13.1 Setzungen, Gedanken
- Der Hintergrund jeder Philosophie ist eine Daseinsunsicherheit. Unser „Weltbild“ basiert nicht auf einem Wissen, sondern auf rational überbauten Vor-Urteilen, deren Hintergrund oft ein nicht hinterfragtes Wissen aus zweiter Hand ist, das in sich selber nur ideologisch verformte Wahrnehmungen verzerrt verarbeitete.
Jede Kultur, letztlich jedes Denken, baut auf Strukturen, d.h. die Summe vieler Abstraktionen zu einer geistigen „Meta-Realität“. Der Mensch ist bereits bei seiner Umwelt-„Realität“ nur in der Lage, sie reduziert im Sinne seiner biologischen uns sozialen Vorgaben wahrzunehmen, d.h. als eine „gefilterte“ Realität.
- Alle Gedanken beinhalten in ihrem Kern eine Ideologie. Die Motive hinter einem Denken sind oft mehrschichtig und entziehen sich weitgehend rationalen Begründungen. Der Enge der Welt steht die Weite der Fantasie gegenüber, den menschlichen Grenzen die Vielfalt seiner Träume.
Die Wahrnehmungen des Menschen bestimmen sein Denken und seine Sprache, sein Denken seine Sprache und seine Wahrnehmungen und seine Sprache seine Wahrnehmungen und sein denken. Alle drei Größen bestimmen gegenseitig ihre Enge und Weite. Der Mensch ist eine Verkörperung seiner Wahrnehmungswelt, d.h. seiner Evolution und er ist zugleich eine Verkörperung seiner Sprache (Kultur), d.h. der seiner Sozialisation. Er ist deren beider Ergebnis und verwirklicht sich in seiner subjektiven Befangenheit über sein Denken und Tun.
- Der Mensch ist ständig auf der Suche nach einem „Welt-Bild“, das er zu seiner geistigen Orientierung benutzen kann, einem „Welt-Bild“, von dem er glaubt, dass es seinem persönlichen Standort, seiner „Identität“ entspricht. Er ist sich selten bewusst, dass im Bereich seines Bewusstseins seine Identität das Ergebnis seiner sozial geformten Selbstwertvorstellungen ist. Sie beherrschen sein Denken, seine Arbeit, seine Gesundheit und seinen Alltag. Er bewegt sich innerhalb seines schicksalhaften Standortes nur in einem Strom (und überschätzt sich durch seine persönliche Betroffenheit).
Das Bewusstsein einer eigenen Identität entsteht durch das Abheben des persönlichen Ichs vom Sozialen, von einer konkreten Kultur. Es ist die Leistung eines konkreten Standortes, eines gegebenen Potentials gegenüber der Welt eines sozialen Abstraktions-, Erfahrungskonsenses. Es ist ein aus Konflikten gewachsenes Reifungsergebnis und verkörpert die persönliche Mitte, das geistige Zentrum eines persönlichen Lebens. Identität heißt hier Konzentration auf das Persönlich-Wesentliche. Das Wesentliche heißt, näher sein an „seinem“ individuellen Standort, seinem Sein, um es in seinem Bewusstsein als „Da“-Sein zu leben.
- Eine Selbstverwirklichung bedeutet, sich in einem schicksalhaft gegebenen Standort zu leben und dabei seiner sozialen Orientierung zu folgen. Alle Antworten nach einem Lebenssinn sind darin sekundäre Ergebnisse. Der einzelne Mensch kann an den durch sie ausgelösten Konflikten zerbrechen. Er liefert dann einen Teil seiner Standortenergie direkt in die Bewegungsenergie seiner Umwelt für den weiteren Verlauf der Evolution des Universums. Hinter jeder „Niederlage“ verbirgt sich so ein Gewinn für den hinter einem Standort stehenden zentralen Gedanken. Es geht keine Energie verloren. Gewinn und Verlust sind nur zwei Dimensionen des menschlichen Denkens.
Die Frage nach dem Lebenssinn hängt von einem sozialen Orientierungsprogramm ab. Die mit ihr verbundenen Vorgaben, ihre Determinanten werden bewusstseinsmässig nicht empfunden. Der einzelne glaubt für seine Existenz einen besonderen Stellenwert gefunden zu haben, einen Stellenwert, der seine besondere Stellung im Universum rechtfertigt, die ein Bewusstsein für das Selbstwertgefühl begründen hilft. Dieser im Rahmen seiner sozialen Prägung empfundene Stellenwert ist sein psycho-sozialer Standort. Er ist da und in seiner einzelnen Bedeutungslosigkeit nicht da. Er ist eine Vorgabe und eine Setzung zugleich zwischen denen sich der Mensch als Subjekt dialektisch befindet.
Jeder findet in seiner Erkenntnis nur sich in seinen Grenzen.
- Die Grenzen des Menschen machen alle seine Aussagen über den Sinn seines Lebens zu einer Hypothese. Er hat nur die Möglichkeit im Rahmen eines fraktalen Unschärfespielraumes der Bewegung zu folgen, in die er als „Phasenstück“ hineingeboren wurde. Der einzelne Mensch kann dabei die Vielschichtigkeit seiner Gegenwart nicht erfassen und damit auch nie seinen eigenen „Zweck“.
Die menschlichen Grenzen sind der Hintergrund seiner Kultur, seiner Fantasie, die Grundlagen seiner Existenz. Ohne sie gäbe es keine Kreativität. Nur durch die verschiedenen Grenzen ergeben sich Differenzierungen, die Möglichkeit sich zu orientieren, Wünsche zu befriedigen. Sie sind damit die Grundlage seiner Bedürfnisse und seiner Arbeit. Erst seine Grenzen erlauben es dem Menschen, ein Paradies nach seinen Vorstellungen zu träumen. Ohne sie gäbe es dieses nicht als Vision. Erst durch seine Begrenztheit wird der „gestirnte Himmel“ über ihm zu einem Wert-an-sich.
- Alles Positive des Menschseins hat seine Ursache in der Dualität zwischen der Begrenztheit des Menschen und seiner Offenheit. Der Mensch ist damit im Rahmen seiner Vorgaben, seiner Grenzen auf eine „offene“ Zukunft hin angelegt. Ohne seine Grenzen hätte er keine Ansatzpunkte, Reibeflächen, Konfliktvoraussetzungen, keine Grundlage für eine Arbeit. Durch seine Offenheit hat er zwar das Paradies der Unschuld verlassen müssen, um aber gleichzeitig an der untersten Stufe einer „Evolution der Arbeit“, einem „Paradies über das Soziale“ neu ansetzen zu können. Die Geschichte der Erde machte mit dem Menschen einen neuen Evolutionssprung.
- Visionen besitzen den Charakter sozialer Fernorientierung. In dem Gewicht des sie tragenden Ideals liegt die Kraft ihrer Dynamik. Aus der Problematik der europäischen Kultur und der mit ihr verbundenen „negativen“ Evolutionsmöglichkeiten, aus den drohenden Gefahren für die kommende Menschheit, ergibt sich die Forderung nach einer Betonung humaner Visionen.