7.1 Setzungen, Gedanken
- Zwischen einem ganzheitlichen und strukturellen Erfassen der „Welt“ steht als individuelle Möglichkeit des Umsetzens eines persönlichen Standortes die Kunst. Sie kann in ihren „Aussagen“, – da mit relativ offenen Symbolen arbeitend die metaphysische Situation des Menschen anklingen lassen.
- Sie ist (in einem modernen Verständnis) ein sozial legitimierter und kultivierter Ausdruck der „Ein-Sicht“ in unsere Befindlichkeit und macht uns u.a. unsere Stellung in der Welt deutlich.
- Sie besaß in allen Epochen eine andere Bedeutung. Sie war zunächst „Zauber“, diente dann der „Verehrung Gottes“, später der „Verherrlichung des Ruhmes eines Herrschers“ und seit dem Aufkommen des Bürgertums wurde sie zu einem Ausdrucksträger der Ästhetik, innerlich verflacht zur Dekoration. Ihre Geschichte ist die Geschichte eines inhaltlichen Bedeutungsverlustes bei einer gleichzeitigen Verlagerung ihres sozial-verbindlichen Stellenwertes zu einem subjektiv-offenen. Heute ist sie primär der Ausdruck unserer Beziehung zu unserer Umwelt, unserer Leiden an ihr, der Ausdruck einer psychischen Befindlichkeit. Insofern kann sie auch einen „Un-Sinn“ vertreten, die Verschiebung eines Sinnes innerhalb der Bedeutungskriterien unserer realen Welt.
- Die heutige Kunst ist:
- das Arbeitsergebnis eines sensitiven Umweltbezuges.
- das kreative Umsetzungsergebnis von Spannungen der nichtrationalen Bewusstseinsebenen mit der Außenwelt, übertragen auf Zeichen und Begriffe, für die oft erst ein sozialer Konsens geschaffen werden muss.
- die kreative Entäußerung einer „gelebten Neurose“ unterschiedlichsten Grades.
(Der leidende Mensch ist ein Detektor und seine psychischen Wunden dienen ihm als Seismograph, durch die er seine Umwelt „sieht“. Das „Ver-rücken“ von Perspektiven, das Leben in Grenzsituationen lässt ihn Bestehendes anders sehen und neu Aufkommendes eher empfinden. Das bedeutet aber nicht, dass jeder Neurotiker ein Künstler ist). - das Ergebnis einer Auseinandersetzung mit der „realen“ Welt. Je weiter der Naturbezug in einen Hintergrund gedrängt wird, um so abstrakter wird sie. Sie ist als Antwort auch in dieser Form immer eine Aussage.
- der Ausdruck einer bestimmten Kultur, einer Geschichte. Von Individuen in Symbolen festgehaltene Informationen werden zu Ausdrücken einer Zeit, einer Antenne für etwas, einer Hinwendung zu etwas.
- eine zu einer inneren „Harmonie“ drängende Tätigkeit, eine von Techniken und Material beherrschte Arbeit, eine Orientierungsantenne zur Welt. Ihre Hochleistungen sind Antennenprodukte hochsensibler Menschen in einer bestimmten Umwelt.
- ein Träger psychosozialer Antennen. In einem frühen Ansprechen eines Wechsels der Werte liegt ihre ankündigende Bedrohung für die Welt der Etablierten.
- Kunstwerke repräsentieren Abläufe eines Prozesses, in denen der schöpferische Mensch sich als Individuum sozial einbringt (oft überzogen sich in einem narzistischen Selbstwertgefühl prostituiert). Sie sind für ein zeitgemäßes Verständnis gut, wenn die Spuren dieses „Prozesses“ nachempfunden werden können, bzw. neue Reaktionen auslösen.
- Die Kunst erschließt „Ein-Sichten“. Dient sie einem sozialen Ziel, dann gibt sie diesen ihren „allgemeinen“ Charakter auf und hat eine funktionale Bedeutung. Sie kann dann nur noch vorhandene „Ein-Sichten“ verstärken oder interpretieren und als Werbung „verführen“.
- Die Kunst repräsentiert eine erfahrene (in unserer Zeit eine zunehmend erlittene) Wirklichkeit, ihre Ergebnisse sind Ausdrücke einer vorangegangenen, oft undifferenzierten, ganzheitlichen Kommunikation. Sie entziehen sich letztlich einer rationalen, d.h. verbalen Interpretation. Die Kunst kann nur über ein „Gefühl“, einen sinnlichen Zugang erfahren werden. Die Sprache macht aus ihr ein sozial erfassbares Objekt, während sie selber aber die Entäußerung eines Subjekts ist. In diesem Zwiespalt liegt ihr Dilemma.
(Die Kunst beinhaltet ein sinnenhaftes Begegnen mit der Umwelt, eine ganzheitliche Begegnung mit der Farbe, Form, der Struktur und der Bewegung. Dabei wird das Ergebnis zum Symbol des „Inhaltes“ eines Objektes auf dem Hintergrund der Seelenlage eines Menschen, das offener ist als das einer vorgegebenen Sprache. So ist z.B. die Honigpumpe von Beuys ein Symbol der Natur, der Technik, einer Bewegung, eines Kreislaufes und damit unserer Welt).
- Ein Kunstwerk besitzt je nach seinem Inhalt mehrere Betrachtungsebenen. (Bei einer Interpretation kann auf diese je nach den Vorgaben, Kriterien und Zielsetzungen akzentuiert eingegangen werden). Es ist für dieses typisch, dass bei der Zerlegung seiner Struktur es später ganzheitlich nicht mehr im alten Sinne durch ein einfaches Zusammenfügen seiner Teile erfasst werden kann. In der Regel entsteht eine neue Ganzheit, eine neue rational unterlegte „Realität“ mit neuen inneren Gewichten. Welche Strukturebene jeweils als das entscheidende Kriterium für die Kunst angesehen werden soll, ist eine kulturabhängige Setzung.
Eine analytische Annäherung zerstört immer seine Ganzheit. Sie hat deshalb nur als Wissensphänomen innerhalb des Kulturganzen einen Sinn. Ansonsten wirkt sie hinsichtlich eines unmittelbaren inneren Zuganges zerstörend.
- Früher folgte der Künstler in seinen Arbeiten den Konturen der Natur, heute folgt er nur noch seiner Sehnsucht nach ihr, nach dem, was er dafür hält, da es diese für ihn nur begrenzt, nur noch stark reduziert, vergewaltigt oder gar nicht mehr gibt.
- Aus sozialer Sicht ist die moderne Kunst ein Ausdruck des Ringens eines Individuums um seine psychische Gesundheit, in dessen Bemühen sich die Sensiblen wiedererkennen. Sie wird zur offiziellen Kunst, wenn sie in unserer Gesellschaft vermarktbar ist und Interessengruppen verspricht, ein Geschäft zu werden.
- Sozial gesehen ist die Kunst eine kulturabhängige Form der Kommunikation. Je nach deren gültigen Orientierungskriterien waren und sind ihre wichtigsten Ansätze der Glaube, die Ästhetik, die Selbstdarstellung und der Konsum als Statushintergrund. Sie hat im Laufe ihrer Geschichte einen Prozess abnehmender Verbindlichkeit durchgemacht. Oft ist sie nur noch der Ausdruck einer Bewusstheit und als Konsum nur noch Dekoration mit einem ästhetischen Design.