Das biologische Wesen des Menschen

Der Mensch ist in sich ein tief gespaltenes Wesen, dass immer hin- und hergerissen wird zwischen seinen

  • Instinkten und sozialen Kultursetzungen (Werten, Idealen),
  • sexuellen Grundtrieben (Dominanz, Stärke, Status und Empathie, kollektives Füreinander-da-sein),
  • Rationalität und Gefühl.

Dieses Verhalten ist das Ergebnis seines genetischen Erbes und seiner Botenstoffcocktails, die als Ergebnis seiner biologischen Konstellation und seiner Reizwahrnehmungen als Orientierungsprägungen weitgehend in der Kultur seiner frühen Kindheit ausgerichtet wurden. Er wird damit zu dem Individuum, das uns gegenübersteht, aber auch zu einem Ergebnis, das in einem Widerspruch zur Evolution seines Körperbaus, seiner Organe, seines Gehirns und seines Stoffwechsels geraten ist. Sein Problem ist dann seine personale Spaltung und dass sein Handeln gegen seine Natur ihn physisch und psychisch krank macht. Als ein Ergebnis der Natur ist er Natur, und sie ist deshalb sein einziger sicherer Orientierungs-maßstab. Unsere Werte sind nur kollektive Setzungen, die als rationale Schöpfungen uns ein Zusammenleben in größeren Sozialeinheiten erlauben.

Das Verhalten eines Menschen wird von seinen Botenstoffen, Transmittern bestimmt. Sie verbinden sein Bauchgefühl und sein Gehirn. Eigentlich für eine andere, kleine Sozialgruppe genetisch geschaffen (bis zu 150 Personen), muss er sich in einer Welt zurechtfinden, die ihn immer weiter von seinen biologischen Ursprüngen entfernt. Seine Kultur richtet ihn jetzt auf eine Existenz als Individuum aus, das zwar hormonell in der Kleingruppe auf Statusorientierung und Sozialpflege einst ausgerichtet wurde, das aber nun in Großgruppen auf kriegerische Auseinandersetzungen, Gewinnstreben und Hegemonialbestrebungen ausgerichtet wird, in dem jetzt sogar auch die weiblichen Botenstoffe auf eine männliche Statusorientierung hin gelenkt werden.

Den Menschen kennzeichnet

  • einerseits sein geschlechtsbezogener Aggressionstrieb, der durch seine in seiner Evolution angelegte männliche Entwicklung möglichst erfolgreich weitergegeben werden soll, bzw. die weibliche Neigung dem Stärkeren zu gefallen. Viele Verhaltensweisen und Werte leiten sich von diesen Bedürfnissen ab, alle seine Statusinhalte oder Moden – das Dominierenwollen einerseits und das Gefallenwollen andererseits sind hier alles. Sie haben die biologische Evolution vorangebracht und als deren biologisches Ergebnis, sind sie tief im Menschen verankert.
  • andererseits – und das ist neben seinen Fähigkeiten zur Kausalorientierung eine Besonderheit, seine umfangreiche Fähigkeit zur Empathie, evtl. als Nebenergebnis seines spezifischen Pflegetriebes. Sie ist sozusagen das Gegengewicht zu seinem Aggressionstrieb und bestimmt weitgehend den anderen Bereich seiner Werte und Sehnsuchtsinhalte. Sie ist ein zentraler Inhalt seiner Kulturen, ein Hauptinhalt seiner Religionen. Alle seine Ideale der Mitmenschlichkeit und Gerechtigkeit haben hier ihren Ursprung.

Eine sozialere Gesellschaft der Zukunft hat nur eine Chance, wenn sie auf einer breiten Betonung der empathischen Aspekte beruht.

Die biologische Grundausstattung beim Menschen ist wie bei jedem Wesen in der Natur sexuell ausgerichtet, auf Fortpflanzung bedacht. Das bedeutet bei uns als Säuger, dass sie zunächst auf einen Statusgewinn hin angelegt ist, beziehungsweise auf das Gefallenwollen. Diese beiden Grundeigenschaften bestimmen letztlich den Hintergrund jedes menschlichen Verhaltens.

Individuell ergeben sich daraus:

  • persönliche Statusbemühungen

(z. B. Ehrgeiz, Gewinnstreben, Macht, Besitz),

  • persönliches Gefallenwollen

(u. a. Kosmetik, Kleidung, Statussymbole),

  • sein Bruttrieb,
  • seine Bemühungen um seine Existenzsicherung

(z. B. Flüssigkeits- und Energiezufuhr),

  • seine persönlichen Glücksbemühungen

(dem positiven Erleben der eigenen Existenz über die Ausschüttung seiner glücksverheißenden Botenstoffe).

Kollektiv ergeben sich daraus:

  • Einflussbestrebungen,
  • Kulturbestrebungen,
  • Kapitalbestrebungen

(die sich verselbständigen können und für den Menschen dann unkontrollierbar werden, wie z. B. die Finanzmärkte, die digitale Datenwelt),

  • Hegemonialbestrebungen, aber auch seine Bemühungen um
    • einen sozialen Zusammenhalt,
    • gerechte Bildungssysteme,
    • eine positive Infrastruktur,
    • ausgeglichene Informations- und Kommunikationsformen.

All diese Eigenschaften sind von seiner Biologie her im Menschen im unterschiedlichen Umfang existentiell angelegt. Er kann sich von ihnen nicht befreien, sondern kann sich nur ihrer bewusst sein. All sein Handeln wird letztlich von ihnen bestimmt und damit, dass wenn er sich in seiner Art erhalten will, er sie über Selbstbeschränkungen und soziale Vorgaben zähmen muss. Ansonsten scheitern alle gut gemeinten rationalen Ideale an seiner triebmäßigen Befindlichkeit.

Wie alle biologischen Wesen hat der Mensch zwei existentielle, physische Triebkräfte:

  • den Selbsterhalt, bestehend aus der Sicherung der
    • körperlichen Unversehrtheit und
    • seiner artgemäßen Energiezufuhr.
  • seine sexuelle Artfortpflanzung. Für diese wird er von zwei Haupteigenschaften beherrscht:
    • seinem Statusstreben, der seinen Ausdruck im Bessersein als die Rivalen findet (im Status-, Gewinn- oder Machtstreben). Er beherrscht, wie allgemein im biologischen Bereich, hauptsächlich die männlichen Mitglieder,
    • die Darstellung seiner körperlichen Vorzüge (Schönheit, Gesundheit, Empathie u. a.). Sie ist besonders für das weibliche Geschlecht kennzeichnend.

Bis vor 10.000 Jahren war der Mensch in Sippen (Großfamilien) organisiert, lebte hauptsächlich als Sammler und Jäger und zog jeweils dorthin, wo er glaubte Nahrung zu finden. Dies änderte sich radikal mit seiner Sesshaftwerdung.

  • Es entstanden organisatorisch Großgruppen. Er fing an, Getreide anzubauen und Tiere für seine Interessen einzusetzen, auszulesen und zu züchten. Sein fortbestehendes Statusstreben wurde jetzt teilweise vom physischen verstärkt auf den psychischen Bereich verlagert.

Religionen begannen die Macht ihrer Repräsentanten zu untermauern (Indien, China, Ägypten, später Rom) und mit ihrer Hilfe die Gesellschaften auch geistig zusammenzuhalten. Ihre zunächst weitgehend auf Anmutungen beruhenden Gedanken wurden zunehmend durch rationale ersetzt (Griechenland). Ca. 2000 Jahre herrschte dann ein Gemisch aus religiösrationalen Überlegungen, repräsentiert von einer Herrscherelite (in Europa dem Adel und der Kirche).

  • Mit der Reformation (in der Renaissance auf breiter Basis bereits vorbereitet) setzte eine Bewegung zum Individualismus ein. Ab jetzt musste sich der einzelne Mensch vor der obersten Instanz (Gott) persönlich verantworten. Mit zunehmender Schnelligkeit verselbständigte er sich jetzt. Da aber gleichzeitig seine Einzelbedürfnisse und er sich unkontrolliert ins Unermessliche vermehrten, bereitete er damit seinen eignen Untergang vor.
  • Mit der Romantik setzte die erste Moderne ein. Die industrielle Großproduktion erlaubte jetzt die Befriedigung der Bedürfnisse der Massen. Die Natur und die Umwelt wurden mit zunehmendem Abstand verklärt. Es folgten der Impressionismus und Expressionismus.
  • Mit der Lebensreformbewegung erreichte dann der Individualismus seinen ersten Höhepunkt. Die zweite Moderne setzte ein, und der Individualismus wurde immer extremer (von Dada bis Fluxus).
  • Mit der Verwissenschaftlichung unseres Lebens in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts begann dann die dritte Moderne mit der Forderung nach einer vollständigen Autonomie der einzelnen Individuen. Sie wurde (oft entwertend) von einem Extremindividualismus begleitet. Selbst eine Notdurft auf einem Teller wurde noch als Kunst hingestellt (real geschehen auf einer Holzplatte). Der Kybernetik folgte die digitale Revolution, die bald darauf von der biologischen begleitet wurde. Der einzelne Mensch kann sich jetzt zunehmend selber genetisch, physisch und neuronal in Richtung eines von ihm gesetzter Ideal verbessern. Und je mehr er in Zukunft seine historischen biologischen Teile wird ersetzen können, desto mehr wird er sich von seiner eigentlichen Natur weg zu einem Cyborg entwickeln.

Zu diesen Schwierigkeiten kommen alle diejenigen noch hinzu, die er sich durch seine ungehemmte Lebensweise zunehmend bereitet.

Die beiden wichtigsten Triebkräfte des Menschen Sexualität und Glücksstreben sind durch seine Naturentfremdung pervertiert und orientierungsmäßig völlig außer Kontrolle geraten. Die Sexualität, die ihren sozialen Ausdruck im Statusstreben fand, pervertierte im Besitzstreben und dieses wiederum in seiner wirtschaftlichen Form im Kapitalismus. Die Gier des Menschen nach immer mehr Besitz wurde zur Grundlage des Hintergrundes seiner Naturzerstörung. Die Pervertierung seines Glücksstrebens verstärkte diesen Effekt individuell, indem Milliarden von Individuen jetzt ihre Wohlbestrebungen zu Lasten der Natur auszuleben versuchen. Im Einzelnen mögen die dabei auftretenden Schäden minimal und von der Natur leicht ausgleichbar sein, durch ihren Gesamtumfang sind sie aber nicht  mehr kompensierbar. Für die Verbrechen an der Natur stehen beispielgebend die Brandrodungen am Amazonas durch die dortigen Großgrundbesitzer, die, um ihr persönliches Einkommen zu vergrößern, den dortigen Wald, der der Erde 20 %  ihres Sauerstoffs liefert, vernichten.

Positiv zeichnen den Menschen u. a. aus: Seine

  • Anpassungsfähigkeit. Sein Problem dabei ist allerdings, dass er nur in einem sehr engen Lebensbereich bestehen kann und dabei ist, diesen zu zerstören. Dies gilt sowohl für
    • den Boden, der seine Ernährung sichert,
    • das Wasser, auf das er existentiell angewiesen ist,
    • die Luft, ohne die er nicht bestehen kann,
    • das Klima, das den Hintergrund seiner Existenz sichert,
    • die Vielfalt der Arten, von denen er lebt.
  • Fähigkeit, Erfahrungen kollektiv zu sammeln und weiterzugeben. Auf ihnen fußen unsere Religionen, Wissenschaften und Zivilisationen. Unsere Fähigkeit rational kausal zu denken, erlaubt es uns, unsere Umwelt nach unseren Vorstellungen linear zu gestalten (aber nicht komplex, wie die Natur es eigentlich ganzheitlich erfordert).
  • Kreativität durch die Einflussnahme seiner Instinktwelt auf seine alltägliche Orientierungswelt.

Durch sie gelang es ihm, alle Lebensräume auf der Erde zu besiedeln, sich selber evolutionär weiter zu entwickeln und auf unserem Planeten in der Zukunft wahrscheinlich eine neue Evolutionsphase einzuleiten. Ob er selber dabei als Art überleben wird, hängt von der Möglichkeit ab, seine negativen Seiten in den Griff zu bekommen. Dies scheint im Augenblick sehr unwahrscheinlich zu sein. Er besitzt vielleicht aber eine Chance.

Negativ ist der Mensch u. a. gekennzeichnet durch:

  • seine ihn beherrschende Statussucht,
  • seinen ständigen Bedarf an Glücksbotenstoffen,
  • seine Orientierungssetzungen (als Ersatz für seine Instinktverluste),
  • seine Naturentfremdung und damit seine psychischen Störungen,
  • seinen artfremden Individualismus.

Weitgehend in ihm genetisch angelegt, machen sie ihn zu einer Bedrohung für seine Umwelt und damit für seine eigenen Lebensgrundlagen. Rational ausgerichtete Appelle mit der Forderung nach einer Zurückhaltung erreichen ihn dabei wenig. Es ist pure Heuchelei, wenn man einerseits vorgibt, sich für den Schutz der Umwelt einzusetzen und gleichzeitig die Freiheitsideale des Individuums betont. Der biologische Drang des Menschen nach einer ständigen Ausschüttung seiner glücksbringenden Botenstoffe zwingt die Individuen geradezu in Naturüberschüssen zu schwelgen. Eine mögliche Rücksicht an einem Ende hebt die Vielzahl der Überschreitungen an einem anderen Ende nicht auf. Durch die oft widersprechenden individuellen Interessen ist der Mensch unbelehrbar geworden. So positiv z. B. das Radfahren in manchen Bereichen ist, so negativ ist es in vielen naturnahen Gebieten geworden. Und niemand bietet ihm Einhalt. Die Radfahrerverbände unterstützen hier unkritisch den Individualismus ihrer Mitglieder. Und ein ähnliches Verhalten ist in vielen Konsumbereichen zu beobachten. Appelle bringen oft wenig, und Verbote schränken die Freiheitsrechte der Individuen ein.

Existentiell wird das menschliche Verhalten von drei Orientierungsansätzen bestimmt:

  • einem evolutionär-biologischen; d. h. der Zusammensetzung seiner Gene, seines Mikrobioms, der epigenetischen Verinnerlichungen seiner Art, über seine Instinkte und seine Kulturen. Das Spezifische beim Menschen ist sein reduzierter Instinktanteil bei seiner Geburt und sein Angewiesensein auf die Verinnerlichung von sozialen Erfahrungen während seiner Kindheit, d h. auf seine kulturellen Prägungen, die für ihn – weitgehend aus Setzungen bestehend – zur existentiellen Daseinsorientierung werden. Er geht von der grundsätzlichen Verschiedenheit aller Individuen aus, die untereinander in einem ständigen Wettbewerb stehen, der weitgehend über sexuelle Reizansätze ausgetragen wird. In unserer Welt sind es hauptsächlich alle Statussymbole und liberalen Freiheitsvorstellungen.
  • einem anthropogenen: Er baut weitgehend auf unseren Setzungen und wurde mit der massenhaften Vermehrung der Menschen zunehmend notwendig. Seine wichtigsten Orientierungsansätze sind die Gleichheit aller Individuen und eine ihnen zugesprochene, anhaftende Menschenwürde. Getragen wurde dieser Gedanke von seiner anthropogenen Fähigkeit zur Empathie.
  • von der Angst: Ursprünglich ein Urtrieb zur Sicherung der physischen Existenz bei drohenden Gefahren oder Sanktionen durch die Gemeinschaft, heute zunehmend ein Ergebnis unserer Wissenschaften hinsichtlich unserer massenhaften Vermehrung und der in Folge damit verbundenen Zerstörung unserer Existenzgrundlagen. Verbunden damit ist das Streben nach Sicherheit (der körperlichen Unversehrtheit und dem Statuserhalt), das damit zu einer Hauptfunktion aller sozialen Gemeinschaften wurde. Die Verkennung der persönlichen Bedeutung dieser Triebkraft für den Menschen lässt sich zurzeit in der BRD besonders an dem Bedeutungsverlust der ehemaligen Volksparteien beobachten, zunächst bei der SPD und heute bei der CDU. Dieser Orientierungsansatz ist es, der in Zukunft – besonderes in unserer Arbeitswelt – unser Denken beherrschen wird.

Politisch sprechen wir zwar immer noch primär von der Menschenwürde aller Existenzen, um dann aber in den Freiheiten, die wir uns nehmen, unsere individuellen Bedürfnisse rücksichtslos und möglichst unbegrenzt auszuleben.

Die menschlichen Triebkräfte bestimmen weitgehend die menschliche Existenz, seinen Wunsch nach

  • einer existentiellen Sicherheit,
  • einer Orientierungsmöglichkeit nach seinen sozialen Wertvorgaben,
  • einer sozialen Anerkennung (als Ausdruck seines biologisch in ihm angelegten Statusstrebens, als vorgegebene Form des Auslebens seines sexuellen Fortpflanzungstriebes),
  • einer Realisierung seiner individuellen Einzigartigkeit.

Alle Gruppierungen in unserer Gesellschaft müssen versuchen, in ihren Orientierungen ihnen gerecht zu werden. Früher war dies in Europa relativ einfach, als die Kirche noch für alle Mitglieder eine von diesen akzeptierte Antwort wusste. Später erfolgte dann die persönliche Anerkennung und die Statuszuweisung über die Tätigkeiten, über den Beruf. Als dieser dann für die großen Menschenmassen durch die Industrialisierung seinen bisherigen sozialen Stellenwert verlor, wurde es die Nation, die Kulturgemeinschaft im Sinne einer Schicksalsgemeinschaft. Durch die großen Kriege ist dieser Orientierungsansatz brüchig geworden. Amerikanische Umerziehungsmaßnahmen haben uns zwar oberflächlich zu globalen Weltbürgern gemacht, genau genommen aber nur zu Unterstützern ihrer Hegemonialbestrebungen. Besonders deutlich wird dies am Zurückdrängen der deutschen Sprache auf allen nur denkbaren internationalen Ebenen (auffällig z. B. auch in Brüssel, obwohl das Deutsche die verbreitetste Muttersprache innerhalb der europäischen Mitgliedsländer ist).

In Deutschland haben wir zurzeit für die Orientierung drei soziale Hauptströmungen, den

  • Konservatismus, der an traditionellen Orientierungsvorstellungen festhält, besonders denen der christlichen Kirchen und der bürgerlichen Wertvorstellungen,
  • Liberalismus, der über das Erbe der Aufklärung besonders die individuellen Rechte betont,
  • Sozialismus, hervorgegangen aus dem Gedankengut des Urchristentums, der Gleichheit der Menschen und dem Gedanken der Gerechtigkeit.

Unser heutiges Problem ist dabei, dass sie zwar noch an alte Parteien erinnern, die aber alle, genau genommen, ihre historischen Orientierungsinhalte verloren haben. Die alten Volksparteien zerfallen und sind weitgehend nur noch Interessenvertreter von lobbyistischen Netzwerken geworden, die sich jeweils intern auf der Suche nach Einfluss bekämpfen.

Wir leben heute weitgehend in einer Welt ohne allgemein akzeptierte Regeln, in der alle nach der Sicherheit einer gewissen Orientierung suchen, um für ihre Existenz eine gewisse Sicherheit zu erhalten. Oberflächlich mag es die Zahl der „Follower“ sein, für die man sich möglichst attraktiv und einzigartig darstellt. Mit Hilfe seines Handys ist man ständig auf der Jagd nach Aufmerksamkeit. Die persönliche Existenz wird in Ermangelung eines anderen Inhalts zu einem Dasein der Selbstinszenierung. Je nach den persönlichen Selbstdarstellungen wird es für die meisten dann eher oder später zu einer Existenz der Frustrationen, zu einem  Abwandern in psychische Krankheiten. Einen gewissen Ausweg für eine kurze Zeit stellen Kinder dar, die einen neuen Existenzsinn vermitteln können. Danach sind es wieder verstärkt Konsum- und Tourismusangebote oder das soziale Umfeld, die ideelle Aufgabe, für die man sich einsetzen kann oder auch in einer größeren Sicht die Kultur, die Sprache der eigenen Nation, der man sich zugehörig fühlt. Ein Grund für das Scheitern der Traditionsparteien ist, dass sie z. B. das letzte Kriterium bei ihren Globalisierungsvorstellungen vergessen haben.

Das prägendste Kennzeichen des Menschen ist sein teilweiser Instinktverlust und sein Angewiesensein auf eine Orientierung mit Hilfe von Setzungen. Diese Setzungen erhält er weitgehend während seiner frühen Prägungsphase als Inhalte seiner ihn umgebenden Kultur über seine Erziehung als Orientierungswerte. Sie betreffen psychisch hauptsächlich drei Kernbereiche:

  • seine Fortpflanzung: Dieser Bereich wird auch heute noch in ihm weitgehend instinktiv mit allen seinen Erscheinungsformen bestimmt, bei den Männern wie bei fast allen Säugern als Statusstreben, als Wunsch sich hervorzuheben durch Stärke, Macht oder eine andere besondere, als positiv empfundene Eigenschaft. Dies Streben beherrscht ihn in allen seinen Lebensbereichen, sogar in der Wirtschaft in der Form des Kapitalismus, dessen Haupteigenschaft es ist, über einen Markt entscheiden zu lassen, wer der jeweils Stärkere ist. Seine Ablehnungen desselben greifen in der Regel zu kurz, da sie diese seine fundamentale Eigenschaft außer Acht lassen.

Bei den Frauen ist es besonders das Gefallenwollen, das seinen Ausdruck in den Moden findet und die Wirtschaft über die Werbung beherrscht. Hinzu kommt deren stärkere Fähigkeit zur Empathie und zum Pflegebedürfnis.

Wenn wir heute in unseren Gesellschaften diese entscheidenden Eigenschaften außer Acht zu lassen, z. B. im Feminismus, werden wir diesen archaischen Anlagen im Menschen nicht gerecht und sind mehr oder weniger auf willkürliche, austauschbare Setzungen angewiesen, die nicht unserer Natur entsprechen und im Endeffekt unseren Untergang fördernd begleiten.

Wie stark unsere Schönheitsorientierung uns evolutionsbiologisch vorgegeben ist, mögen folgende Beobachtungen belegen:

  • bereits Babys blicken länger auf ein schönes Gesicht,
  • Mütter knuddeln hübsche Babys länger,
  • Bewerber mit attraktiven Fotos werden häufiger zu Einstellungsgesprächen eingeladen,
  • gut aussehende Menschen sind erfolgreicher, verdienen mehr bei gleicher Qualifikation als weniger attraktive,
  • symmetrische Gesichtszüge versprechen gute Gene und Gesundheit.
  • Wir alle  halten schöne Menschen für ehrlicher, freundlicher, sympathischer, intelligenter und kompetenter.

Über das Aussehen eines Menschen schließen wir bereits – weitgehend unbewusst – auf dessen Eigenschaften. Wir bewerten sie danach verschieden. Und das erfolgt unabhängig von unserem Alter und unseren Erfahrungen. Dabei haben attraktive Männer eher Einstellungschancen als attraktive Frauen (weil letztere für Teams als mögliche Bedrohung angesehen werden; Kolleginnen eifersüchtig sind; Neid, Konkurrenzdenken – bei der dazu gehörenden Befragung in Israel waren 93 % der Befragten Frauen !). Das weibliche Beachten des Aussehens ist, wie bei den Männern der Status, eine zutiefst evolutionär vorgegebene geschlechtliche Grundhaltung.

Die beiden anderen Setzungs-, Wertbereiche sind:

  • Der Mensch ist primär ein Gemeinschaftswesen (kein Individuum wie unsere Kultur es uns vermittelt. Die Lehren des Konfuzius kommen deshalb dem menschlichen Grunddasein viel näher als unser westlicher Individualismus).

Der Mensch ist seinem Wesen nach durch seinen Instinktverlust primär ein gemeinschaftsabhängiges Wesen. Ohne eine Gemeinschaft ist er nicht existenzfähig.

  • sein Dasein als Individuum.

Beide sind völlig subjektiv von jeweiligen, beliebigen Ideologien abhängig, das eine Mal für die Aufrechterhaltung und Lenkung der Gemeinschaft und das andere Mal für die persönliche, individuelle Ausschüttung der Botenstoffe. Sie sind primär egoistisch ausgerichtet und unterlaufen durch ihre genetisch bedingte Vielzahl jede Möglichkeit zu einer Gemeinschaft und damit zu einem gemeinsamen Handeln bei größeren, die ganze Menschheit betreffenden existentiellen Problemen.

In Ermangelung einer umfassenden Instinktwelt ist der Mensch ein auf Orientierungshilfen angewiesenes Wesen, d. h., ein auf soziale Hilfen angewiesenes Wesen. In seiner Kindheit erfährt er die ersten über seine Erziehung als Prägung, danach  weitgehend über Informationen aus seiner Umwelt und über die Medien. Damit kommt letzteren eine besonders große soziale Bedeutung zu, da sie mit Hilfe ihrer Berichterstattung die Stimmungen in der Gesellschaft und damit deren Orientierung beeinflussen können. Alle unsere Wahrnehmungen gehen durch die Filter unserer Prägungen, unserer Werte. Sie bestimmen die Aktivierung unserer Botenstoffe und damit die Verbindungen in unserem Kopf. Jedes Gehirn ist durch seine Schaltungen und seine Transmitter zunächst der Filter unseres Bewusstseins. Unsere Setzungen bleiben die Mauern unserer Welt, sind unsere Grenzen auf dem Hintergrund unserer sozialpolitischen Ausrichtung. Der einzelne Mensch kann seiner Wertwelt nicht entfliehen, er kann deshalb auch nie neutral sein. Keine Erfahrung gleicht einer anderen. Sie haben alle als Hintergrund ihre eigene Welt im Sinne der Qualia. Wir versuchen, mit unserem Gehirn unser Paradies zu finden. Wo es dann ist, erfolgt eine Ausschüttung unserer Wohlfühlbotenstoffe.

Entscheidend für unsere Existenz sind unsere verinnerlichten Orientierungsprogramme, die Wertvorgaben in unserer Sozialisation. Besonders deutlich wird dies auf dem Balkan. Von ihrer Herkunft her einst alle die gleichen Menschen, dann verschieden geprägt, das eine Mal von der orthodoxen Kirche (Serben), das andere Mal von der römisch-katholischen Kirche (Kroaten) und später vom Islam (Albaner), bekämpften sie sich mordend gegenseitig um ihre jeweilige Vorherrschaft, jeweils vereint unter der Orientierungsvorgaben eines angesehenen Wortführers.

Wir brauchen für unsere Orientierung Autoritäten, denen wir folgen können. Früher kamen sie allein aus unserm Gruppenumfeld, heute weitgehend – in ihren Aussagen unüberprüfbar – aus einem relativ anonymen sozialen Informationsumfeld.  Alle unsere Werte besitzen kaum einen eigenen neutralen Erfahrungshintergrund. Sehr oft sind sie die Ergebnisse von ideologischen Konkurrenzkämpfen, undurchschaubaren Rivalitäten, Statuskämpfen auf höherer sozialer Ebene. Wir können uns diesem in uns genetisch angelegten Orientierungs-muster weder persönlich noch kollektiv entziehen. Auch das Hegemonialstreben der Staaten ist eines ihrer Folgen, das zu ihren Vorherrschaftskämpfen und Kriegen führt. Zurzeit erleben wir dies am deutlichsten bei den Hegemonialmächten USA (in seinem Kern verstärkt westlich-liberal ausgerichtet) und China (das in seinem Kern mehr kollektiv-konfuzianisch ausgerichtet ist), um die globale Vorherrschaft. Individuell und kollektiv untereinander uneins, wie das westliche Leben vorherrschend bestimmt wird, spricht vieles dafür, das in der Zukunft China diese Auseinandersetzung gewinnen wird.

Da wir in unserer Kultur in unseren Orientierungen nicht bewusst von dem in seiner Evolution entstandenen Menschen ausgehen, sondern in unserem rationalen Verhalten unbewusst von unseren jeweils aktiven Botenstoffen weitgehend gesteuert werden, ergeben sich eine Vielzahl Probleme. Da in der Natur alle Beziehungen komplex angelegt sind und nicht rational-kausal wie wir programmiert sind, wie wir denken und handeln, vergewaltigen wir sie ständig. Wir können ihr gegenüber nur mit unseren kausalen Logiksystemen begegnen und behelfen uns über die Addition kausaler Lösungen, doch werden wir damit dem Erfassen ihrer Gesamtbezüge nur selten gerecht. Unser Denken hilft uns nur in unseren einfachen, direkten Orientierungszügen weiter.

Auf eine Orientierungshilfe angewiesen, stellen sich für den Menschen einige zentrale Fragen, u. a.:

  • Was ist der Sinn meines Daseins?
  • Was kennzeichnet mich als Individuum?
  • Was sind meine Grundrechte als Individuum?
  • Wo muss ich, sollte ich Gemeinschaftsforderungen folgen?
  • Gibt es überhaupt Gemeinschaftsrechte?

All diese Fragen vereinen sich in der Hauptfrage: Was kennzeichnet mich als Menschen?. Und allen Antworten darauf, haftet die Grenze an, dass sie von den einzelnen Personen immer nur im Sinne ihrer Kultur erwidert werden können, im Sinne ihrer Prägungen.

Bei näherer Betrachtung ist der Mensch ein gespaltenes Wesen, eine biologische Art und zugleich ein sozialer Charakter, ein Kulturprodukt. Und in dieser Dualität vollzieht sich sein Schicksal, erreicht er seine anthropogenen Höhepunkte und voraussichtlich auch seinen Niedergang.

Durch unsere Zivilisation geraten unsere Wahrnehmungen in eine für sie biologisch fremde Reizwelt. Sie können darauf gar nicht mehr „normal“ reagieren:

  • Für die Augen haben sich unsere zivilisatorischen Wahrnehmungsobjekte in ihren Formen und Farben von denen der Natur weit entfernt.
  • Unserem Geruchssinn begegnen nur noch massive Düfte, die es in ihrer Zusammensetzung und Intensität so in der Natur nicht gibt. Selbst unsere menschlichen Gerüche überdecken wir nach irgendwelchen Moden.
  • Unser Geschmackssinn kennt kaum noch unbearbeitete Naturprodukte.
  • Auf das Gehör dringen zunehmend Geräusche, die es in der Natur nicht gibt.
  • Unser Tastsinn ist weitgehend von leblosen Objekten umgeben.
  • Unser Gleichgewichtssinn (weitgehend vom Innenohr bestimmt) wird von den ständigen Rückenproblemen der Menschen begleitet, da die meisten Leute ihre Zeit nur noch sitzend verbringen.

Das Erholsame der Natur für uns hat seine Ursache darin, dass es uns in die Welt wieder zurückführt, für die wir einmal geschaffen worden sind. Diese ist dann der Hintergrund für eine mögliche Genesung, z. B. die heilende Kraft des im Augenblick modischen „Waldbadens“ oder des Meeresrauschens.

Wir sind persönlich ein Ergebnis unserer Genzusammensetzung und unserer Umwelt. Da wir uns in letzterer immer mehr von der Natur entfernen, für die wir uns in unserer Evolution entwickelt haben, treten zunehmend Ungleichgewichte in unseren Botenstoffhaushalten auf, und wir geraten zunehmend aus unseren psychischen Gleichgewichten. Unsere naturfremde Existenz tut dann das übrige: fehlende Bewegung, falsche Ernährung und eine naturfremde Reizwelt. Viele unserer Stimmungen, unserer psychischen und physischen Krankheiten, unseres Sozialverhaltens sind ein Ergebnis dieser Situation. Unsere Zivilisation schafft in uns psychische Störungen, weil wir biologisch in unserer Evolution nicht auf sie programmiert worden sind. Unsere verschiedenen Phobien und Berührungsängste sind oft eine Folge davon.

Dem Aggressionstrieb des Menschen, der einst seinem genetischen Fortschritt diente, steht sein Lachen bzw. Lächeln gegenüber, das zugleich seine kollektive Fähigkeit, sein soziales Dasein erst ermöglichte. Erst über sein Lachen zeigte er, dass er seinem Gegenüber nicht feindlich gesinnt war. Erst die Andeutungsfähigkeit seiner friedlichen Gesinnung erlaubte ihm die Bildung sozialer Gemeinschaften, die dann nicht nur die Evolution des einzelnen Menschen, sondern die der ganzen Menschheit als Ganzes in Form ihrer Kulturen und Zivilisationen zur Voraussetzung  hatte. Zunächst über Gemeinsamkeiten gepflegt, gemeinsame Jagden, gemeinsames Essen, gemeinsames Spiel und dann über gemeinsame Musik und gemeinsamen Tanz, die dann in Verbindung mit Naturdeutungen und ethischen Setzungen (Vorgaben für das Gemeinschaftsleben) in Religionen einmündeten, – Religionen, die mit dem Passus „macht euch die Erde untertan“ dann den Hintergrund für den möglichen Untergang des Menschen legten.

Bei all dem vielen Negativen des modernen, individuell ausgerichteten Menschen muss aber auch gesagt werden, dass gerade erst seine Unvollkommenheit die Vielfalt seiner Gefühle ermöglicht, das ehrfurchtsvolle Staunen vor der Größe der Natur oder dem sinnlichen Genuss des Ästhetischen. Ein Dasein in der Vollkommenheit der Götter würde es ihnen zwar erlauben, über das dem Menschen (noch) unbekannte „Gesetz“, selbst ein anthropogenes  Universum zu schaffen, es dürfte aber darüber hinaus, in seiner Vollkommenheit für ihn sehr langweilig sein.