17.1 Setzungen, Gedanken
- Die Freiheit gibt eine „Unschärfe“ im Orientierungs- und Handlungsbereich an. Sie verspricht die Möglichkeit einer Wahl und ist gegeben, wenn es in einem sozialen Bereich keinen verbindlichen Konsens gibt. Sie ist nur das Ergebnis und der Ausdruck einer sozialen Unsicherheit und bezeichnet einen jeweiligen Spielraum des Denkens oder Handeins. D.h., sie ist eine Bezugsgröße in Hinblick auf eine Grenze. Über die Freiheit erleben wir die Unfreiheit, die Dialektik unseres Seins.
- Das biologische Programm und seine sozialen Vorgaben bestimmen die Freiheit eines Menschen. Sie ist letztlich eine Fiktion, deren „Realität“ sich aus dem Widerspruch der verschiedenen Strukturelemente einer Kultur ergibt. Die Freiheit ist nur eine Bewusstseinslage, die sich aus einer Überbewertung eines persönlichen Standortes ergibt, indem dieser nicht mehr als ein Teil eines Bezugsrahmens, einer Gesamtheit, eines Metastandortes gesehen wird.
- Die relativ „beschränkte“ instinktive Festlegung des Menschen schafft in ihm die Voraussetzungen seines „Freiheits“-Bewusstseins. Doch nicht der Mensch wählt die in ihm angelegten Programme, sondern sie sind ihm vorgegeben. Die menschliche „Freiheit“ entsteht durch einen gewissen Mangel an biologischen Orientierungsvorgaben. Der Mensch muss sich über seine „Ordnungen“ seine Grenzen selber setzen, d.h. über seine Normen, den Strukturvorgaben seines Handeins, dem Bewusstsein seiner Verantwortung und Schuld, da er sonst aus der Gesamtheit seiner Umwelt ausbrechen und von der verbleibenden Natur zerstört würde.
- Der Mensch ist von seinem Bewusstsein her ein auf eine Erziehung angewiesenes Sozialwesen. Er wird über einen Sozialisationsprozess innerhalb einer bestimmten Kultur determiniert. Die Freiheit des Menschen ist immer nur denkbar als Freiheit innerhalb eines Bezugssystems in dem er steht. Ein System als solches besitzt aber keinen Freiraum und er damit letztlich auch nicht. Aus seiner Einbindung in ein System ergibt sich seine „Unfreiheit“.
- Das Bewusstsein einer Unfreiheit ist nur in einer offenen, pluralistischen, sich im Umbruch befindlichen oder wertmäßig unterdrückten Gesellschaft möglich, d.h. bei Menschen, die auf fremde Orientierungsebenen stoßen mit Trägern, die körperlich oder sozial stärker sind als sie selber. Unfreiheit ist so gesehen immer nur die Unfähigkeit, eine verinnerlichte soziale Orientierungsebene auszuleben. Ihr Inhalt ist beliebig auswechselbar. So gibt es häufig nicht die „Unterdrückung“ einer sozialen Gruppe, sondern nur das Bewusstsein einer solchen.
Der Liberalismus, Pluralismus ergibt sich aus der Unsicherheit der Gültigkeit unserer Erkenntniswelt. Freiheit und Toleranz sind positive Kompensationen eines negativen Bewusstseins gegenüber der Sicherheit unseres Aussagevermögens. Eine „Kultur des Pluralismus“ ist immer nur eine Übergangskultur. Die Entwicklung zu einer „Welt“-Gesellschaft, Weltkultur ist langfristig eine Entwicklung zur „Unfreiheit“, ein Weg weg vom Pluralismus der Kulturen.
- Ein persönliches Handeln ist immer ein determiniertes Handeln. Die erlebte Freiheit ist nur eine kompensatorische Setzung, um unsere Bedeutungslosigkeit im Rahmen einer Kultur bewusstseinsmässig erträglich zu machen. Ohne eine Kultur benötigen wir keine Freiheit. Im Rahmen einer Kultur ist sie ein Aspekt unserer inneren Auseinandersetzungen zwischen unseren genetischen und sozialen Vorgaben.
Eine Emanzipation ist die Verinnerlichung eines Freiheitsbewusstseins bei einer vorangegangenen Bindung an ein bestimmtes, in sozialer Abhängigkeit haltendes Wertsystem. Die damit verbundene „Mündigkeit“ ist eine weitgehend inhaltsleere, abstrakte Wertsetzung und wird durch neue – nicht als Zwang empfundene – Orientierungen ersetzt.
- Die „Freiheit“ ist ein soziales Kriterium für die Zuteilung von Verantwortung, die erst in der Neuzeit ihren personalen Charakter erhalten hat. Ursprünglich war sie an die persönliche Verantwortung für die Erreichung eines „positiven Jenseits“ gebunden. Heute ist sie ein Anspruch, um sich in unserer Massengesellschaft aus der Verantwortung zu lösen. „Freiheit“ heißt der Glaube, die Form der persönlichen Existenz, einer Entscheidung selber treffen zu können. Sie ist eine Form der Selbstmanipulation, ein Unschärfebewusstsein im Bereich eines sozialen Mußes.
- Einen freien Willen gibt es nicht. Der Eindruck von Freiheit ist nur das Ergebnis eines nicht überschaubaren fraktalen Da-Seins. Je komplizierter unsere Umwelt und je geringer unser Wissen ist, um so eher haben wir den Eindruck einer freien Entscheidungsmöglichkeit. Der freie Wille ist eine Illusion. Er besteht nur aus einer Summe verinnerlichter Setzungen. Unser Verhalten wird nicht von einem freien Willen bestimmt, sondern von fraktal gesteuerten Abläufen und unseren programmierten Reaktionen darauf.
Zur Freiheit gehört die Offenheit einer möglichen Entwicklung. In „komplexen“ Systemen lebend, entspricht die individuelle Freiheit mehr einem Wunschdenken, da wir den Determinismus unseres Denkens und Handelns nur begrenzt zu durchschauen vermögen.
- Der Preis für die Freiheit, ihr Paradox ist die Suche nach Unterwerfung (Orientierung). D.h., die Angst des Menschen vor offenen Strukturen führt immer wieder zu geschlossenen Ordnungen. Dieser Umstand darf nicht nur negativ gesehen werden. Orientierungsstrukturen bedeuten auch eine geistige Entlastung. Dem Wunsch nach Freiheit steht der Wunsch nach Geborgenheit gegenüber, wahrscheinlich noch elementarer als der erste, da dieser nur ein sekundäres Ergebnis unserer Kultur ist. Das Bewusstsein der Freiheit wird bezahlt mit dem Verlust des Bewusstseins der kosmischen Einheit, mit der Vertreibung aus dem „Paradies“.
- Unsere „Freiheit“ im Rahmen unseres sinnlichen „Weltzuganges“ zu suchen, ist nicht möglich. Er ist immer von kodierten Wahrnehmungen belegt. Sie über das Rationale zu suchen, einer Welt sozialer Vorgaben ist eine Fiktion, ein Selbstbetrug. D.h., wir besitzen sie nirgends. Nur die Schnelligkeit unseres sozialen Wertwandels, die verschieden schnelle Anpassungsprozesse in einer Gesellschaft schaffen in einem Individuum das Gefühl ihres Besitzes. Letztlich ist es nur dessen jeweilige „Grenze“, Unfreiheit, die ihm zu schaffen macht. Doch ohne diese Grenze gibt es kein menschliches Reifen, keine „Größe“, keine Hoffnung auf eine Welt zum Guten, keinen Glauben an eine Utopie.
- Die Freiheit ist ein psychischer Beziehungswert gegenüber einer Bezugsgruppe. (Als solcher ist sie eine der bedeutendsten psychosozialen Kriterien). In ihr begreift sich der Mensch als Mensch. Dabei hat er nur die Freiheit, sobald er als ein rationales Wesen diese Freiheit nutzt, schuldig zu werden. Sie muss sich vor sozialen oder verinnerlichten Setzungen immer verantworten können. Die menschliche Fähigkeit zur Freiheit, zur „Maßlosigkeit“ und die Verantwortung vor dem „Ganzen“ bedingen den Zwang zum Humanen, um ein soziales Leben, das Leben des Menschen gewährleisten zu können.