8.1 Setzungen, Gedanken
- Der Mensch verlor seine „Unschuld“, als er anfing rational in Strukturen zu denken. Er reduzierte seinen sinnbetonten, ganzheitlichen Umweltbezug auf einen kausal-mittelbaren. Mit der Reflexion begann damit seine Vertreibung aus dem Paradies. Er begann sich aus der Einheit der Natur auszugliedern, seine eigene „Welt“ aufzubauen und seine Herkunft vergewaltigend, schuldig zu werden.
- Der rationale Orientierungsansatz ist im Menschen a priori angelegt.
- Die Rationalisierung der menschlichen Umwelt bedeutet ein Vorgehen nach strukturgebundenen Interpretationsmustern, die auf eine optimale Ausnutzung der vorhandenen Energie zielt. Damit entspricht die Absicht weitgehend der der biologischen Evolution. Sie ist eine Objektzuwendung mit dem Ziel, die Chancen und den Umfang der Bedürfnisbefriedigung zu optimieren bei einer gleichzeitigen Energieeinsparung. Eine Rationalisierung erfolgt immer im Sinne einer Ökonomie.
- Mit seiner Rationalität verliert der Mensch weitgehend seine sinnliche, naturbezogene Identität. Sie ist verbunden mit einer zunehmenden Selbstkontrolle seiner affektiven Verhaltensmuster. Sie ist eine Grundeinstellung und bildet über die Einengung seines Objektbezuges je nach der Perspektive seines Blickwinkels die Grenzen seiner Betrachtungsmöglichkeiten.
- In der „modernen“ Welt ersetzt der Mensch alle Aspekte seiner ursprünglich sinnbetonten Orientierung durch rationale Strukturvorgaben. Die z.Z. verbindlichen Normen verloren ihren ehemals sozial bedingten Hintergrund und wurden zu Ausdrücken emotionsloser, positivistischer Rechts- und Wahrheitsvorstellungen. Ihr ehemaliger Schutzcharakter verwandelte sich gegenüber den Objekten zu einem Mittel ihrer Vergewaltigung. Das Problem ist, dass die alten Setzungen aus sozial begründeten, metaphysischen Vorstellungen entwickelt wurden, deren Hintergründe es heute nicht mehr gibt und deren Inhalte nicht mehr hinterfragt werden, z.B. die Vorstellungen über Objektivität und Wissenschaftlichkeit. Der moderne Mensch hat anscheinend vergessen, dass seine Vorgänger zu ihren rationalen Setzungen, diesen gegenüber durch ihren Kontakt zur Natur auch immer ein unmittelbares, ganzheitliches Gegengewicht besaßen, dass wir heute nicht mehr haben. Die modernen Wissenschaften, z.B. die Atom- und Gentechnik, besitzen für ihre realisierbaren Modelle heute keine solche „kontrollierenden“, aus einem naturnahen Lebensbewusstsein heraus entwickelten einengenden Bewusstseinsvorgaben, d.h. keine der Technik angemessene Ethik mehr.
- Das Rationale schafft seine eigene „Wahrheit“. Es erfasst die Welt verkürzend über ein Symbol, eine Abstraktion (sei es als Zeichen, sei es als Begriff). Dieses steht in einem sozialen Rahmen und erfasst die Welt über eine „objektivierende“ Reduktion . Das Rationale versteht die Welt über die Einordnung von ausgewählten Informationen in ein vorgegebenes Denkmodell. Das bedeutet, es begreift die Welt nicht im Sinne einer „höher“ angelegten Ebene der „Wahrheit“, sondern nur im Sinne einer zielgerichteten, vereinfachenden Orientierung. Das Bild von einem Objekt wird bei einem rationalen Menschen durch die Idee bestimmt, die er davon hat, d.h. von seiner Ideologie.
- Beim rationalen Erkennen steht zwischen dem Subjekt und dem Objekt eine soziale Vorgabe, eine Setzung, über die der Mensch einen bestimmten Inhalt nur im Sinne seiner perspektivischen Möglichkeiten erkennen kann, z.B. „seine“ Farbe im Sinne „seiner“ Idee . Das Subjekt wird dabei auf seine sozialen „Orientierungsgrenzen“ zurückgeworfen. Alle Definitionen des Seins über das Rationale erfolgen aus solchen Vorgaben. Dabei ist es unwesentlich, ob der Mensch in seinem Denken von einem Objekt ausgeht, dessen „Wahrheit“ als Ausdruck der Realität oder von sich als dem denkenden Subjekt. In beiden Fällen arbeitet er mit Strukturvorgaben und Abstraktionen subjektiven Begriffsverständnisses. Der rationale Mensch setzt zunächst für eine komplexe „Realität“, um mit ihr geistig umgehen zu können, reduzierende Chiffren. Später verwechselt er dann seine, in einem Strukturmodell stehenden Chiffren mit der „Realität“.
- Die rationale Erkenntnis basiert auf der Ausklammerung, einer Filterung von Informationen und die Betonung der kulturell wichtigen. Sie ist eine Orientierung im Sinne einer sozial vorgegebenen Struktur. Eine Betonung kann einmal auf der Struktur und zum anderen auf dem Symbol liegen. Je nachdem welche Seite hervorgehoben wird, entsteht eine unterschiedliche Denkkultur.
Das „Bewusstsein“ von einer geistigen Freiheit ist in der rationalen Welt nur das Ergebnis eines verloren gegangenen Verständnisses für eine komplexe Welt in einer Umbruchkultur, d.h. aus verschiedenen, tolerierten, geistigen Standorten heraus. Sie ist eine Illusion, da die „Gesamtbewegung“ in der sich ein Subjekt befindet, ein abweichendes Verhalten langfristig immer in ihrem Sinne korrigiert.
- Der Inhalt unseres Bewusstseins ist unsere Wirklichkeit. Die „Vernunft“ in der Natur ist ein Ausdruck des Bildes des Menschen von der Natur. Es sagt nichts über sie aus, nur etwas über ihn.
Das „Logische“ (die „Grammatik“ seiner Seinsorientierung) zerstört neben anderen Faktoren seinen Zugang zu einer möglichen „Seinsidee“. Der Mensch macht sie zum Arbeitsinhalt seiner perspektivischen Überlegungen. Sie wird entsprechend seinen angestrebten Zielen, seinen Hypothesen deformiert, verschleiert, so dass er sie nach Plato nur noch als „Schatten“ sieht.
- Das (rationale) Kausaldenken ist eine Bezugsorientierung der mittleren Daseins- und Denkebene. Es ist für die Erfassung der Mikro- und Makrowelt nicht angemessen. Das eine Mal bestimmen wir das von uns nicht mehr Erfassbare als „Unschärfe“ und das andere Mal als das „Relative“.
- Das Rationale basiert immer auf einem sozial vorgegebenem Denksystem. Bei unterschiedlichen Systemen und unterschiedlichen Zuweisungskriterien ihrer Orientierungsschwerpunkte glaubt jedes Subjekt, es allein denke und handle richtig. Dabei wird vergessen, das alle Denkabläufe letztlich auf irrealen Fundamenten ruhen.
- Das Rationale bewegt sich an Strukturen entlang. Eine Ganzheit, das „Wesentliche“ entziehen sich ihm. Es bedeutet immer eine Kappung des ganzheitlichen Wahrnehmungsbezuges eines Menschen gegenüber einem Objekt. Die Rationalität schafft eine Verstümmelung des Objektes durch den Blick eines verstümmelten Subjektes. Ein allein rational agierender Mensch ist ein psychischer Krüppel.
Durch die Wahl und Ordnung ihrer Kriterien schafft die Rationalität die besten Voraussetzungen für einen Selbstbetrug. Letztlich ist eine aus ihr abgeleitete „geistige Mündigkeit“ nur ein Schritt aus der einen Blindheit in eine neue, einer existentiell verkürzten, sozial steuerbaren.
- Die rationale, analytische, strukturierende Denkweise hat dem Menschen gewaltige Erfolge für sein Selbstbewusstsein gegenüber der Natur gebracht. Nachdem er inzwischen seine Grenzen erkennt, muss er um seiner selbst willen bereit sein, sich wieder in die Welt einzuordnen, für die er im Rahmen seiner Evolution sich entwickelt hat. Nur so wird er von seinen biologischen Möglichkeiten her überleben können.
Für unsere Kultur ist das „Rationale“ und das „Verwertbare“ weitgehend synonym. Dabei ist es eine Frage, ob die „Idee“ des Universums auch nach den Gesetzen des für den Menschen Nützlichen allein aufgebaut ist oder ob das von ihm „Nichtverwertbare“ darin nicht überwiegt.
Die europäische Kultur hat ihre Grenze darin, dass sie versucht, das „Sein“ von einer Struktur her erfassen zu wollen, es geistig an eine bestimmte Idee zu binden. Die östlichen sind ihr darin überlegen. Sie sind älter, kommen verstärkt aus der vorrationalen Zeit des Menschen. Sie versuchen das „Sein“ als „Öffnung“, als „Nichts“ intuitiv zu erfassen, d.h. die Rationalität in ihren Grenzen zu akzeptieren.