter einer persönlichen Freiheit zu verstehen ist. Die heutige kompatibilistische Position lautet: Entscheidungen sind dann frei, wenn sie mit  den Werten und Wünschen einer Person sich in Einklang befinden).

  • Zuordnung von bestimmten Gefühlen zu Gehirnbereichen, bzw. zu neuronalen Zusammenhängen. Dies gilt besonders für den
    • Religiösen Bereich: Mystische Erfahrungen, Trancezustände und Halluzinationen lassen sich als solche im Gehirn nachweisen. Mit Hilfe von Magnetstimulationen können religiöse Empfindungen geschaffen werden. Meditationen verändern das Gehirn.     
    • ästhetische Bereich: In der Musik scheinen auf verschiedenen Musikarten verschiedene Gehirnbereiche zu reagieren. Ein Problem scheint zu sein, dass heute gerne verschiedene psychische Abweichungen als Kunst herausgestellt werden.
  • Suche nach einem neueren Normengerüst für die Menschheit der Zukunft

(auf dem Hintergrund seines Gewordenseins in seiner Evolution und einer Gruppe  eltweit konsensfähiger, anthropogener, humaner Setzungen).

Viele der genannten Entwicklungen gehen an der breiten Bevölkerung völlig vorbei. Sie lebt sozusagen im Schutz ihrer Unkenntnis vor der sich abzeichnenden möglichen Zukunft. Eine Möglichkeit ist der „gläserne Mensch“, d. h.

  • das mögliche Lesen von persönlichen Bedürfnissen und Gedanken,
  • das Feststellen bestimmter persönlicher Fähigkeiten und Grenzen,
  • das Finden idealer Arbeitnehmer für bestimmte Fähigkeiten,
  • das sich Befinden in einem willenlosen, ständigen Glücksgefühl (durch eine ständige Steuerung des Serotoninspiegels),
  • die Möglichkeit seiner völligen Manipulierbarkeit,
  • die Möglichkeit einer völlig kontrollierten Totalität am Ende ausgeliefert zu sein.

Darüber hinaus glaubt man, dass

  • wir allein mit Hilfe unseres Gehirns eines Tages werden Geräte steuern können.
  • uns neue Sinne implantiert werden können (uns damit  sich unsere Wahrnehmungswelt erweitern wird).
  • in Zukunft in unsere Gehirne neue Informationsstrukturen, Aktivitätsmuster, Erkenntnis- und Gedächtnismöglichkeiten eingespeist werden können (z. B. bestimmte Leistungen wie Sprachen).
  • Menschen durch Gehirneingriffe zu anderen Personen gemacht werden können (z.B. durch gezielte Drogen zu Killern).
  • mit Hilfe von Computerchips sich die kognitiven Fähigkeiten erweitern lassen.
  • in ferner Zukunft eine Kommunikation von Gehirn zu Gehirn möglich sein wird (durch eine Vernetzung der Gehirne).
  • eines Tages Mischwesen von Mensch und Maschine als „Cyborgs“, Roboter-Hybriden bestehen werden (der historische Homo sapiens dann nur noch als ein fehlerbehaftetes, romantisches Erinnerungswesen da sein würde).

Die Weiterentwicklung der Hirnforschung lässt sich nicht stoppen, da es immer Menschen geben wird, die alles zu machen versuchen, was möglich ist. Wir werden uns von vielen lieb gewordenen Orientierungsvorgaben im Rahmen der sich abzeichnenden Neuro-Revolution in jedem Fall verabschieden müssen. Unsere Gehirneingriffe werden immer gezielt genauer werden. Unser persönlicher Charakter, unsere Identität wird zu einem ihrer Ergebnisse. In den verzweifelten Versuchen diese mögliche Entwicklung zu leugnen, hoff man auf die Weite unserer emotionalen und kognitiven Komplexität. Das Problem dabei ist nur, dass je mehr wir die Natur kausal erforschen, wir umso mehr versuchen werden, diese in unserem Sinne zu optimieren. Zwar ist unser Fühlen, Denken  und Handeln immer in größere Zusammenhänge eingebettet, z.B. in soziale Gefüge und kulturelle Prägungen, die über unsere biologischen Vorgaben hinausführen, doch schaffen wir uns mit unseren Setzungen unsere Welt in unseren Grenzen selber. Wir befinden uns auf einem Weg zu einer Welt, die wir in ihren Inhalten noch nicht kennen (deren Grundpfeiler wir aber deshalb am Beginn der Entwicklung setzen sollten).

Gedanken zur Orientierung des Menschen

Fragen:

  • Auf welchen Inhalten beruht mein Menschsein?
  • Was ist ein ideales menschengemäßes Leben?
  • Weshalb lebe ich?
  • Wofür lebe ich?
  • Was ist der Sinn meines Daseins?
  • Wie möchte ich leben?
  • Welchen Sinn gebe ich meinem Leben?
  • Was ist wirklich wichtig?
  • Ab wann bin ich für mein Leben verantwortlich?
  • Was sind meine Grenzen, wo sind die Grenzen meiner Welt?
  • Wo sind die Grenzen des Universums?

Nebenfragen:

  • Wie hoch ist der Energiebedarf zur Erreichung eines Zieles?
  • Welche Bedeutung hat dieses Ziel tatsächlich für mich?

Existenz bedeutet genau genommen, einfach nur zu sein. Alles darüber hinaus sind kulturabhängige inhaltliche Setzungen. Wir haben Ängste, die wir mit Inhalten verbinden, Wünsche deren Erfüllung uns Beglückungen bringen sollen. Doch beide sind letztlich nur bedeutungslose Gefühle, die unseren existentiellen Weg bestimmen und uns unglaublich wichtig erscheinen. Dafür spüren wir nur selten den Moment in unserem Dasein, d. h., über unsere Sinne den Reichtum des Augenblicks, unser Dasein selber. Damit erleben wir nicht unsere existentielle Zeit, sondern durcheilen sie nur als Gehetzte. Das Diktat unserer Setzungen macht uns zu deren Sklaven, und das wahre Leben streicht an uns vorbei, wie die Landschaft hinter dem Fenster eines Eilzuges.

Zum Hauptinhalt unserer Existenz ist geworden, Lebenszeit zu füllen. Nach einer achtstündigen artfremden Berufstätigkeit begeben wir uns zu ablenkenden, in unserer Hoffnung glücksbringenden Tätigkeiten. Eilen von Veranstaltung zu Veranstaltung und mögen diese noch so fragwürdig sein. Zerstören die letzten Naturreservate zu unserem Vergnügen und erholen uns davon tanzend auf organisierten Schiffsreisen. Dabei sind wir für jede Ablenkung dankbar.

Unsere Existenz wird von unserem Nervensystem gesteuert. Es besteht aus verschiedenen Teilsystemen, die im Gehirn zentral mit einander verflochten sind. Das vegetative Nervensystem regelt dabei alle Körperabläufe, die wir willentlich nicht steuern können, während wir alle Vorgänge im somatischen Nervensystem bewusst beeinflussen können (wahrscheinlich nur begrenzt). Für diese bewusste Beeinflussung sind wir auf Orientierungsvorgaben angewiesen, die teilweise einen instinktiven Evolutionshintergrund und teilweise einen sozialen Prägungshintergrund haben. Die einen sind genetisch und epigenetisch in uns angelegt, die anderen haben wir über kulturelle Setzungen erhalten, die als solche in Grenzen austauschbar sind. Damit kommen diesen sozialen Orientierungssetzungen in unserer Existenz eine zentrale Bedeutung zu. Wir sind in unserer Persönlichkeit weitgehend auch ihr Ergebnis.

Vier Existenzprinzipien bestimmen unser Leben: Die

  • Selbsterhaltung:

Das Streben nach körperlicher Unversehrheit. Es  wird von der Angst, modern dem „Stress“ begleitet.

  • Fortpflanzung:

Die Evolution hat uns auf eine Fortpflanzung, die Weitergabe des persönlichen genetischen Potentials hin programmiert. Auf ihr basiert unsere Sexualität, letztlich fast alle unsere Kulturerscheinungen die mit Statussymbolen in einer Beziehung stehen, wie die Mode, unsere Sportveranstaltungen, unsere Wirtschaftssysteme oder die meisten gesellschaftliche Betätigungen.

  • Streben nach Dopamin- und Serotoninausschüttungen (den Glückshormonen):

Im Gehirn bedeutet es den Versuch einer möglichst immerwährenden Aktivierung der Belohnungssysteme und der mit diesen in Verbindung stehenden Botenstoffe. Ihr zentrales Streben ist eine hedonistische Existenz. Die damit verbundene aktuelle Naturzerstörung wird zurzeit weitgehend verdrängt.

  • Suche nach einer Orientierung, die der eigenen Existenz in einer Zeit der Individuumspflege einen Sinn gibt:

Aus letzterer ergibt sich in all ihren Facetten, ihrer Ganzheit die Kultur des Einzelnen, das gelebte Ich. Ihre Ausdrucksformen sind verinnerlichte Schwerpunktinhalte wie unsere Mythen, Religionen, Ideologien, Wissenschaften oder Nationalismen (Gruppenidentifizierungen). Ihre Inhalte bestimmen die Auswahlkriterien unserer Wahrnehmungen in unserem Bewusstsein, unserem komplexen Neuronensystem.

Dieses unser Bewusstsein baut auf fünf Ausgangsgrößen:

  • unserem genetischen und epigenetischen Erbe,
  • unseren sozialen Prägungen:

Sie formen die Neuronenbahnen in unserem Gehirn aus und entscheiden vordergründig über unsere Orientierung.

  • unserem Mikrobiom:
  1. h., auf unseren symbiotischen Lebensgemeinschaften im Darm, ohne die wir nicht bestehen können.
  • unseren Stoffwechsel:

Den wir weitgehend über unsere Ernährung und unsere Bewegungsabläufe steuern können.

  • unseren sozialen Vernetzungen:

Seien es z. B. die Familie, der Freundeskreis, „Bekannte“ im Gesellschaftsleben, Orientierungsgemeinschaften.

Der Orientierungsmaßstab für ein menschliches Dasein ist immer ein mittleres Menschsein (Heisenberg: die „mittlere Dimension“). Die davon abweichenden Personen (z. B. spezifische Sexualpraktiker, Autisten) müssen sich in ihrem Eigenleben, soweit sie es nicht unter sich ausleben, in dieses Menschsein einordnen.

Unser heutiges Menschsein ist gekennzeichnet von

  • einer Verdrängung unserer natürlichen Umweltbezüge

(z. B. dem natürlichen Erleben der Tages- und Jahreszeiten),

  • den Folgen eines technischen Arbeitstaktes,
  • der Übernahme familiärer Bezüge durch den Staat

(Zerschlagung der Kernfamilie, Kita, Fürsorge),

  • der Zerstörung überschaubarer sozialer Gemeinschaften,
  • der Aufwertung der Individualität

(und damit u. a. der Zerstörung der elterlichen Autorität, bei gleichzeitigem biologischem Orientierungsbedürfnis der Kinder gegenüber den Eltern),

  • den medizinischen Erfolgen,
  • neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen,
  • den digitalen Möglichkeiten Menschen zu ersetzen, bzw. über deren Grenzen hinaus zu gelangen.

Sozial sind wir Teile unseres Wirtschaftssystems. Es bestimmt damit über unser Dasein, ohne dass wir diesen Einfluss auf uns oft beeinflussen können:

  • Unsere Existenz wird von einem ständigen Zwang zur Selbstoptimierung bestimmt

(biologisch bereits in uns im Sexualtrieb angelegt, hilft es allerdings über das Konkurrenzprinzip auch bei unserer Ausbeutung).

  • Unsere Freizeit ist konsumorientiert

(als unverplante, freie Zeit, als  entlastendes Nichts; 2014 wurden 146,86          Milliarden für Unterhaltung, Kultur und Freizeit in der BRD ausgegeben).

  • Unsere Wachstumsorientierung frisst die Natur

(ökonomische Berechnungen berücksichtigen den Naturfaktor nicht aus ökologischer Sicht).

  • Eine Privatorientierung zu Lasten kollektiver Einrichtungen.
  • Die Zerstörung der traditionellen Familie und damit des stabilitätsgebenden Gesellschaftsträgers

(durch die Zuweisung neuer Frauenrollen Schaffung deren psychischer Überforderung).

Genau genommen besitzen wir für unsere Orientierung als echte Konstante nur die Natur. Unsere Kulturen sind dafür in ihren Werten und Setzungen zu zeitabhängig, zwiespältig und beliebig. Die Natur kennt in ihren Evolutionsgesetzen von sich aus keine Humanität, wenn man von ihrer Brutpflege und ihren Möglichkeiten im Sozialen absieht. Die Besonderheit des Menschen ist dabei deren Aufwertung zu Idealen, die wir heute in unserer Kultur als Menschenrechte für unverzichtbar halten und die in Formen der Barmherzigkeit, Solidarität und Kooperation gelebt werden können. Diese kulturelle Decke ist allerdings nur sehr dünn und kann schnell außerhalb eines Gefühls der Verantwortung für andere Existenzen den Menschen schnell zu einer gefühlslosen Bestie werden lassen. Wir können zwar unser Dasein im Sinne der Humanisierung, unserer Setzungen leben, bleiben aber letztlich in unserem Verhalten immer naturabhängige Objekte.

Das Besondere an uns Menschen ist unsere Anpassungsfähigkeit. Wir leben in den Tropen und in der Arktis, an der Küste, im Tal, am See und hoch oben im Gebirge. Biologisch sind wir auf eine naturnahe Umgebung hin programmiert. Deren Abwesenheit verändert (unmerklich) unsere Botenstoffhaushalte. Die Naturreize fehlen ihnen. In der Natur erhalten sie ihre Anreize chemisch durch die Naturdüfte (d. h. in deren natürlicher Komplexität, z.B. den Farben, u.a. der Vielfalt des Grüns) und den Bewegungsmöglichkeiten. Wir können, müssen alle Sinne in ihr öffnen, und anders als in einer stressigen urbanen Umwelt kann in uns hier Ruhe einkehren. Über das Öffnen unserer Sinne können wir in der Natur in unserer Ganzheit aufleben und brauchen nicht mehr für die Aktivierung unseres Lebens den Kick des Augenblicks.

Im Alltag besteht oft für den Erwerb einer notwendigen Lebensenergie ein erbarmungsloser Existenzkampf. Das Problem des Menschen ist dabei, dass er letztlich aus sexuellen Gründen, zur Unterstreichung seines Status, seiner evolutionären Potenz einem extremen Luxuskonsum frönt. Während in der Tierwelt oft der Stärkere mit dem größten Geweih siegt, ist es beim Menschen oft derjenige mit der größeren Jacht. Aufrufe zur Bescheidenheit helfen relativ wenig, da sie dieser sexuellen Programmierung des Menschen entgegenstehen, weil sie mit seinem Fortpflanzungstrieb gekoppelt, seinen wichtigsten Grundtrieb darstellen. Rational, – auf die Zukunft der Menschheit als Ganzes bezogen -, kann sie als eine kulturelle Tugend nur sozial gefördert werden.

Es scheint so zu sein, dass das Sein sich für den Menschen als eine Folge in Bewegung befindender komplexer Beziehungen darstellt, die er radikal zurzeit über seine Wissenschaften nur als ein abstraktes System von Algorithmen (Schritten) zu verstehen sucht. Ein Aspekt der Bewegung des Seins scheinen für unsere augenblicklichen Wahrnehmungsmöglichkeiten Unstimmigkeiten zu sein:

  • allgemein bekannt aus der Quantenphysik,
  • als unberechenbare Mutation aus der Welt der Gene (die zur Basis der biologischen Evolution wurden),
  • als Unbestimmtheiten synaptischer Schaltprozesse (die u.a. einen Hintergrund der menschlichen Kreativität bilden).

Als Mensch muss man sich seiner Erkenntnisgrenzen bewusst sein:

  • seiner Endlichkeit wegen (d. h., dass man für den Ort seiner Existenz nur für eine bestimmte Zeit besteht),
  • der Grenzen seines Bewusstseins wegen (bedingt durch
    • die neuronalen Grenzen des Gehirns,
    • die Wahrnehmungsgrenzen,
    • die kulturellen Orientierungsbedingungen,

*   sei es im neuronal-emotionalen Bereich,    

*   sei es im Bereich der „rational-kausalen“ Logiksysteme.

Alle Wahrheiten des Menschen sind nur Wahrheiten in seine Erkenntnisgrenzen.

Über seine Grenzen hinaus wird der Mensch das tatsächliche Sein nie erfassen können. Wohl kann er diese  mit Hilfe der Ausweitung seiner Wahrnehmungsmöglichkeiten und neuer Logiksysteme ausdehnen, er bleibt aber immer in Grenzen gefangen.

Mit dem Tod vollendet sich sein Leben.

Das Gehirn

Jedes Gehirn stellt eine eigene Welt, einen eigenen Kosmos dar. Jeder hat damit seinen eigenen Stoffwechsel, seinen eigenen Blick auf die Umwelt, seine eigene Wahrheit, – die allerdings nichts gemein mit der absoluten Wahrheit hat. Diese bleibt ihm wahrscheinlich immer in der Begrenztheit seiner Wahrnehmungsmöglichkeiten, in seiner Subjektivität verborgen. Sozial als Summe seiner Vorstellungen, bekommt sie zwar als Konsens innerhalb seiner von seinen Gehirnmöglichkeiten abhängigen Logikstruktur einen kommunikations-fähigen Konsenscharakter, bleibt aber auch dann den Grenzen des Homo sapiens verhaftet. Wir können damit zwar über drei verschiedene Wahrheiten diskutieren (die persönliche, soziale und absolute). Letztlich kennen wir aber nur unsere eigene und können, müssen uns trotzdem innerhalb der zweiten, die sich weitgehend unserem persönlichen Erfahrungsbereich entzieht, die  unsere Kultur bildet, orientieren.

Für uns alle gelten drei Grundannahmen:

  • Jeder von uns ist auf Grund seines Gehirns anders.
  • Jeder hat dadurch verschiedene Fähigkeiten.
  • Jeder ist deshalb in der Gesellschaft gleichwertig.

Je nach Kultur sind deren Orientierungsvorgaben dann jeweils verstärkt gefühls- oder systemorientiert. Dabei ist es leichter im sozialen Bereich die Moral und das Recht sich an festen Regeln orientieren zu lassen und im persönlichen Bereich verstärkt Gefühle zuzulassen.

Unsere Zukunft entscheidet sich weitgehend bereits im Mutterleib:

  • die Entwicklung unseres Gehirns,
  • unsere Gesundheit,
  • unser Sozialverhalten.

Hier erhalten wir die biochemischen Grundinformationen, die unser gesamtes späteres Leben beeinflussen werden. Voraussetzungen sind unsere genetischen Vorgaben, unsere epigenetische Mitgift der Mutter, unser ererbtes Mikrobiom und nachfolgend unsere Ernährung und Umgebung. Bereits während der Schwangerschaft der Mutter wirkt sich deren Befindlichkeit auf das Ein- und Ausschalten bestimmter Gene auf uns aus. Bei ihrem Gestresstsein

  • bleiben die Telomere kürzer (was sich auf unsere spätere Lebensdauer auswirkt),
  • entwickeln sich die für das Lernen und das Gedächtnis wichtigen Hirnareale schlechter,
  • können später die Gefühle schlechter kontrolliert und die Handlungen weniger sinnvoll ausgeführt werden.

Besonders nachgewiesen ist der Einfluss der mütterlichen Schilddrüse  (die Gehirne ärmerer Kinder haben eine bis zu 6 % kleinere Oberfläche der Großhirnrinde als die reicherer Eltern). Bei unserer Geburt ist unser Gehirn bereits zu einem großen Teil entwickelt. Deshalb braucht es für seine Entstehung bereits vor seiner Geburt und während seiner ersten Lebensjahre für sich ein Milieu der Geborgenheit. Sein Ich-Bewusstsein beginnt sich dann in seinem 2. Oder 3. Lebensjahr zu entfalten.

Das Gehirn ist das Orientierungsorgan des Menschen. Seine Inhalte, soweit nicht genetisch, durch sein Mikrobiom, bzw. seinen Stoffwechsel vorgegeben, liefern ihm über seine Prägungen seine Kulturen, zunächst als verinnerlichte Orientierungssysteme oder als emotionale, bzw. rationale, kausale Logiksysteme. Alle seine Funktionen dienen primär unseren Gefühlen, unserem Gedächtnis und unserem Erkennen. Alle unsere Werte, Ideologien, Religionen und Wissenschaften sind letztlich nur verinnerlichte Orientierungskonzepte, die uns sozial vermittelt wurden und in uns neuronale Netzwerke gebildet haben.

Alle unsere Gedanken sind Bewegungen in unserem Gehirn. Sie alle bilden Pfade, weiten diese bei Häufigkeit zu Wegen aus und evtl. zu großen Gedankenbahnen, die für uns zu bestimmten Existenzbahnen werden können. Es ist deshalb nicht gleichgültig, womit wir uns gedanklich beschäftigen.

Unser Gehirn ist in seiner Orientierungsprogrammierung nicht auf eine bestimmte Umwelt festgelegt. Wir bekommen unsere entscheidende Prägung deshalb erst nach unserer Geburt über unser soziales Umfeld, die uns umgebende Kultur. Dabei programmieren wir unser Gehirn nicht nur nach dessen Nutzungsgegebenheiten, sondern schaffen in einem zweiten Schritt zunehmend die Nutzungsbedingungen immer wieder neu selber. Damit werden wir als Menschen im Rahmen der Evolution einzigartig und führen sie einer neuen Entwicklungsstufe zu.

Das Kausalprinzip ist in unseren Logiksystemen unser wichtigstes Orientierungsprinzip. Seine „Naturgesetze“ sind entsprechend anthropogen auf unsere Wahrnehmungs- und Neuronensysteme ausgerichtet. Sie reichen aus, um sich auf einer mittleren Daseinsebene bewegen zu können. Inwieweit sie dabei dem Universum in seiner Ganzheit gerecht werden, wissen wir nicht und werden wir unserer Grenzen wegen wahrscheinlich auch nie erfahren. Durch diese unsere kausale Denkweise sehen wir die Natur als eine aufeinander bezogene Einheit von Größen, die von erfahrbaren Kräften gesteuert werden. Wir erleben sie in ihren kleinräumigen Bezügen und nicht als komplexe Gesamtheit. Diese entzieht sich unserem Denken. Am ehesten können wir sie intuitiv erahnen.

Für unsere Intelligenz werden wir von unseren heutigen Wissenschaften (2017) etwa 40 bekannte Gene (DNA) verantwortlich gemacht. Damit lassen sich etwa 5 % der Intelligenzunterschiede zwischen den Menschen erklären. Von den bisherigen Zwillings- und Adoptionsforschungen abgeleitet, nimmt man an, dass bei Kindern etwa 45 % und bei Erwachsenen etwa 80 % ihrer Intelligenz genetisch abhängig sind (manche Wissenschaftler nennen andere Zahlen). Dabei ist es für deren mögliche Entfaltung entscheidend, dass die entsprechenden Gene von der jeweiligen Umwelt angesprochen und gefördert werden. Ohne den Einfluss dieser äußeren Faktoren können sie sich oft nicht entfalten. Hinzu muss auch der Einfluss des von der Mutter allein vererbten Stoffwechsels (RNA, Mitochondrien) gesehen werden, über den man bisher kaum etwas weiß.

Jeder Mensch kann sich  nur im Rahmen der Grenzen seiner psychischen Befindlichkeit bewegen. Ob richtig oder falsch ist dabei immer vom Blickwinkel des Betrachters abhängig. Genau genommen besitzt er keinen freien Willen und es gibt für ihn keinen erkennbaren höheren Lebenssinn. So gesehen ist er ein Sklave seiner biologischen Vorgaben, ausgelebt über die Strukturen seines Gehirns. Er ist und bleibt ein Repräsentant eines archaischen Verfahrens, dass in den Spannungssystem von

  • Erwartungen (u. a. von Bedrohungen, Angst) und
  • Belohnungen (als Aussicht, Erfolg)

steht. Dabei bleibt er seinen Gewohnheiten (die er kaum bemerkt) und Erfahrungen verhaftet. Gesteuert wird sein Erwartungssystem von dem Botenstoff Dopamin und sein inneres Belohnungssystem von den Endorphinen. Verstärkt werden letztere sozial durch Oxytocin. Über das limbische System wird dann entschieden, was es wert ist, im Langzeitgedächtnis abgespeichert zu werden.

Es ist die Vielfallt unseres möglichen psychischen Erlebens, die es uns außerhalb unserer bewussten rationalen Welt erlaubt, aus der Vielfalt unserer Erfahrungen einen „höheren“ Lebenssinn uns zuzusprechen, weil wir rational das Dasein in seiner Komplexität nicht verstehen können. Unsere Besonderheit liegt dabei in unserer neuronalen Komplexität und den unvorstellbar vielen Zusammenarbeitsmöglichkeiten unserer Transmitter (wenn wir bedenken wie viele Worte wir mit den wenigen Buchstaben unseres Alphabets bilden können, dann kann man ermessen, wie viele Möglichkeiten es bei den vielleicht 1000 vorkommenden Botenstoffen gibt, die unser Bewusstsein prägen).

Für unsere Orientierung benötigen wir klare Entscheidungen. Dabei glauben wir, dass diese rationalen Überlegungen folgen. In der Realität gehen diesen aber wegen deren längerer Zeitdauer in der Regel intuitive Vorgaben, Gefühle voraus. Unsere Rationalität, d.h. unsere Widerspruchsfreiheit in unseren Aussagen, basiert allein auf der Widerspruchsfreiheit in   unseren anthropogenen logischen Systemen. Unser wissenschaftliches Weltbild darin besteht weitgehend nur aus zeitabhängigen analytischen Hypothesen, die für uns als orientierungsgebende Paradigmen Bedeutung haben. „Bauchgefühle“ erlauben oft Entscheidungen aus einem „größeren Wissen“ heraus. Durch die ständig auf sie einwirkenden Außeneinflüsse können wir uns aber auf sie nur begrenzt verlassen. Für eine allein rationale Erfassung des Seins sind viele Probleme unserer Welt zu komplex. Im Alltag ist für uns  wahr, was wir ohne Brüche in unsere sozial vermittelte Kausalsysteme, d.h. Logiksysteme einbauen können.

Eine Korrektur emotionaler Positionen fällt viel schwerer als eine Korrektur rationaler Überlegungen. Hinter der ersten steht oft ein breites System von Botenstoffverbindungen, hinter der letzteren nur kausale Bezüge. Ein Gehirn ist nur in Grenzen umstrukturierbar. Während der Pubertät allerdings bis zu 70 %. Auch lassen sich mit Neuronenstimulierungen unsere Gefühle und damit unser Verhalten steuern.

Unser Gehirn übt drei Tätigkeiten aus: Es erfasst Situationen

  • intuitiv,
  • gerichtet denkend,
  • frei assoziierend.

(d. h., es folgt freien Bilderströmen, Tagträumen. Wir verbringen 20 – 50 % unserer Zeit mit ihnen. Sie sind an keine zeitliche Ordnung gebunden und bleiben nicht lange stehen).

Dabei liegt seine Fruchtbarkeit in seinen Brüchen. Wegen seinem energetisch-chemischen  Sparmodus (es verbraucht ca. 20 % des körperlichen Energiebedarfs) differenziert es zwischen

  • Routine-Vorgängen und
  • kreativen Gehirn-Prozessen.

Eine vollständige Erforschung unseres Gehirns birgt die Gefahr einer vollkommenen Überwachung und  Steuerung in sich. Vernetzungen mit unseren digitalen Möglichkeiten dürften alle unsere Freiheitsvorstellungen als antiquiert erscheinen lassen. Noch wehren wir uns dagegen. So dürfen viele Vereinsregister ihre Daten den eigenen Vereinsmitgliedern nicht mehr mitteilen (z.B. Geburtstage). Während wir ungehemmt bereit sind, auf jeder Plattform unsere intimsten Lebensinhalte preiszugeben und uns vertrauensvoll in die Hände digitaler Führungssysteme zu begeben.

Die Gemeinsamkeit der Menschheit liegt in der vergleichsweise großen Gleichheit in ihren Gehirnstrukturen. Betonen wir allerdings deren Ungleichheit, deren individuellen Abweichungen, die Mutationen, die in jedem von uns vorhanden sind und fördern diese, dann hat die menschliche Gemeinschaft keine Zukunft mehr. Der Weg zum Cyborg wird erleichtert, indem alle biologischen und gesellschaftlichen Fehlbildungen im Rahmen eines gleichmachenden Humanismus sozial aufgewertet werden.

Die Ernährung

Bei den Ernährungsfragen kommen sich die Beziehungen von Natur und Kultur bei vielen Menschen am nächsten. Alles in uns ist auf eine gewisse Stabilität hin angelegt:

  • unsere einzelnen Zellen,
  • unser gesamter Körper,
  • unsere biologischen Orientierungssysteme

(d. h., unser gesamter Hirnstoffwechsel im Zusammenspiel seiner Regionen und der Harmonie seiner Botenstoffe).

Das gilt bereits für das Verhältnis, bzw. Zusammenspiel der verschiedenen Moleküle in den Zellen, des Flüssigkeitsspiegels, Sauerstoffgehalts und der Energieversorgung in ihnen und im gesamten Körper. Hinzu kommen die Gleichgewichte in unserem Mikrobiom (Darm). Über viele dieser Zusammenhänge wissen wir noch wenig, bzw. steht die Forschung erst in ihren Anfängen.

Wir wissen, dass unsere „westliche“ Ernährung unserer geistigen und psychischen Gesundheit schadet. Wir sind aber nicht bereit, die dafür verantwortlichen Werte zu hinterfragen und sie umzustellen. Unsere Ernährung ist in unserer Überflussgesellschaft zu einem Statussymbol geworden, zu einem sozialen Rangmerkmal. Man ernährt sich nicht mehr allein nach seinen körperlichen Bedürfnissen, sondern im Rahmen von Ideologien, eines Ernährungsglaubens, in der Nachfolge von obskuren Selbstdiagnosen. Dabei folgt man im Rahmen neuer Rituale oft gruppenspezifischen Lebensstilen. So haben wir z.B. als Ernährungssekten die

  • Veganer (als Fundamentalisten Religionsveganer, als Gemäßigte Modeveganer, Lifestyle-Veganer; oft eine Esskultur mit industriell hergestellten Ernährungsunikaten. Man fühlt sich dabei besser, glaubt einem asketischen Ernährungsstil zu folgen und glaubt an dessen Optimierungskräfte. Z. Z. haben wir in Deutschland ca. 900.000 Veganer (= 1,1 % der Bevölkerung)).
  • Laktose- oder Glutenfreien,
  • Steinzeitdiätanhänger (Paleo-Diät).

Unsere Ernährung ist oft zu einem Dogmenträger Gläubiger geworden, ohne dass es dafür gesundheitsbezogene Ursachen gibt. Jeder vierte Deutsche glaubt, bestimmte Nährstoffe nicht vertragen zu können. Tatsächlich gibt es echte Unverträglichkeiten sehr selten, und sie lassen sich heute leicht nachweisen. Bei

  • Gluten sind es in Deutschland weniger als 1 % der Bevölkerung (23 % der Deutschen meiden aber glutenhaltige Nahrungsmittel, in den USA 30 %; Gluten ist ein Protein, Klebeeiweiß im Getreide und kann das Immunsystem im Dünndarm angreifen; Folge: Blähungen, Durchfall),
  • Laktose: Weniger als 5 % der Menschen in Deutschland betroffen; der Nachweis erfolgt über den Wasserstoff in der Atemluft oder einem Bluttest; die Unverträglichkeit ist nie gefährlich, nur unangenehm.
  • Fruktose-Intoleranz: Eine seltene Erbkrankheit, die zu einer lebensbedrohenden Unterzuckerung führen kann. Sie wird meist früh erkannt und entwickelt sich nicht im Verlauf des Lebens.
  • Histamin-Intoleranz (bei nur einem teilweisen Abbau im Körper):

Die Reaktionen ähneln Allergien; können bei dem Genuss von Tomaten, Makrele Avocado oder Schwarzem Tee auftreten.

Gemieden werden oft auch

  • Cholesterin,
  • gentechnisch entwickeltes Getreide, Gemüse oder Früchte,
  •  

In den USA gibt es in den Lokalen nur noch 1/3 Normalesser und 2/3 Esser mit Sonderwünschen. Man ist bereit, für seine Ernährung erheblich mehr zu bezahlen, obwohl man in seiner Unverträglichkeitsmanie von den jeweiligen Gesundheitsmoden gar nicht betroffen wäre. So machen die Gluten-Ablehnenden das Gluten für alle ihre Leiden verantwortlich, obwohl diese auch nach dessen Meidung weiterhin bestehen und bei einem großen Teil der anderen der Placebo-Effekt ihnen hilft. Der Nachteil eines Meidens von Getreide schafft die Notwendigkeit, seinen Bedarf an Ballaststoffen dann andersweitig zu ersetzen.

Die Dämonisierung von schädlichen Nährstoffen ist im Menschen tief verankert und deshalb oft ein Kernbestand vieler Religionen (viele haben oft strenge Essensregeln). Man schützte sich so vor Vergiftungen. Sein Leben über seine Ernährung heute zu kontrollieren, bietet sich an, weil dies leicht umsetzbar ist.

Die Orientierung

In Ermangelung sicherer Instinkte ist der Mensch auf Orientierungshilfen angewiesen. Sein „Erkennen“ ist letztlich nur ein sich orientieren. Ob er die Gesetze des Seins im Sinne deren absoluten Wahrheit tatsächlich je wird erkennen können, ist seiner Grenzen wegen sehr unwahrscheinlich. Er wird sich immer nur im Rahmen neuer Setzungen, neuer Paradigmen neu orientieren können.

Der Mensch ist ein auf Orientierungshilfen angewiesenes Wesen. Ihr Spielraum wird eingeschränkt durch seine

  • biologischen Vorgaben (Wahrnehmungsorgane, Gehirnaufbau),
  • vorprogrammierten instinktiven Vorgaben (sei es aus den Bereichen
    • der Selbsterhaltung,
    • der Fortpflanzung (hierzu gehört sublimiert – verfeinert, gesteigert – sein Streben nach Status, Macht und Ästhetik),
    • seinen ganzheitlichen Umweltbezügen (zu diesen gehören als Brüche sozial umgesetzte spirituelle Bezüge),
  • soziale Vorgaben (Begriffe, Denksysteme seiner Logiken):
    • Ideologien (in ihrer zunehmenden Rationalisierung: Religionen, Philosophien, Wissenschaften),
    • Verhaltensvorgaben (z. B. Gesetze),
    • Technologien.

Als Mensch besitzen wir zwei Existenzebenen:

  • eine biologische, die evolutionär auf die Fortpflanzung der eigenen Art ausgerichtet ist. Ihr Hauptmerkmal ist die Sexualität, die indirekt alle unsere Lebensbereiche tangiert und kulturell überlagert unser gesamtes Leben beherrscht, sei es in unserer psychischen Grundbefindlichkeit, unserem Sozialverhalten, in allen Bereichen die Statusbezüge schaffen, in unseren Moden und in unseren Künsten.
  • einer kulturabhängigen, in der wir unsere sozialen Orientierungssetzungen erhalten. Genau genommen sind sie beliebig austauschbar und beziehen sich oft auf Hintergrundinstinkte, die aus einer sozial erweiterten Brutpflege abgeleitet sind, an deren erster Stelle als Ideal das Humane steht.

Unsere Orientierungen beinhalten die Ergebnisse unserer neuronalen Prägungen, die uns über unsere Erziehung und Erfahrungen als Kulturleistungen vermittelt wurden. Sie beeinflussen unsere Botenstoffhaushalte (hinter denen wiederum begrenzend unsere genetischen Möglichkeiten, d.h. unsere Ängste und unsere Kompensationsversuche stehen). Unsere Orientierungen sind die Ergebnisse eingefahrener Synapsenbahnen. Emotional erleben wir sie als Seelenzustände, rational als Verhaltensweisen, die wir bei Abweichungen von einem „mittleren Maß“ oft als krank empfinden.

Orientierungen sind immer das, was unserem Leben letztlich einen Sinn gibt. Ihr Fundament erhalten wir in unserer Kindheit. Dann werden in unserem Gehirn ihre entscheidenden Bahnen festgelegt und verdrahtet, mit unserer Gefühlswelt verbunden und mit unserem Neuronenstoffwechsel vertaktet. Zu ihnen gehören positive Inhalte, Werte, aber auch Abgrenzungen und Feindbilder. Welche Bedeutung sie für uns erhalten, hängt nicht von ihren realen, rationalen Hintergründen ab, sondern allein davon, wie stark wir sie prägend verinnerlicht haben und wie stark sie auf unseren beglückenden Transmitterstoffwechsel positiv einwirken können. Dies können unter Umständen die absurdesten Inhalte oder die überspanntesten Ideologien sein.

Unser Orientierungssinn diente einst der erfolgreichen Nahrungssuche, dem Betören des anderen Geschlechts und der Sicherung vor Feinden. Sinnesinformationen wurden im Gehirn in Bewusstseinsinhalte umgewandelt. Seine Inhalte gaben die Bewegungsrichtungen vor und sicherten sie ab, egal ob es im Rahmen eines kurzen Geschehens, eines Tages-, Wochen-, Jahres- oder Lebensverlaufs war.

Wir kennen für alle unsere Lebensinhalte Orientierungsvorgaben:

  • individuelle,
  • soziale (politische, wirtschaftliche. finanzielle, kulturelle).

Aus ihnen allen entlehnen wir unsere (Orientierungs-) Werte:

  • Familienwerte,
  • moralische (z. B. Aufrichtigkeit, Treue, Gerechtigkeit),
  • religiöse (z. B. Nächstenliebe),
  • politische /z. B. Toleranz, Freiheit, Gleichheit),
  • ästhetische (z. B. Schönheit),
  • materielle (z. B. Wohlstand).

Sie alle sind genau genommen nur anthropogene Setzungen, die kulturell überlagert wahrscheinlich weitgehend der Natur entlehnt wurden, heute aber in der Regel Machtinteressen entstammen oder von Bestätigungen bestimmter psychischer Konstellationen, die sich sozial haben durchsetzen können, so z. B. in unserer Kultur die

  • Geschlechtergleichheit, die den biologischen Vorgaben widerspricht.

(Durch die Mitochondrien ist der mütterliche Anteil in uns jeweils größer. Das widerspricht nicht einer rechtlichen Gleichstellung als Setzung).

  • Elternrolle im Erziehungprozess.

Da wir für unsere Orientierungen keine echten Vorgaben besitzen, verbleibt uns im Leben nur die begrenzte Möglichkeit, uns an der Natur in ihrer Ganzheit zu orientieren (nicht an interessenbezogen ausgewählten Einzelfällen).

Als Menschen streben wir nach

  • Sicherheit (Sehnsucht nach einer Stabilität in unseren Orientierungen),
  • Status (einerseits Gesundheit, Kraft und Macht, andererseits das Wahre, Gute, und Schöne, der Welt unserer spirituellen und mythischen Ideale),
  • Sehnsüchten (Bedürfnissen, die jeweils von den Botenstoffgleichgewichten der Betroffenen gesteuert werden),
  • Kompensationsversuchen (oft auf Kosten der Kompensationsopfer; in jungen Jahren gegenüber Menschen aus dem Umfeld (Schulmobbing), im mittleren Alter dann gerne zu Lasten eines Elternteils),
  • sozialen Setzungen (in die die Kultur des Milieus einfließt, in der jemand groß geworden ist).

Die wichtigsten menschlichen Orientierungsbereiche sind im

  • Ernährungsbereich (heute oft als Ersatzreligion gelebt),
  • sexueller Art: Wahrscheinlich tiefste menschliche Neuronenprogrammierung. Kaum ein Bereich in dem mehr geheuchelt wird. Unsere gesamte Kultur (Partnerbezüge, Konsum, Mode, Kunst, der gesamte Kapitalismus mit seiner Statustriebfeder) bezieht sich auf sie. Die Kritik an ihr lebt von der Forderung nach neuen Setzungen (wobei deren tatsächliche Motive, z. B. persönliche genetische Fehlentwicklungen, oft sehr vordergründig sind).
  • sozialen Setzungen: z. B. gleichgeschlechtliche Partnerschaften; als biologische Ehegemeinschaft nicht möglich, als soziale Gemeinschaft tolerierbar, in vielen ihrer Möglichkeiten vielleicht sogar wünschenswert.
  • Paradigma: Anerkannte Orientierungssetzungen im wissenschaftlichen Bereich; unliebsame Positionen werden totgeschwiegen oder ausgegrenzt; nicht konforme Personen an Diskursforen nicht zugelassen (wie z. B. Peter Singer bei der Kölner phil. Cologne).
  • Zukunftsprojektionen (Visionen): wie z. B. das Wissen um begrenzte Rohstoffe; das unaufhaltsame Wachstum der Menschheit; ihr möglicher Ersatz durch Cyborgs.

Die persönlichen Orientierungsbereiche können dabei viel schlichter sein und nur Facetten der Großbetriebe berühren. So können dies z. B. sein:

  • Beziehungen zu Menschen, Tieren oder Gegenständen (deshalb trifft deren Verlust oder deren Infragestellung Betroffene oft so hart),
  • berufliche Vorstellungen,
  • sportliche Normen,
  • Rituale aus den verschiedensten Lebensgemeinschaften,
  • in der Wirtschaft (der Einsatz der persönlichen Arbeitskraft, der Warenhandel, unser Konsum),
  • im Sozialverhalten (die Empathiefähigkeit als Grundlage allen humanen Menschseins),
  • nationale Gefühle (oft so stark verinnerlicht, dass Betroffene bereit sind, ihr Leben dafür herzugeben; dabei sind deren Zugehörigkeitsgefühle oft sehr personen-, bzw. zeitabhängig).
  • Utopien (als Ideale für die Zukunft: die Kinder, die Menschheit, die Erde).

Dabei werden alle diese Orientierungsansätze in unserer Kultur durch die starke Präsens der Medien von Moden bestimmt. Sehr gut ließ sich dies in den letzten Jahren an der Propagierung bestimmter „naturnaher“ Lebensbereiche beobachten:

  • 2006  –  des Einkaufens in Hofläden,
  • 2008  –  des Wanderns,
  • 2010  –  des Guerilla-Gärtnerns,
  • 2011-  des Urban-Gärtnerns,
  • 2013  –  der Sorge um die Zukunft der Bienen,
  • 2015  –  der geheimen Lebensweise der Bäume,
  • 2017  –  der Vogelbeobachtung.

In manchen Jahren wurden auch bestimmte Pflanzen stark in das Blickfeld gerückt, die dann jeder besitzen wollte (in der BRD oft drei Jahre später als in den USA).

Orientierungen können sowohl emotional wie auch rational begründet sein. Emotional sind dies vor allem religiöse und nationale Ansätze und deshalb bei den Betreffenden kaum zu widerlegen, rational wissenschaftliche Ansätze, die sich nur im Alltagsleben als logisch erweisen, darüber hinaus aber weitgehend nur konsumfähige hypothetische Glaubensannahmen darstellen.

(Die Urknallannahme ist dafür vielleicht zurzeit das beste Beispiel. Mathematisch mag sie korrekt sein, obwohl man wahrscheinlich dafür nicht alle Größen kennt, inhaltlich mit ihrer nicht nachvollziehbaren Dichte vor der Singularität – das gesamt Universum mit seinen X-Milliarden Galaxien soll Platz in einem “Körper“ von der Größe eines Tennisballs gefunden haben – kann man nur wie an einen Schöpfergott glauben).

Unsere Orientierungsinhalte sind selten rational fundiert. Sie bauen auf Emotionen, die wiederum unsere Botenstoffhaushalte steuern. Sie sind tief mit unserer Gefühlswelt verbunden und können sogar unsere Selbstheilungskräfte mobilisieren, bzw. unterstützen. Die Heilkraft von Placebos erfüllt z.B. über den Glauben an diese ihre positive Wirkung.

Orientierungen

  • sind der Hintergrund unseres Rollenverständnisses.
  • stellen den Kompass dar, mit dessen Hilfe wir uns in der Welt bewegen.
  • sind die von uns selbst ernannten Götter, die uns unsere Lebensinhalte vorgeben.
  • verwirklichen sich in unserem Lebensstil.
  • liefern Idole (in deren Hintergrund oft interessengesteuerte Agenturen stehen).
  • sind Existenzprioritäten.
  • sind Sitten, Rituale.
  • sind ein „Sinn-„ Besitz.
  • bieten Inhalte der Zugehörigkeit (z. B. über Symbole).
  • erwachsen aus einem Identitätsgefühl.
  • sind Lebensstrategien.
  • müssen Identitäten und Integrationen erlauben.
  • sind Potenzinhalte (z. B. über Statussymbole).
  • verinnerlichen die Kultur der Kindheit.
  • geben unserem Handeln seine Sicherheit.
  • sind in uns verankerte Bilder von Stereotypen.
  • bedeuten ein bewusstes Dasein.
  • geben unseren Gefühlen ihre Sicherheit.
  • sind oft unempfindlich gegenüber Argumenten.
  • bestimmen unsere Verhaltensmuster.
  • bestimmen den Sinn unseres Lebens.

Die menschliche Orientierung ist ein komplexer Vorgang, bei dem das Gehirn eine Leitposition übernimmt. Wer alles auf seine Entscheidungen einwirkt, wissen wir wahrscheinlich nach gar nicht vollständig. Als gesichert können gelten:

  • das Herz über den Sympathicus,
  • das Mikrobiom des Darms, ohne welches das Gehirn gar nicht funktionsfähig ist.

Es selber ist das momentane Endergebnis einer evolutionären Entwicklung, bestehend aus seinen

  • genetischen und epigenetischen Vorgaben,
  • Stoffwechseleinflüssen der Mutter auf den Fötus,
  • sozialen Prägungen (der Kultur seiner Erzieher und seiner Umwelt),
  • Erfahrungen,
  1. h. den Neuronenbahnen in seinem Gehirn und dem Gleichgewicht seines Transmitterstoff-wechsels.

Für die Auswahl seiner Orientierungsinhalte sind in der Regel entscheidend (neben den Grundschaltungen des Gehirns):

  • in der Kindheit das Elternhaus,
  • in der Jugend der Freundeskreis,
  • im Erwachsenenalter
    • die vorhandenen Hirnstrukturen,
    • der persönliche Botenstoffhaushalt,
    • das persönliche soziale Beziehungsgeflecht,
    • die Bewertung der eigenen Erfahrungen
  • im Alter
    • die noch vorhandene Wahrnehmungskraft,
    • die Filter der persönlichen Gebrechen,
    • die Angst vor dem bevorstehenden Ende.

Sie werden abgespeichert und bilden dann die Mauern der jeweiligen persönlichen Existenz.

In unserem Orientierungsverhalten versuchen wir uns auf eine weitgehende Befriedigung unserer Orientierungsinhalte hinzubewegen. Das Ideal ist ein möglichst harmonischer Botenstoffhaushalt in uns, mit einer starken Betonung der Endorphine, d. h. ein möglichst fortwährende Glücksgefühl mit einem positiven Dopamin-, Serotonin- und Oxytocin-Stoffwechsel in uns.

Das wichtigste Kriterium für die Orientierung ist der Grad der persönlichen Betroffenheit. Je mehr, umso stärker ist unsere Gefühlswelt einbezogen, und je mehr diese einbezogen ist, umso  mehr werden wir von ihren Idealen beherrscht.

Unsere Grundhaltungen sind die Ergebnisse von Gehirnprogrammierungen (so z. B. unsere politische Haltungen). Sie bauen auf neuronalen Strukturen und werden von unseren Emotionen beherrscht (ohne dass wir uns dessen bewusst sind), die wir im Nachhinein rationalisierend abzusichern versuchen. Wir meiden deshalb unangenehme Informationen und alles was uns verunsichert, bzw. mit Ängsten verbunden ist. Das Gleiche gilt für komplexe Zusammenhänge, die wir nicht überschauen können. Unsere Wahrheiten befinden sich immer nur im Kausalen, begrifflich erfasst in überschaubaren Logiksystemen, unabhängig von der Summe der Kriterien, die auf sie ansonsten Einfluss nehmen. Einerseits wissen wir zunehmend von der Komplexität der Zusammenhänge in der Welt, andererseits versuchen wir uns darin, mehr oder weniger hilflos, in unserer Begrenztheit oberflächlich zurechtzufinden und unsere Orientierungssysteme darin auszurichten. Zwangsläufig werden deshalb unsere Orientierungsinhalte relativ beliebig.

Für den Menschen gibt es keine offene Orientierung. Er kann, sollte es heute sogar, seinen Götterglauben ablegen. Doch dann stellt sich für ihn die Frage, nach welchen Orientierungsinhalten sollte er sich dann orientieren. Da seine emotionalen Bedürfnisse für einen sozialen Konsens kaum brauchbar sind, verbleiben für ihn in den aufgeklärten westlichen Gesellschaften nur deren rationale Setzungen, deren Leitfunktionen von ihren Geisteswissenschaftlern vermittelt werden. Wir müssen unsere Grundorientierungen, d. h. unsere Philosophien mit unseren heutigen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen in Übereinstimmung bringen. Da diese Setzungen aber selber wiederum oft willkürliche Glaubenshintergründe besitzen, abgesichert durch paradigmatische Schulen, bzw. Interessengruppen, besteht die Notwendigkeit für sie einen stabilen Existenzhintergrund zu suchen. Dabei ist das einzige Stabile in seiner Existenz die Natur in ihrer Ganzheit, in ihrer fortschreitenden Evolution, deren unbedeutendes Teil wir nur sind. Letztlich können wir nur aus ihr die Grundlagen für unsere existentiellen Setzungen nehmen. Unser heutiger Lebensstil zielt auf eine ständige Zunahme unseres Energieverbrauchs und Konsums, auf ein ständiges Wachstum. Und dabei riskieren wir sehenden Auges den Untergang unserer Art.

Unsere Weltbilder beruhen nur auf wenigen Naturkonstanten, die wir in kausale Beziehungen bringen. Die wichtigsten dieser Konstanten sind für uns:

  • die „Bewegung“ von einer uns unbekannten Ausgangssituation aus (die wir als „Zeit“ begreifen),
  • die Evolution (die im Raum immer komplexere Beziehungssysteme entstehen lässt).

Dabei entstehen für uns drei verschiedene Arten von Realitäten (Wahrheiten):

  • subjektive (z. B. Schmerzen),
  • soziale (z. B. Werte),
  • objektive (z. B. wissenschaftliche Folgerungen über unsere Logiksysteme).

Ob es darüber hinaus noch eine absolute Wahrheit gibt, wissen wir nicht und werden wir unsere anthropogenen Grenzen wegen wahrscheinlich auch nie erfahren.

Unsere Orientierung setzt ein Erkennen voraus (aufbauend auf unseren vorausgegangenen biologischen und sozialen Prägungen). Dafür besitzen wir drei Vorgehensweisen:

  • die Anmutung, das ganzheitliche Erfassen von Situationen und eine weitgehend instinktive oder emotionale Reaktion darauf. Sie ist wahrscheinlich unsere bedeutendste, aber vorbewusste Orientierungsgrundlage.
  • eine rational-logische Vorgehensweise, die sich vorwiegend auf die Interpretation kausaler Bezüge bezieht und stark von unseren jeweiligen kulturellen Logiksystemen abhängig ist. Sie ist bewusstseinsmäßig unsere wichtigste Orientierungsgrundlage.
  • unsere Versuche komplexe Bezüge zu verstehen, ihnen gerecht zu werden. Die Erweiterung seiner Wahrnehmungsmöglichkeiten und die digitalen Entwicklungen versprechen ihm hier gewissen Chancen. Letztlich bleiben aber auch sie seinem kausalen Denken verhaftet, nur dass es sich hier graduell vielschichtiger darstellt.

Oft entscheidet über unser Schicksal, welches zentrale Orientierungsmodell uns prägend vermittelt wurde. Selbst unsere Schichtzugehörigkeit bestimmt nachfolgend unseren Orientierungsblick und damit unseren Blick die „Realitäten“ der Welt zu sehen. Jede hat ihre eigenen Perspektiven, Symbole und Probleme. Ihre Summe schafft in uns eine Institution, unser Bewusstsein, dass uns erlaubt, uns vorausschauend zu orientieren. Unser Glaube ist ein Teil von ihm. Er entlastet unser Denken, mindert oder beseitigt unsere Ängste und gibt uns eine existentielle Sicherheit.

Wir orientieren uns bevorzugt am Vertrauten.

  • Ständige Wiederholungen fördern es, heben die Glaubwürdigkeit. Regelmäßige Muster schaffen in uns eine positive Einstellung, da sie einem menschlichen, ästhetischen Grundbedürfnis entsprechen.
  • Was oft gegessen wird (bekannt aus der Kindheit) schmeckt oft besser.
  • Bei Wahlen gelten bekannte Kandidaten oft als vertrauenswürdiger.

Uns helfen:

  • Gewohnheiten (oft auf dem Hintergrund positiver Erfahrungen),
  • Rituale (oft verbunden mit Mythen und Ideologien, sozial verklärt oft im religiösen Bereich),
  • Wissen (oft verbunden mit einem Erziehungshintergrund. Es wird weitgehend aus dem sozialen kulturbesitz übernommen).

Es fällt uns schwer, eingefahrene neuronale Bahnen zu verlassen.

  • Erinnerungen werden heroisiert. Negative Aspekte gerne verdrängt und als Ursache für ein mögliches persönliches Versagen die Umwelt genannt.

(Bei einer Kompensation scheinen Erinnerungsinhalte so selektiv ausgewählt und so neu zusammengesetzt zu werden, dass sie einen selber entlasten und für alles Unangenehme einen Schuldigen finden).

  • Fremde Leistungen werden abgewertet, wenn sie nicht den eigenen Orientierungen entsprechen.

Vielleicht braucht man zu seiner Orientierung ein Objekt, von dem man sich für sich positiv absetzen kann, ein Gegenüber. In der Pubertät (oft auch später) sind es die Eltern, bzw. ein Elternteil, die Lehrer und später gesellschaftliche Größen oder Abstraktionen wie der Teufel.

Es fällt uns schwer, tolerant zu sein, uns andere Orientierungsinhalte anzuhören, weil sie letztlich immer den Stellenwert der eigenen relativieren oder in Frage stellen. In geschlossenen Gesellschaften führen abweichende Meinungen schnell zu einer Isolation. Im Extremfall kann man verstoßen werden. Nur die eigene Meinung gilt als richtig, als „wahr“, die andere als falsch, als eine Zumutung. Sie werden blockiert, ihre Vertreter mundtot gemacht, gegenteilige Meinungen totgeschwiegen. Alle Widersprüche stören. Die Reaktionen darauf können sein:

  • zunächst Stressreaktionen (verstärkte Ausschüttungen von Cortisol und Adrenalin),
  • dann ein ansteigen des Blutdrucks,
  • Gewalt: Sie ist abhängig von der Stärke der Verinnerlichung unserer Orientierungspositionen und unserem inneren Zwang sie zu verteidigen.

Unsere Orientierungsautonomie ist das Ergebnis unserer verinnerlichten Projektionen. Theoretisch können dies alle denkbaren Vorstellungen sein, aus denen der Einzelne sich sein Selbstverständnis ableitet. So ist das Problem des heutigen Feminismus, dass es einer gewissen, psychisch spezifischen Frauenelite (mit besonders vielen Journalistinnen) gelungen ist, ihren Wertvorstellungen einen allgemeingültigen Charakter zu geben, die Hausfrauenarbeit mit eigenen Kindern zu diffamieren, die Frauenarbeit und die soziale Kinderbetreuung zu propagieren und dabei die tatsächlichen Interessen der großen Frauenmehrheit völlig an den Rand zu drängen.

Aus unseren Orientierungen erwachsen unsere Entscheidungen, und aus unseren Entscheidungen ergeben sich Folgen. Hinter ihnen stehen Emotionen und evtl. rationale Entscheidungen. Sie schaffen Verantwortungen (vor denen sich viele zunehmend drücken), wenn wir selber und nicht unser Umfeld dahinter stehen. In unserer Risiken meidenden Gesellschaft ist man verstärkt auf einen Konsum ausgerichtet, auf rechtliche Absicherungen gegenüber möglichen Klagen. Unser heutiges Problem ist das Fehlen echter, brauchbarer Orientierungsvorgaben. Eine Folge davon ist eine große gesellschaftliche Unsicherheit in fast allen wichtigen existentiellen Fragen. Je mehr wir in Probleme eindringen, umso mehr erkennen wir deren komplexe Zusammenhänge und umso mehr meiden wir eindeutige Entscheidungen. Eine Lösung scheint, wegen ihrer Fähigkeit große Algorithmenmengen zu verarbeiten, Computerprogrammen zu sein. Doch nehmen uns diese unseren Entscheidungsbezug, und wir begeben uns in eine persönliche Unmündigkeit. Dabei geht die große Fähigkeit des einzelnen Menschen, auch positive Fehler machen zu können, zunehmend verloren. Wir werden unser Menschsein nur retten können, wenn wir lernen, auf einem neuen, sicheren verinnerlichten Wertesystem diesem auch intuitiv folgen zu können.

 Unser Problem ist: Wer gibt uns heute noch konsensfähige Werte?

  • Nachdem die Religionen in ihrer Zeitabhängigkeit erkannt worden sind und die Kirchen nur noch historische soziale Machtinstitutionen darstellen.
  • Die 68er die historischen emotionalen Volkswerte, die von den Nationalsozialisten missbraucht worden waren, diskreditieren konnten.
  • Die Wissenschaften bei uns zu paradigmatischen, globalen Machtinstitutionen unter amerikanischer Interessenführung geworden sind.

Eine globale Neuorientierung wir erschwert durch

  • unsere Konsumbedürfnisse (als Motor unsere Marktwirtschaft),
  • unseren Kapitalismus als einem kulturell überformten Sexismus

(Eigentlich auf das Streben nach Gewinn als Statussymbol gerichtet, wobei ein Status immer zugleich auch ein männliches Sozialattribut darstellt).

Wer gibt sie uns? Die heutige Philosophie – es wäre ihre Aufgabe – scheint es zurzeit nicht zu können.

Wir besitzen zurzeit keine existentiellen Orientierungssicherheiten mehr. Wir haben sie verloren in Hinblick auf unsere Lebensweise, unser Menschenbild und unser Wirtschaftssystem. Wir leben zurzeit in einer Zeit zunehmender Orientierungslosigkeit. Sie begann bereits vor langer Zeit mit der Einsicht über die häufige Enge sozialer Orientierungsvorgaben, die dann zum Liberalismus führte. Wir leben heute in einer weitgehenden Vereinzelung unserer individuellen Gedankenwelt, die wir positiv aufwertend zu unserer Identität deklarieren. Ein begrenzter sozialer Konsens ist weitgehend nur noch über die gesteuerten Ziele von Interessenverbänden möglich, so dass  wir unserer Selbstzerstörung kaum noch einen Einhalt entgegensetzen können. Die Infragestellung unserer bisheriger Orientierungsinhalte erlaubt es charismatischen Persönlichkeiten, Populisten mit Hilfe der Medien und der Proklamation neuer Lebensziele, Menschengruppen hinter sich zu sammeln.

Wir befinden uns in einer Kulturkrise, sei es als Individuum, sei es als Gesellschaft. Sedlmayers Begriff eines „Verlust der Mitte“ benennt sie treffend. In unserer Unsicherheit flüchten wir in die Esoterik, in die extremsten Ideologien oder zu immer neuen Partnern. In unserer Unsicherheit sind wir unberechenbar geworden. Wir haben Ängste, sind aggressiv, verhalten uns irreal und sind bereit neuen Orientierungsgebern zu folgen. Kein Gedanke ist zu absurd, um einzelnen Individuen für ihre Existenz nicht als zentraler Orientierungsinhalt dienen zu können. Viele von ihnen lassen sich in zeitabhängigen Sammelbewegungen zusammenfassen (wie z. B. die Gender-Bewegung).

Die Orientierungssysteme

Wir besitzen in unseren Gehirnen verschiedene Gruppen von Orientierungssystemen, die auf rudimentären, evolutionsbiologisch verbliebenen Grundanlagen bauen. Zu diesen gehören unsere moralischen Vorstellungen, die es als Grundorientierungen in allen Kulturen gibt und dort jeweils den Grundstock ihrer Werte, Umgangsformen und sozialen Grundverbindungen darstellen. Sie bestimmen weitgehend die nachfolgenden epigenetischen Ausformungen unserer neuronalen Verbindungen, d. h. den Zustand unserer Gehirne in ihrer jeweiligen Existenz.

Es gibt eine individuelle und eine soziale Orientierung. Wobei die Erfüllung sozialer Dienste in der Regel auf die Belohnungssysteme in unserem Gehirn befriedigender wirken. Eine Befriedigung der individuellen Orientierungsziele läuft letztlich auf eine Befriedigung ständiger persönlicher Glücksbedürfnisse hinaus, der Aktivitätssuche von einem „Event“ zum nächsten. Die persönlichen Belohnungssysteme, der persönliche Dopamin- und Serotoninausstoß stehen dann im Vordergrund der jeweiligen Existenz. Die Weltreise wird zu einem Abhacken von oberflächlich durchlaufenen Zielen, die Schiffsreise zur Ablenkung von einer inhaltlichen Orientierungsleere.

Nicht dass es nicht schon immer Feste, Feiern und Vergnügungen gegeben hat. Doch waren diese dann oft nur ein Höhepunkt sozialer Orientierungen gewesen, während sie heute als alltäglicher Befriedigungsstandard nur individuell angestrebt werden und so zum existentiellen Lebensziel geworden sind. Der Daseinsinhalt des Menschen ist allein sein persönliches Glück geworden, unabhängig davon, was es der Evolution der Natur oder Kultur bringt. Das Streben nach der Erfüllung dieses immerwährenden persönlichen Glückszustandes ist damit zum Totentanz der Menschheit geworden.

Die individuellen Orientierungsvorgaben werden von unseren Gehirnprägungen, unseren Transmittergleichgewichten und unseren Werten bestimmt,

unsere sozialen Orientierungsvorgaben von unseren Kommunikationsformen, unserer Kultur und unserem sozialen Umfeld. Oft sind sie stark ritualisiert. In unserer Gesellschaft wurden sie in der letzten Jahrhunderthälfte völlig umstrukturiert. Dazu gehörten u. a.

  • der Anspruch der Frauen auf eine vereinheitlichte, gleichberechtigte Stellung in der Gesellschaft (nicht auf eine frauengemäße). Historische Gegebenheiten – besonders ihre bisherigen Erziehungsfunktionen – wurden von Interessengruppen diffamiert und eine gleichberechtigte Umstrukturierung der Arbeitsplätze eingefordert. Dafür mussten u. a. ihre bisherigen Arbeitsbereiche umstrukturiert werden. Die Kitas und  die Ganztagsschulen wurden eingeführt und die Frauen in die männliche, sexuelle Statuswelt integriert.
  • Die „Inklusion“, ursprünglich für eine bestmögliche Förderung körperlich und geistig Behinderter gedacht, wurde zur Ersatzinstitution für das nun entstandene Erziehungsversagen der Elternhäuser. Da beide Elternteile im Rahmen ihrer selbstverwirklichenden Gleichberechtigung nun arbeiten, bleibt für eine echte Erziehung der Kinder kaum Zeit. Deren jetzt ausgelebter Individualismus der nun psychisch Geschädigten soll nun von der Schule aufgefangen werden.
  • die weitgehende Aufhebung echter Sanktionssysteme, u.a. der früher üblichen körperlichen Züchtigung. Bei der Zunahme vieler psychisch kranker Eltern, die sich darüber an ihren Kindern abreagierten, sprach einiges dafür. Doch nun sind an deren Stelle psychische Sanktionsformen getreten, denen gegenüber die Kinder völlig hilflos sind und die sie wahrscheinlich viel stärker psychische belasten werden.

Es ist einzelnen Gruppen gelungen über ihren Einfluss auf die Medien die biologische Familie, als den Grundstock einer biologisch-anthropogenen Gesellschaft, zunehmend  zu zerschlagen. Durch die Infragestellung einer biologischen Orientierungsmitte wurde auch die bisherige soziale Orientierung infrage gestellt, ohne dass dafür neue, echte Orientierungsinhalte aufgezeigt wurden. Wir wissen  nicht, wie eine zukünftige Menschheit aussehen soll. Welchen Menschen, welche Menschheit wollen wir in der Zukunft überhaupt?

  • Den Heutigen, mit all seinen Unzulänglichkeiten, der sich aber über einen Sonnenaufgang, den Tau im Gras, den Rufen der Kraniche oder den Anblick eines schönen Menschen erfreuen kann, dessen Stoffwechsel dann unkontrolliert beginnt tätig zu werden?
  • Den „verbesserten“ Menschen, sei es durch gentechnische Eingriffe, technische Prothesen in einem immer größer werdenden Umfang bis hin zur „Mensch-Maschine“ (Cyborg) oder chemischen Steuerungsmöglichkeiten?
  • Den „Übermenschen“, hin zu einer zunehmend von Informationstechniken gesteuerten Welt (zunächst bedienend und am Ende nur noch störend überflüssig).

Die Setzungen

Die Grenzen unserer Erkenntnisfähigkeit kompensieren wir für unsere Orientierungen mit anthropogenen Setzungen. In ihnen spiegeln sich unsere Ängste, Wünsche und Bedürfnisse wieder. Hierher gehören z.B. alle unsere Werte und unsere Allgemeinbegriffe, die Universalien. Ritualisiert bündeln wir sie in unseren Mythen, Religionen, Ideologien und rationalisiert in unseren wissenschaftlichen Hypothesen. Sie bestimmen unser existentielles Sein. Durch sinnliche Anreize werden sie nur bewusstseinsmäßig aktiviert. Im Rahmen unseres Erziehungsprozesses uns von unserer Kultur vermittelt, hinterfragen wir sie kaum. Sie übernehmen in unserem Gehirn unsere fehlenden, bzw. verkümmerten Instinkte. Die ersten Menschen orientierten sich an den Erfahrungen aus ihrer jeweiligen Umwelt, die dann mit Mythen, als Antworten auf  nicht zu beantwortenden Fragen ergänzt wurden (z.B. gewachsen aus bestehenden Ängsten, u.a. gegenüber der Entstehung und Funktion des Blitzes). Später  diensten sie dann auch der Sicherung von Vorteilen (z. B. als Werte zur die Sicherung von sozialen Stellungen in der Form von Macht und Privilegien). Die Summe unserer Setzungen steht jeweils für eine Kultur, bzw. technisch umgesetzt für eine Zivilisation.

Alle unsere Kulturen sind Setzungswelten, während unsere Zivilisationen den Beginn eines eigenen Evolutionsstranges darstellen, die von ihren ersten Anfängen der Naturbeherrschung heute in der Erreichung der digitalen Technologien einen aktuellen Höhepunkt erreicht haben. Die Grenzen unseres Erkenntnisvermögens liegen in uns Menschen selber. Alle Aussagen darüber hinaus sind spekulative Bemühungen, die sich aus unserer psychischen Unsicherheit ergeben und Versuche darstellen, ihnen emotional oder rational zu begegnen. Die Metaphysik beginnt dort, wo die Welt unserer Realitäten endet. Da unser Verstand aus den verschiedensten psychischen Grundeinstellungen heraus nach deren Grenzen weiterarbeitet, baut er dort, je nach seinen Bedürfnissen, seine Setzungen auf, die letztlich nichts anderes als psychisch verursachte Fantasieprodukte darstellen.

  • Wir erträumen uns das Paradies aus Bildern, die uns unsere Realität auf Erden liefert. Wir versuchen es in unseren Traumgärten nachzuvollziehen.
  • Auch Gott erhält, in dem Augenblick in dem wir ihn denken, personale Züge aus den Denkstrukturen unseres Ichs.

Im Rahmen unserer Erkenntnisbedürfnisse steht oft am Anfang die Frage nach unserer ursächlichen Herkunft, um aus der Antwort evtl. den Sinn unseres Daseins ableiten zu können. Da wir über diesen letzten Anfang mit unseren heutigen Hilfsmitteln in unseren anthropogenen Grenzen nichts Konkretes aussagen können, begnügen wir uns mit letzten Setzungen wie den „Ideen“, dem „Ursprung“, dem „Anfang“, dem „Gesetz“, denen wir  Attribute aus unserer Vorstellungswelt anhängen. Wenn diese abstrakten Bilder dann für unseren Bedarf nicht ausreichen, ergänzen wir sie durch weitere Attribute zu einem Gott, den wir dann je nach unseren psychischen und sozialen Bedürfnissen mit Eigenschaften aus unserer Vorstellungswelt bekleiden.

Unsere Setzungen haben verschiedene Hintergründe, u. a.

  • instinktive Verhaltensweisen, umgesetzt in soziale Umgangsformen

(Besonders der sexuelle Bereich in der Mode in der aktuellen westlichen Kultur. Zum Beispiel das  zurzeit widersprüchliche verlockende Herausstreichen seines Gesäßes einerseits und dann das Verpönen des Blicks darauf oder die Sanktionierung bei dessen Berührung anderseits).

  • übersetzte Anmutungserlebnisse

(oft in den Religionen oder in der heutigen Kunst)

  • soziale Interessen:
    • für persönliche oder oligarche Machtinteressen auf allen sozialen Ebenen,
    • für den Zusammenhalt von Gruppen (z. B. den Familien, vereinen, der Staaten).
  • kausale Orientierungsvorgaben

(besonderes auf dem Hintergrund von Logiksystemen und Paradigma in den Wissenschaften).

  • rituelle Formen der Naturbeherrschung (oft in der Berufswelt).

Setzungen sind u. a.:

  • alle „a priori“-Vorstellungen Kants.

Sie sind als solche nicht mehr hinterfragbar und führen ohne die Ergänzung durch Wahrnehmungen zu keinen rationalen Aussagen (Erkenntnissen). Als Kategorien sind sie kulturelle Zentralinhalte unserer Logiksysteme.

  • alle Werte

(Oft sind sie unangreifbar stark verinnerlicht. Häufig verbergen sich aber hinter ihnen erkennbare soziale Interessen. Allerdings gibt es ohne sie kein soziales Sein).

Alle unsere Werte sind die Ergebnisse von (sozialen) Setzungen. Problematisch werden sie u. a. dann, wenn sie neurotische Hintergründe haben (wie z-.B. zurzeit im feministischen Bereich viele Werte im Sexualbereich, die von Hysterien begleitet werden).

Hierher gehören auch alle unsere Menschenrechte, unsere Vorstellungen von Freiheit und Gerechtigkeit. Genau genommen besitzen wir auch keinen freien Willen, da unsere Handlungen bereits vor ihren Ausführungen in ihrem emotionalen und damit Werthintergrund entschieden sind. Unsere sozialen Vorstellungen gehen zwar von ihm aus, d. h. unser gesamtes Rechtssystem und unsere sozialen Organisationen. Aber letztlich bleibt er nur eine soziale Erwartung, auf die wir gesellschaftlich nicht verzichten können. Unsere individuelle Freiheit ist in unserer westlichen Welt unser zentraler geistiger, sozialer und politischer Schlüsselbegriff. Als Setzung ist er für uns unverzichtbar geworden, doch stellt sein globales Ausleben die Existenz der gesamten Menschheit in Frage.

  • alle metaphysischen Vorstellungen.

Sie bleiben den anthropogenen Grenzen des Menschen verhaftet und besitzen deshalb keinen echten Realbezug. Hierher gehören alle unsere Vorstellungen von einem

    • höheren Weltwillen (historisch waren seine Setzungen oft sehr stark anthropozentrisch ausgerichtet),
    • Gott, einer Seele oder anderen höher angesiedelten geistigen Kräften außerhalb unserer Wahrnehmungswelt. Sie sind rational nicht erfassbar und sprechen unserem Sein einen höheren Sinn zu, der aber letztlich immer noch auf einem anthropozentrischen Hintergrund beruht.
  • Schönheitsideale in der Kunst

(Früher ihre zeitabhängigen Maßstäbe, heute ihre „Identität“, früher war die „Schönheit“ ihr höherer Sinn, heute ist es ihr Symbolwert).

  • Körperideale

(als gesellschaftliche Phänomene zur

    • Förderung der sexuellen Attraktivität,
    • Förderung der Gesundheit,
    • Förderung eines beglückenden Botenstoffhaushaltes).
  • im Konsum

(bei der Ernährung, Kleidung, Veranstaltungen, Reisen, Statussymbolen in wechselnden Moden).

Unsere ernährungsbezogene Wertmaßstäbe entwickeln sich zunehmend zu naturbezogenen Ersatzreligionen (Bio, vegetarisch, vegan: kein Fleisch, keine Milch kein Honig), die in Verzichtritualen sozial gelebt werden.

  • Gewissen: als verinnerlichte, emotional beherrschte Grundorientierung der Summe unserer Setzungen.
  • Visionen (Utopien) als Orientierungssetzungen für Entwicklungen in der Zukunft.
  • in den verschiedensten Tätigkeitsbereichen (Berufen).
  • in den zwischenmenschlichen Beziehungen (z. B. in der „Kultivierung“ der sexuellen Beziehungen, den Sanktionsvorstellungen und den pädagogischen Ideologien).
  • alle Ideologien:

Oft entstanden aus zeitlichen Bedürfnissen heraus oder geschaffen von charismatischen Personen und dann ausgebaut im Sinne persönlicher oder sozialer Interessen. Als Setzungen können sie mit beliebigen Inhalten befrachtet werden, denen Gläubige, wenn sie diese verinnerlicht haben, oft ohne jede rationale Selbstkontrolle folgen.

  • psychische Befindlichkeiten: z. B. verinnerlichte Kompensationen.

In jungen Jahren gerne durch das Mobben anderer, im mittleren Alter gegenüber den Eltern.

  • kulturorientierte Setzungen, die emotionale Gewissheiten vermitteln, eine Gruppenbildung fördern oder die existentiell sinngebend sind. Durch ihre Verbindung mit verinnerlichten Werten beeinflussen sie unsere Botenstoffhaushalte und werden nicht in jeder Situation hinterfragt. Sie bestimmen unsere Bedürfnisse und deren Erfüllung unsere Glücksgefühle. Damit sind sie für unsere existentielle Orientierung bedeutender als allein rationale Überlegungen.

All diese Setzungen können zu Problemen werden, wenn sie in einen Widerspruch zu einer jeweiligen Umwelt geraten, d. h. z. B.

  • zu einem bestehenden Geschlechtsverhältnis,
  • zu persönlichen Werten (z. B. gegenüber einem „Vaterland“),
  • zur verinnerlichten Ehrvorstellungen,
  • zu verinnerlichten Kompensationshaltungen.

Die Folge davon können rational unverständliche Ablehnungen, aggressive Reaktionen und sogar Tötungsbereitschaften sein. Wenn Orientierungsinhalte negativ besetzt sind, wie z. B. beim Antisemitismus, fällt es leicht, diese für gewünschte Zielsetzungen zu instrumentalisieren. Da hilft ein Wissen kaum, das alle Menschen in ihren Orientierungsinhalten, soweit sie selber gegenüber ihrer Umwelt tolerant sind, den gleichen Wert besitzen. Kein Mensch ist in seinem Kern wertvoller als ein anderer (allerdings ist auch dies nur eine Setzung). Hinter jedem Menschenbild steht eine Ideologie. Es gibt kein wertfreies Bild vom Menschen. Immer steht vor dessen Hintergrund eine Kultur, ein System zugeordneter Werte.

Es gibt für unser soziales Zusammenleben einige Setzungen, von denen wir glauben, dass wir auf sie nicht verzichten dürfen. Dazu gehören

  • die rechtliche Gleichheit aller Menschen,
  • die freie Meinungsäußerung.

Allerdings nur dann, wenn sie an die volle Verantwortung gegenüber der Natur und den Mitmenschen gebunden sind. Alle Setzungen erhalten erst ihre volle anthropogene Bedeutung durch ihre Verbindung mit der Verantwortung, die jeder mit ihrer Nutzung übernehmen muss.

Alle unsere Lebensvorstellungen sind letztendlich austauschbar. Je früher wir sie gewonnen haben, umso schwerer können wir auf sie verzichten. Als Kulturaussagen sind sie verinnerlichte, zeitabhängige Interpretationen unseres Weltverständnisses. So bestimmen sie unsere Bedürfnisse, Sehnsüchte, Träume und Ideale. Wir neigen zwar dazu, nur die Gedanken als realbezogen anzusehen, die anthropomorph (vermenschlicht) ausgerichtete sind, doch umfassen sie nur einen kleinen Ausschnitt des komplexen Daseins. Unser Problem ist, dass je mehr wir rational z. B. über die Natur zu wissen glauben, wir uns gleichzeitig umso weiter von ihr entfernen, obwohl sie unsere Existenzgrundlage ist. Wir wissen, dass wir ein Teil von ihr sind und dass sich alle unsere Lebensbezüge aus ihr ergeben, aber wir leben nicht danach. Bereits für Schopenhauer bestand unsere Welt nur aus der Welt unserer Vorstellungen. Bei unserem heutigen Wissen müssten wir sie in Richtung von mehr Naturentsprechung austauschen,

Ideologien

Der Mensch benötigt zu seiner Orientierung neben seinen Instinktresten Verhaltensvorgaben, d.h. Ideologien, deren allgemeine, grobe Richtungen wahrscheinlich als Grundanlagen in uns rudimentär angelegt sind. Auf diesen offenen Grundanlagen baut er dann seine Mythen, Religionen und seine Wissenschaften. Als Ideologien vermitteln sie ihm ein zu verinnerlichendes Bild vom Sein, das für ihn als Orientierungsinhalt für die „Wahrheit“ steht, d. h. für die Sicherheit, sich danach orientieren zu können. Ideologien unterlegen unserer rationalen Begriffswelt ihren emotionalen Gehalt. Letztlich denken wir vorrangig nicht über Fakten oder Daten, sondern über deren Werthintergründe, über unsere emotionalen Orientierungsprägungen.

Alle unsere Werte haben einen ideologischen Hintergrund und besitzen nur einen Orientierungscharakter. Es gibt keine ideologiefreien Gesellschaften, weil der Mensch Ideologien für seine Orientierung existentiell benötigt. Alle unsere Weltbilder sind Orientierungsideologien. Unsere Probleme mit ihnen beginnen erst dann,

  • wenn diese nicht mehr zeitgemäß sind, z.B. aus vergangenen Jahrtausenden stammen wie unsere Religionen.
  • wenn wir unsere Umwelt wechselten, auf die wir ihre Wertvorgaben nicht mehr beziehen können.
  • wenn hinter ihnen Interessen stehen, die im Widerspruch zu den der eigenen Person stehen (z. B. Interessen wirtschaftlicher oder politischere Art).

Zu den Ideologien zählen wir alle verinnerlichten, vorwiegend sozial vermittelten Orientierungsvorgaben. Ihre jeweiligen zentralen Inhalte sind die sie begleitenden Werte (genau genommen anthropogene Setzungen mit einem entscheidungshelfenden Bedeutungsgehalt). Sie sind soziale Orientierungskonzepte. Sie betreffen besonders

  • den existentiellen Standort (z. B. Heimat, Nation),
  • die Ernährung (z. B. Veganer),
  • die Körperertüchtigung (nachdem unsere Bewegungsleistungen für unseren Stoffwechsel nicht mehr ausreichen),
  • die Fortpflanzung (z. B. die Art der Paarbeziehungen),
  • den sozialen Wertekanon (z. B. die Religionen),
  • die Logiksysteme (z. B. die Grammatik unserer Sprachen, die Logiksysteme und die darauf bauenden Wissenschaften).

Die Ideologien bestimmen

  • unser Identitätsgefühl,
  • unseren Lebenssinn,
  • unsere Leitbilder,
  • unsere Weltbilder allgemein.

Die großen Ideologien des 20. Jahrhunderts waren

  • Humanismus,
  • Liberalismus,
  • Sozialismus,
  • Konservatismus,
  • Nationalismus.

Sie alle scheiterten in ihren historischen Formen an ihrer inneren Enge in ihren raumübergreifenden Ansprüchen. Sie konnten für die fortschreitende Zeit nicht mehr glaubhaft vermitteln, was richtig oder falsch ist.

Unsere gegenwärtigen Ideologien betreffen besonders

  • unseren persönlichen Identitätsglauben

(einer Betonung des Individualismus gegenüber dem Gemeinsamen),

  • unseren Körperkult

(in seinem Kern fortpflanzungsorientiert; heute zunehmend als Antwort auf unser naturfremdes Leben und den Wunsch einer möglichst beständigen Gesundheit),

  • unsere Erziehungsvorstellungen

(weg von der Familie hin zur Sozialbetreuung; weg von körperlichen Sanktionsformen zu psychischen. Es gibt keine Erziehung ohne Sanktionen, denn erst diese prägen im Gehirn die Transmitterhaushalte),

  • unsere Ansprüche auf eine ständige Beglückung

(d. h., einem ständigen Ausstoß von Glückshormonen),

  • einer Gleichstellung körperlichere und psychischer Fehlentwicklungen mit den Normen einer biologischen Mitte

(z. B. im Bereich der Homosexualität),

  • unsere Technikgläubigkeit

(die uns zunehmend gegenüber der Digitalisierung hilflos werden lässt),

  • der Feminismus

(über den es einer gruppe von Frauen gelingt, naturnahe soziale Strukturen zu zerschlagen),

  • die Globalisierung

(hinter der sich oft nur eine Amerikanisierung verbirgt; Kulturell zunächst vorangetrieben, dient sie besonders dem amerikanischen Kapitalismus und zerstört die regionalen Bezugssysteme),

  • eine Kulturnation Europa

(die die meisten europäischen Staaten nur im Sinne ihrer eigenen Vorteils       nahmen verstehen),

  • den Schutz der Natur

(oft ohne Kenntnis deren komplexen Zusammenhänge in unserer Zivilisation und möglichst ohne eigene Verzichte im Lebensstandard).

Unser heutiges Problem besteht darin, dass wir zurzeit keinen Konsens besitzen

  • für ein tragfähiges Gerechtigkeitssystem,
  • was ein soziales Fehlverhalten ist (z. B. gegenüber unsozial erworbenen Wohlstand),
  • für ein sozial akzeptiertes Sanktionssystem,
  • für ein visionäres Zukunftsmodell der Menschheit.

Eine Folge davon ist ein ausuferndes individuelles uns soziales Fehlverhalten.

Die 68er haben einst einen verkrusteten Wertekanon aufgebrochen. Allerdings haben sie bis auf einige Glücksversprechungen und ihre gegenseitige Förderung im Karrierebereich keine neuen geschaffen. Mit ihrer weitgehenden Abschaffung des Sanktionsbereichs ermöglichten sie verschiedenen Individuen unbegrenzte Übergriffe im sozialen und im naturnahen Bereich (entgegen ihren allgemeinen Bekundungen). Neu wurden durch sie u. a.

  • die Erweiterung der Gleichheit der Menschen von der vorwiegend biologischen Begründungsbasis auf die allein rechtliche, damit u. a. eine Gleichheit der Geschlechter. Mit der Überwindung der historischen Arbeitsteilung mussten für die Frauen neue Tätigkeitsbereiche geschaffen werden. Damit mussten historisch unberechtigte Ungleichheiten beseitigt werden. Sie wurden von ihnen allerdings auch genutzt zur
    • Schaffung neuer Privilegien für sich (Quoten),
    • die Aufwertung psychischer Einzelpositionen zum Forderungsstandard für  alle (besonders im sexuellen Bereich).
  • eine schulische Gleichheit durch eine Senkung des Leistungsstandards auf das Niveau aller. Unter anderem
    • durch eine weitgehende Beseitigung der Allgemeinbildung,
    • eine Wahlfreiheit der Ausbildungsbereiche (hin zu den niedrigsten Anforderungen),
    • eine Hinwendung zum Gruppenunterricht (in dem leistungsschwache Schüler unauffällig bei guten Noten in der Gruppe mitschwimmen können),
    • einen weitgehenden Verzicht auf alle negativen Sanktionsformen. (Sie sind heute real kaum noch möglich und damit genau genommen auch keine schulische Erziehung, wie sie von der Schule erwartet wird, da sie in vielen Elternhäusern aus Unsicherheit kaum noch stattfindet).

Während es in der Natur überall individuelle Leistungsunterschiede gibt (z. B. in der Tierzucht, im Sport und im künstlerischen Bereich), werden in unseren Schulen aus humanen Erwägungen alle Leistungsunterschiede nivelliert. Einst waren sie die Triebfedern der Evolution. Nach Möglichkeit soll jetzt jeder ein Einser-Abitur erhalten und die Schule dem Schüler (als einer kindgemäßen Tätigkeitsstätte) immer Spaß bereiten. Das Problem dabei ist  nur, das anderen Gesellschaften dies anders sehen (z. B. die ostasiatischen) und bei ihnen persönliche Leistungsanforderungen einen anderen Stellenwert besitzen. Eine Folge davon wird sein, dass diese im internationalen Wettbewerb Vorteile besitzen werden, bzw. wir gezwungen sein werden, deren Leistungsträger einzukaufen (wie es z.B. in den USA geschieht, bzw.. man zunehmend in unseren Orchesterzusammensetzungen beobachten kann). In unseren heutigen Schulen ist man nicht human, sondern folgt nur zeitgemäßen Ideologien, deren Folge voraussichtlich in vielen Fällen bei den betroffenen Individuen später psychische Schäden sein werden.

Ideologien

  • sind persönliche und soziale Orientierungsmodelle,
  • bilden den Rahmen für unsere Wertvorstellungen,
  • stellen Maßstäbe für unsere Orientierungen dar.

An ihrem Ende steht immer ein Bild von Menschen, eine Utopie. Sie sind damit immer anthropogen. Ihre psychische Ausgangsbasis sind unsere Ängste und existentiellen Grundbedürfnisse wie

  • die existentielle Sicherheit (z. B. durch eine Gefahrensenkung oder mehr Schutz durch die Gemeinschaft),
  • Gerechtigkeit (innerhalb dieser Gemeinschaften),
  • der Wunsch nach Antworten auf Unverstandenes (früher abgedeckt durch Mythen, heute durch die Wissenschaften),
  • die Angst vor dem Tode,
  • der Wunsch nach sozialem Zusammenhalt (z. B. über die Begründung von Ritualen, seiner Natur nach ist der Mensch primär ein Sozialwesen).

Wir benötigen für unsere Orientierungen

  • feste Überzeugungen. Über unsere Erziehung schleifen sie sich in unser Gehirn in unserer frühen Kindheit ein. Danach sind sie oft unumstößlich, da sie immer unser Selbstwertgefühl berühren. Jeder noch so überlegenswerte Einwurf gegen sie läuft dann ins Leere. Wir definieren uns über die Normen der Gruppen denen wir angehören. Ihre Verletzungen, Infragestellungen machen uns empfindlich, – weil sie unser tiefstes Ich berühren, uns selber in Frage stellen, unabhängig davon wie fragwürdig sie rational gesehen oft sind.
  • Wertsysteme wie sie die Religionen stellten und heute zunehmend die Wissenschaften stellen. Wir befinden uns zurzeit in einer Umbruchsituation von den mythengespeisten, emotionsbeladenen warmen Werten hin zu den rationalen, emotional kalten, denen viele Menschen ihre Gesellschaft verweigern, eine Ursache für das Aufkommen populistischer Orientierungsangebote in allen westlichen Gesellschaften. Irgendwie scheinen wir für eine allein rationale Welt psychisch nicht geschaffen zu sein.

Wir benötigen für unsere Existenz einen zeitgemäßen Orientierungsentwurf, der – um konsensfähig zu sein, sozialorientiert zu sein – unser aller Bedürfnisse weitgehend abzudecken vermag und die Qualität einer lebenswerten Vision in sich birgt. Es wäre die Aufgabe der heutigen Philosophie, eine solche zu liefern. Ein denkbarer Ansatz wäre z.B. der einer großen europäischen Nation, aufbauend auf ihrem gemeinsamen kulturellen Erbe bei gleichzeitiger Pflege ihrer verschiedenen Eigenarten als Beitrag zu einem großen gemeinsamen Ganzen.

Wir können  nicht ohne Orientierungsvorgaben, Werte, Ideologien bestehen. Andererseits müssen wir uns aber immer darüber im Klaren sein, was sie alle eigentlich immer nur sind, situationszeitabhängige Setzungen. Oft empfinden wir sie von außen betrachtet als irrational, als tief in uns verwurzelte Antworten auf existentielle Ängste, die wir nicht zu hinterfragen wagen, weil wir uns dann evtl. darüber selber infrage stellen. In unserer Gesellschaft, die auf dem Individuum baut und dieses wiederum auf seiner unantastbaren Identität, wird die offene Gesellschaft propagiert. Allerdings ist es eine Gesellschaft die sich in Lagern, Gruppen, Netzwerken organisieret, so um eine Aufmerksamkeit für sich in der Öffentlichkeit buhlt, andere geistigen Positionen zu verdrängen versucht oder, falls möglich, möglichst totschweigt. Das Problem dabei ist nur, dass ohne einen großen Orientierungskonsens, der sich nicht an den jeweiligen Vorteilen für die einzelnen Gruppen orientiert, wir nicht in der Lage sein werden, die sich abzeichnenden Weltprobleme zu lösen.

Popper war ein Theoretiker der offenen Gesellschaft und ein Gegner aller politischen Utopien. Seine Schüler bilden unsere Regierungen, die keine (realistischen) Visionen mehr besitzen und ihre Länder nur noch verwalten. Das Problem ihrer Gesellschaften ist, dass sie für die Planung ihrer Zukunft keine Leitidee mehr besitzen, ein Problem, das bei den schnellen Umbrüchen in unserer Zivilisation sich umso dringender bemerkbar macht. Wir benötigen Visionen, die uns auch emotional aufnehmen.

In unserer Existenz erwarten wir, dass in uns ständig unsere Glücksbotenstoffe aktiviert werden. Erst dies empfinden wir als ein erfülltes Leben. Orientierungsmäßig geraten wir bei diesen Erwartungen in die Situation, dass wir in unserer gegenwärtigen Umwelt ständig psychisch überfordert sind:

  • persönlich

(weil unsere Außenwelt eine eigene, uns fremde, naturfremde Dynamik besitzt, die unserer genetischen Grundkonzeption widerspricht).

  • sozial

(weil unser zwischenmenschliches Bezugsfeld sich aus Individuen besteht, die sich alle selber zu „verwirklichen“ versuchen),

  • digital

(- und das ist neu -, weil sich hier die Möglichkeit bietet, orientierungsmäßig in glücksbringende Traumwelten auszuweichen und die zivilisatorische Entwicklung so ungestört an sich vorbeiziehen zu lassen).

So projektiert, können wir zwar eine offene, freie Gesellschaft mit ihren autonomen Individuen sein, wir benötigen für sie dann keinen Orientierungskonsens mehr, da die Entwicklung – so organisiert – an ihr vorbeigehen wird. Die Zukunft der Menschheit wird