Gesellschaft und Individuum

Der Mensch ist ein auf soziale Orientierung angewiesenes Wesen, die ihm von der jeweiligen Kultur seiner Umwelt hauptsächlich in seiner Kindheit und Jugend vermittelt wird. Ihre Werte und Symbole sichern zugleich den Zusammenhalt der sozialen Gruppen.

  • Zunächst waren dies in der frühen Menschheit ganzheitliche Wahrnehmungsergebnisse, die er über seine Erfahrungen ausgewertet und mit esoterischen Gemeinschaftsritualen zu seinen Religionen ausgebaut hatte.
  • Heute sind es überwiegend kausal-rationale Beobachtungen für die seine Wissenschaften stehen.
  • In der Zukunft werden es vielleicht komplex-rationale Quantenergebnisse sein, die neue Computergenerationen ermöglichen werden und auf die niemand wegen ihres Informationsgehalts wird verzichten können. Als abstrakte Vorgaben wird der einzelne Mensch ihnen rational nur noch begrenzt folgen können, wegen ihres Orientierungsgehalts werden sie aber für eine zukünftige „Wahrheit“ stehen.

Wir unterscheiden:

  • Grundorientierungen (Zugehörigkeitsorientierungen): Grundprägungen, die uns statisch in unserem Transmitterhaushalt, in unserem Wertekorsett festlegen. (Historisch waren dies hauptsächlich die Religionen, die Nationen, verinnerlichte Gruppenzugehörigkeiten wie Statusgemeinschaften oder Tätigkeitsgruppen).
  • Daseinsorientierungen: Sie bestimmen unsere psychischen Bemühungen im sozialen Raum, unsere Statusbemühungen. Sie aktivieren uns in unseren Botenstoffausschüttungen. Hier findet der soziale Alltag statt mit seinen sozialen Einflussversuchen und unseren persönlichen Bemühungen um positive Botenstoffausschüttungen. (Hier z. B. die Quotendiskussionen, die sozialen Vorteilsbemühungen).
  • Zukunftsorientierungen mit ihren Bemühungen
    • für das persönliche Leben, die persönlichen Perspektiven,
    • für das soziale Leben,
    • für das biologische Leben überhaupt (unsere biologische Existenz, unseren Umgang mit unserer Umwelt, unseren Ressourcen),
    • für die zukünftige Entwicklung auf der Erde.

Existentiell ist der Mensch ein Sozialwesen:

  • Zunächst wächst er in einem sozialen Verband auf, erhält hier seine erste Nahrung und in seiner Erziehung seine existentielle Ausrichtung, Orientierung. Diese wird dann von zwei Bewusstseinsebenen bestimmt, einer genetischen Vorgabe und seiner sozialen Prägung, d. h. seinem kulturellen Hintergrund.
  • Seine evolutionären Vorgaben bestimmen seine genetischen Vorgaben. Da ist zunächst das männliche Dominanzverhalten, welches das männliche Statusstreben, seinen Ehrgeiz, seine Selbstdarstellung und seine Ansprüche bestimmt. Sozial hat es im Kapitalismus und national im staatlichen Hegemonialstreben seine sozialen Organisationsformen gefunden. Da dieses primär ein männliches Triebverhalten darstellt, ist hier auch der Hintergrund für das hauptsächlich männlich beherrschte Streben nach sozialen Positionen zu finden. Die weibliche sexuelle Hauptorientierung ist die Brutpflege. Sie ist in abgeleiteter Form unser wichtigster Ausdruck der Empathie und des Sozialverhaltens, vielleicht in Zukunft innerhalb unseres übervölkerten Planeten die wichtigste anthropogene Eigenschaft überhaupt.
  • Das zweite wichtige Orientierungskriterium ist das individuelle Glücksstreben. Es richtet das Individuum zunächst bei seinen existentiellen Entscheidungen auf dessen positivsten Weg aus, auf einen optimalen Status und optimalen Konsum. Besonders das letzte Kriterium verhindert die Wirksamkeit gut gemeinter Mahnungen. Fehlentwicklungen, mangelnder Erfolg (gemessen an der persönlichen Existenzstrategie) führen zu psychischen und physischen Schäden, zu Psychosen mit ihren negativen Folgen. Unser unermesslicher Konsum, unsere rücksichtslosen Bedürfnisse gegenüber der Natur und unsere ständig neue Bedürfnisweckung gehören hier her. Gesellschaftlich steht dafür das wirtschaftliche Wachstum.

Zu diesen psychischen Vorgaben mit ihren sozialen Ausrichtungen kommen die sozialen Prägungen. Sie ergaben sich zunächst aus dem Zwang, die menschlichen Orientierungsmängel auszugleichen und sie durch soziale Leitwerte in der Form ethischer und kausal-rationaler (wissenschaftlicher) Postulate zu ersetzen, durch den Zwang zu neuen Formen des sozialen Zusammenlebens. In der westlichen Kultur wurden es dann als Werte die Freiheit, die Gleichheit und die Gerechtigkeit. Ihre Beschränkungen im Ausleben fanden sie im Postulat der Verantwortung. Doch wird dieses, da es die individuelle Existenz der Bedürfnisse einschränkt, in der Regel verdrängt und sozial gerne ausgeklammert, da es z. B. bei Wahlen Stimmen kostet. Aber ohne Verantwortung können die drei anderen Postulate sozial nicht gelebt werden. Sie sollte deshalb die Grundlage aller anthropogenen Justiz sein.

Gesellschaften sind Menschengruppen, die aufeinander bezogen miteinander agieren. Sie bewohnen oft einen gemeinsamen Raum, besitzen gemeinsame Strukturen und vertreten oft gemeinsame Werte. Dadurch können sie sich von anderen Personen abgrenzen. Für Parson waren es individuelle Abhängigkeiten, die durch Sozialisation, Strukturen und Wertevorstellungen stabilisiert wurden. Ihren Kern bildete die biologische Familie. Für Luhmann waren es soziale Systeme mit festgelegten Verhaltenserwartungen, Kommunikationssysteme. Gesellschaften seien als Ganzes Rollensysteme.

Durch unsere individuelle Abhängigkeit ergeben sich vier Grundprobleme:

  • die unserer unmittelbaren Sozialität, unserer unmittelbaren sozialen Kontakte, unserer Streicheleinheiten, sozialen Akzeptanz, unserer Dialogmöglichkeiten. Sie bestimmen bei uns als Sozialwesen weitgehend unsere psychische Gesundheit, unsere Gefühle der Geborgenheit und der Zugehörigkeit. Jede Gesellschaft ist auf einen gewissen emotionalen Zusammenhalt angewiesen. Das soziale Miteinander schafft Nähe, schafft die Möglichkeit, die Gefühle anderer nachzuempfinden, schafft eine empathische Fürsorge.
  • die unserer Grundorientierungen, unserer Grundwerte, unserer Identität (z. B. unserer Religion, unseres Nationalgefühls oder einfach nur unserer Heimat, der Gruppen denen wir angehören und mit denen wir zusammen leben. Sie bestimmen weitgehend unser Verhalten unserer Umwelt gegenüber).
  • die unseres kulturellen Beziehungssystems, unserer Sprachgemeinschaft, unserer zivilisatorischen Einordnung über unser Dasein, unsere Arbeitswelt und darüber die Inhalte über unsere persönliche innere Sinngebung.
  • die unserer Visionen, d. h. unserer Zukunftsorientierungen, unserer Zukunftssetzungen und damit die über den zukünftigen Stellenwert der Menschheit. Unsere heutige Gesellschaft erlaubt uns mehrheitlich kaum noch Utopien, nur noch einen Existenzkampf innerhalb uns unbekannter, abstrakter Größen, deren Dimensionen wir zwar ahnen, aber denen wir ohnmächtig gegenüberstehen. Unsere Utopien berühren drei Problembereiche:
    • die unserer Umwelt, d. h. der Schäden, die wir ihr zufügen,
    • die Möglichkeiten der biologischen Veränderungen des historischen Menschen (z. B. durch Gen-Manipulationen),
    • die digitalen Möglichkeiten den historischen Menschen zu ersetzen (z. B. durch Formen der Künstlichen Intelligenz).

Sozial entwickelt hat sich die menschliche Gesellschaft  bis heute in viere Etappen, Stufen:

  • Zunächst lebten ihre Angehörigen in Familien, Sippen,
  • danach in arbeitsteilige Siedlungsgemeinschaften (z. B. Stadtstaaten), langsam anwachsend zu Kulturgemeinschaften (z. B. Religions-, Sprach-, Schutzgemeinschaften). Die Individuen erhielten hier ihre Orientierungsinhalte, ihr Selbstwertgefühl und ihren sozialen Status über ihre Tätigkeit. Organisiert waren sie in einer Vielzahl kleiner Gruppen (z. B. Gilden, Innungen) und unmittelbaren Bezugsgemeinschaften (z. B. Nachbarschaften).
  • Mit der industriellen Revolution wurde der einzelne Mensch nur noch ein Beteiligter an der Produktion. Als Fließbandarbeiter konnte er sich nur noch begrenzt mit den Produkten identifizieren. Er ersetzte seine Orientierungsinhalte durch Ideologien (z. B. Sozialismus), Nationalismus (begeistertes Ziehen in die Kriege, heute Mitfiebern bei Sportwettkämpfen) und einen konsumorientierten Individualismus.
  • Heute, mit der digitalen Revolution, verliert der Mensch auch die letzten, bisherigen Rechtfertigungen. Datenmaschinen analysieren ihn und lenken ihn mehr oder weniger unbewusst im Sinne anonymer Interessengruppen, Kapitalgesellschaften betont zwar extrem seine Individualität, doch ist diese zunehmend nur noch eine manipulierte Wunschvorstellung.

Jede Gesellschaft ist auf einen gewissen inneren Zusammenhalt angewiesen. Unser heutiger Individualismus zielt dagegen auf eine soziale Vereinzelung. Jeder betont darin seine eigene Identität, die er zweifellos in seiner jeweiligen Einmaligkeit in genetischer Hinsicht auch hat. Jeder ist aber orientierungsmäßig auch auf sein soziales Umfeld hin kulturell programmiert worden und damit ein Teil von diesem. Als soziales Wesen, das existentiell auf dieses angewiesen ist, besitzt er im Umkehrschluss auch eine gewisse Verantwortung diesem gegenüber, so dass es für jede Individualität auch immer ein soziales Gegenüber gibt. In unserer Gesellschaft werden die Freiheiten immer betont und hochgehalten, die Verantwortung der Gemeinschaft und der Umwelt gegenüber dagegen verdrängt. Die Selbstverwirklichung, die Emanzipation wird zum obersten individuellen Gebot, soziale Einschränkungen dagegen abgelehnt. Die jeweilige Einzigartigkeit eines persönlichen Seins in seiner Originalität, hemmungslos ausgelebt, wird allerdings zu einem sozialen Gift, das langfristig jede Gesellschaft zerstört. Parteien können zwar die Freiheiten, die globalen Bewegungsräume betonen, sie sollten aber zugleich auch die brutale Rücksichtslosigkeit, die in manchen Stadtteilen der Großstädte entstanden ist oder die Clankriminalität mit ihren eigenen Vorteilsnahmen nicht aufkommen lassen.

Neben dem Individualismus zeichnet unsere Gesellschaft ihre Komplexität aus. Dadurch wird sie mit unseren heutigen Organisationsformen weitgehend unregierbar. Ursprünglich wurde der Demokratiegedanke für eine kleine, überschaubare, gut informierte, städtische Oberschicht entworfen, die über Abstimmungen ihre weitere Orientierung bestimmte. Mit dem Anwachsen der Bevölkerung, dem Anwachsen ihres vorhandenen Wissens und der Zunahme ihrer sozialen Komplexität übernahmen die Medien weitgehend die Informationsaufgaben für sie. Der einzelne konnte deren oft interessengesteuerte Angaben kaum noch kontrollieren. Mit der heute weitgehend von Lobbyisten beherrschten Zunahme der Komplexität der Angaben und deren Erweiterung durch die Globalisierung erfolgte die Informationssteuerung unerkennbar zusätzlich durch die verschiedenen ausländischen Geheimdienste (nur so kann man deren oft gewaltige Angehörigenzahlen verstehen). Natürlich kann man deren Einflussnahme kaum nachweisen. Wir können die Dinge, die unser Leben beeinflussen, oft kaum noch kontrollieren. So ist unsere Volkswirtschaft von Faktoren abhängig, die sich außerhalb unserer Kontrolle befinden. Auf viele Situationen wirken mehr Faktoren ein, als wir überblicken können. Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass unsere Informationen den tatsächlichen Realitäten entsprechen.

Die Basis unserer westlich orientierten Gesellschaft ist die Vielzahl ihrer verschiedenen Individuen, die im Ideal sich als Bürger in einem Staatsgebilde vereinen, das wir dann als eine Demokratie verstehen. In demokratischen Gemeinschaften muss man sich einbringen können. Ist dies nicht möglich, dann haben wir es mit keiner Demokratie zu tun, egal wie wir das Herrschaftssystem dann nennen. Jede demokratische Gesellschaft ist bei aller Vielzahl ihrer geistigen Ansätze in ihrer Bevölkerung auch auf Gemeinsamkeiten angewiesen, die sie zusammenhalten. Dafür muss sie ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit und Privatheit für ihre Orientierung und die ihrer Mitglieder mit Hilfe von Setzungen immer wieder neu austarieren. Diese bestehen aus sozialen Festsetzungen und sind keine natürlich vorgegebenen Gewissheiten. Unsere westlichen Demokratien kennzeichnen pluralistische Gesellschaften (im Gegensatz zu Einheitsgesellschaften in Diktaturen).

Die westlichen Gesellschaften verstehen sich als liberale Demokratien und stehen als solche für Freiheit, Gerechtigkeit und Sicherheit. Liberalismus und Demokratie werden als zusammengehörende Einheit gesehen und die mit dieser Verbindung verbundene Problematik wird dabei verdrängt. Die von den Liberalen ständig herausgestellte Chancengleichheit hat sich bisher als ein leeres Geschwätz erwiesen, weil durch die soziale Zurücksetzung der „niederen Arbeiten“, der wachsenden sozialen Ungleichheit der Menschen im Lande und ihre zunehmende Abhängigkeit von den internationalen Finanzmärkten keine Chancengleichheit besteht. Den oft entscheidenden Einfluss haben dabei

  • Großkonzerne, Banken und das Großkapital,
  • interessengesteuerte Berater und Lobbyisten,
  • die Medien in der Hand weniger Einflussgrößen (u. a. den gesteckten Informationen von Geheimdiensten).

Die Bevölkerung durchschaut viele Probleme wegen ihrer Komplexität kaum und stellt ihre persönlichen Interessen regelmäßig vor die der Gemeinschaft. Den Berufspolitikern geht es ähnlich. Auf „Berater“ angewiesen, folgen sie nicht dem Staatsinteresse, sondern dem der großen wirtschaftlichen und ideologischen Interessenvertretungen. Nach außen zeigen sie sich empört über die Demokratieerosion, doch sind sie selber ein Teil davon. Als Ideal stellt eine Demokratie eine Bürgerkultur dar, doch ist diese dann als Zivilgesellschaft auf einen gemeinsamen, eingehaltenen Wertekodex angewiesen, der

  • auf eine gegenseitige Anerkennung und Achtung baut (verbunden sind damit Anstand, Respekt, Höflichkeit, Rücksichtnahme und Engagement),
  • auf eine funktionsfähige Gewaltenteilung baut,
  • dem Einzelnen eine existentielle Sicherheit bietet,
  • eine Identität im Sinne der Heimatpflege ermöglicht (dazu gehört u. a. auch die Sprachpflege),
  • gemeinschaftsstiftende Annäherungsmöglichkeiten fördert.

Unsere große Gesellschaft fällt zunehmend auseinander, und es gibt für die großen Parteien kaum einen Inhalt über den sie diese zusammenhalten können, wie z. B. die Gegensätze zwischen den Ost-, West-, Süd- und Norddeutschen, wie zwischen Städtern und der Landbevölkerung, wie die verschiedenen Interessenverbände und wie die verschiedenen internationalen Verpflichtungen. Die feministischen Interessen wurden zum wichtigsten aktuellen, sozialen Paradigma hochgespielt, doch dienen sie neben persönlichen Machtinteressen weitgehend nur der kurzsichtigen Ablenkung von unseren Ressourcen-, Natur-, Klima- und digitalen Problemen, die alle in naher Zukunft unser evolutionäres Menschsein in Frage stellen werden, Problemen, denen wir nur weltweit vereint, nur gemeinsam begegnen können, wenn unsere Bemühungen nicht zum Scheitern verurteilt sein sollen.

Jede Gesellschaft braucht für sich eine Orientierungskultur (Leitkultur), die sie in ihrem Innern zusammenhält, sei es in ihrer Gemeinschaft, Sprache, im Lebensbereich (Heimat), in Religion oder Erziehung. Darüber erhalten ihre Mitglieder ihre Identität, ihre Werte, die Reizwelt, auf die sie mit ihren Botenstoffen reagieren. Gesellschaften sind für die Individuen immer der Spiegel ihres Selbstverständnisses. Ein Mensch kann ohne ihren Hintergrund nicht bestehen. Über sie erfolgt der soziale Zusammenhalt. Trotz häufiger Meinungsvielfalt bastützt die Gesellschaft auf diesen, auf ein solidarisches Wir, einen möglichen Konsens. Die Voraussetzung dafür ist ein gewisses Grundvertrauen, das sich aus positiven Erfahrungen ergibt. Gewonnen kann es zunächst in der Familie werden, in Nachbarschaften, Orten der Begegnung (Schulen, Vereine) und des Zusammenlebens, bei einer gemeinnützigen und ehrenamtlichen Arbeit, bei allen Formen der gesellschaftlichen Teilhabe. Bei uns besteht zunehmend die Gefahr, dass unsere Gesellschaft auseinander fällt, durch ihre vielen individuellen, polarisierten Interessen sich auseinander lebt. Indem sie zunehmend in verschiedene Lager und Identitätsgruppen zerfällt, die andere Gruppen ablehnen und sich teilweise nur noch für die eigenen Interessen interessieren, verroht sie allmählich.

Durch die Reeducaton-Maßnahmen der Siegermächte nach 1945 und ihrer weitgehend gelungenen Zerschlagung der deutschen Identität (die sie selber aber in ihren eigenen Ländern pflegen, z. B. in Frankreich die eigene Sprache), besitzen wir in Deutschland nur noch wenige gemeinsame kulturelle Vorgaben. Man setzt sich für die Globalisierung im Sine einer kulturellen Amerikanisierung ein. Propagiert wird eine soziale Vielfalt (Diversität). Keinen eigenen tatsächlichen Lebenssinn mehr findend, bestimmt ein städtischer Hedonismus die Existenz vieler Menschen. Angestrebt wird ein privates, besterfülltes Leben, das allein vom persönlichen Glück geleitet wird. Im Gegensatz zum Hedonismus früherer Philosophen fehlt ihm das Erleben der Muße. Es ist eher eine Flucht vor der eigenen Inhaltlosigkeit. Das Problem dadurch ist, dass durch die verschiedenen individuellen Interessen in unserer Gesellschaft es immer schwerer fällt, ein funktionsfähiges Sozialsystem aufzubauen. Unsere Gesellschaft ist heute nicht nur bunter, sondern kann in vielen Bereichen kaum noch mit einander reden. So sind Thesen zur Gerechtigkeit und zum Umweltschutz weitgehend zu verlogenen Worthülsen verkommen, die kaum noch jemand auf ihren tatsächlichen Gehalt hin hinterfragt. So sieht ein wohlsituierter, grüner Städter z. B. die Existenz eines Wolfes in weit entfernten ländlichen Gebieten anders als ein Schäfer, dem dort die Schafe gerissen werden.

Auch die Forderung nach einer größeren sozialen Gerechtigkeit ist bei den bestehenden Vermögensverhältnissen in der BRD weitgehend eine Farce. Dabei ist sie für jede Gesellschaft deren tragendes Element, das sich auf deren Chancengleichheit und Solidarität gründet. Wie kann eine Gesellschaft es rechtfertigen, dass in ihren Reihen Manager jährlich Einkommen von über 10 Millionen Euro beziehen, während gleichzeitig Hunderttausende die „Tafel“ besuchen müssen, um nicht zu hungern. Für Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) war die Gerechtigkeit noch die höchste Tugend, die auf Klugheit und Mäßigung beruhte. Aber bereits Hobbes (1588 – 1679) glaubte, dass sie kein „Naturzustand“ sei und dass man, um einen „Krieg aller gegen alle“ zu verhindern, einen Gesellschaftsvertrag brauche. Und einen solchen Vertrag benötigen wir für unsere Gesellschaft. Vereint auch mit Lösungsangeboten  für andere Probleme, müsste es ein „Vertrag für eine humane Gesellschaft“ sein. Seine Forderungen könnten, müssten sein:

  • Regeln für die persönlichen Umgangsformen (Mitgefühl, Anerkennung, Solidarität; zeitgemäße Zivilstand: Hilfe für Schwache),
  • Regeln für neue Formen des sozialen Umgangs (Geselligkeit, Umgang im urbanen und intrastrukturellen Bereich),
  • Regeln für den Umgang mit der Natur,
  • Regeln für den digitalen Kommunikationsbereich,
  • Regeln für eine europäische Identität (aufbauend auf die vielfältigen europäischen Traditionen und Kulturen und diese zugleich pflegend).

Das Problem dabei ist heute, dass unsere politischen Systeme zunehmend durch die Herrschaft der Märkte ersetzt werden und das frühere soziale Gegenüber zunehmend über die abstrakte, digitale Bühne der „Follower“ und „Freunde“.

Unsere gesellschaftliche Zentralfrage wird sein: Wie soll unsere Gesellschaft der Zukunft aussehen? Dafür braucht sie für ihre Orientierung Visionen, die dann von der jeweiligen Politik verwirklicht werden müssten. Jedes Handeln stände dann in der Verantwortung der Agierenden. Solche Visionen könnten beinhalten:

  • den Schutz der Menschheit in ihrer Ganzheit (ihre Ernährung, Energieversorgung und Verteilung),
  • den Schutz der Natur (als Ressourcenhintergrund, Erhalt ihrer Vielfalt, Begrenzung des Klimaanstiegs),
  • die Vereinigung Europas (bei gleichzeitigem kulturellem Schutz seiner regionalen Vielfalt; ausgehend von einer deutsch-französischen Vereinigung mit einer gemeinsamen Verfassung innerhalb der heutigen EG).

Von unserer Evolution her war die Ausgangsbasis jeder menschlichen Gemeinschaft die Familie, und sie bestand zweigeschlechtlich aus einem Mann und mehreren Frauen (vergleichbar der heutigen Situation bei den Schimpansen). Die einzelnen Individuen erhielten hier ihre entscheidenden Prägungen in ihrer frühen Kindheit, d.h. zunächst die Techniken für ihren Nahrungserwerb, zum Überleben und zum Verhalten in der Gemeinschaft. Später kamen immer komplexer werdende Sprachen und symbolische Inhalte (Wertsetzungen) hinzu. Der Mensch ist von seiner Natur her ein familienbezogenes Sozialwesen. Erst durch seine Kultur wurde er besonders in den beiden letzten Jahrhunderten zu einem hemmungslosen Individualwesen, der sich gegenüber der Natur alle Freiheiten herausnimmt und sie dabei durch seine Egoismen, seine persönlichen Glücksansprüche zerstört.

Ursprünglich war die Familie eine biologisch-soziale Gemeinschaft des Zusammenhalts. Kennzeichen der früheren Vertragsehen war die Arbeitsteilung und die gegenseitige existentielle Absicherung. In den heutigen Liebes-Ehen suchen dagegen zwei Personen in ihrem Individualismus ihr Bollwerk gegenüber der Außenwelt, das ihnen über die körperliche Nähe und Wärme ihnen ihre existentielle Sicherheit stärken soll. Nach Möglichkeit sollen die Partner nicht nur die Sexpartner sein, sondern auch der beste Freund, der Beschützer und möglichst auch der Interessenpartner. Zunehmend besteht allerdings der Eindruck, dass heute der analoge Partner durch das Internet vom Gelegenheitspartner abgelöst wird. Immer neue Beziehungen sind möglich und bieten sich sexuell an. Die decken über das Handy den sexuellen Lustbedarf ab, und die Partner konsumieren als autonome Personen nur noch ihr Gegenüber. Diese dienen jetzt nur noch der Selbstbestätigung. Sie untergraben dabei die bisherigen romantischen Liebes-Beziehungen, zerstören ein bisher mögliches Vertrauen und stärken am Ende die Einsamkeit des Einzelnen, der allerdings für seine psychische Gesundheit auf stabile Beziehungen angewiesen wäre. Durch den medizinischen Fortschritt wird er jetzt zwar älter, muss aber seine psychischen Störungen verstärkt mit pharmamedizinischen Hilfen auffangen.

Heute suchen wir, um unseren Individualismus nicht zu stören, andere Beziehungen. Unser heutiges Paradigma der Gleichstellung von Mann und Frau stärkt uns in diesen Bestrebungen. Eine Folge davon ist, dass in der BRD 40 % aller Haushalte von Einzelpersonen geführt werden und 2,6 Mio. der Mütter und Väter Alleinerziehende sind. Die Jungen ziehen in die Städte, die Alten bleiben in ihren Dörfern zurück und müssen von fremden Pflegekräften betreut werden. Zwischen den Generationen schwinden die Beziehungen. Die einzelnen Personen versuchen ihre Individualität, ihre autonome Unabhängigkeit auszuleben und betrügen sich im Leugnen ihrer sozialen Prägungen und ihrem ständigen Manipuliertwerden selber. Die Frauen werden zwischen ihrer ihnen versprochenen möglichen Karriere und ihren Kindern, die sie sich artgemäß auch ersehnen, hin- und hergerissen. Eigentlich Sozialwesen, entsteht in uns oft eine Sehnsucht nach neuen Sozialformen nicht nur der körperlichen Nähe (auch die braucht der einzelne um psychisch gesund zu bleiben), sondern auch der gegenseitigen Entlastung. Es werden neue Formen des sozialen Zusammenlebens gesucht, oft ein neues Miteinander zwischen den Generationen. Es entstehen neue Haus- und Lebensgemeinschaften der gegenseitigen Unterstützung und Nähe. Kinder könnten von ihnen profitieren. Sie erfahren hier Freundschaften, Reibereien und auch gesunde Konkurrenz. Bei größeren Arbeiten könnte man sich gegenseitig helfen.

Der Mensch ist von seiner biologischen Entwicklung her ein Gemeinschaftswesen. Er kann nur über die Existenz anderer bestehen. Ein Alleinstehender ist nicht frei, in der Regel nur einsam. Wie auch immer die menschengemäßen Lebensformen der Zukunft aussehen werden, sie werden als Gemeinschafsformen gelebt werden müssen, verlässliche Formen des dauerhaften Füreinander-da-seins. In Frankreich gibt es z. B. bereits Solidargemeinschaften, die solche Lebensformen leben und wie in einer Familie für einander Verantwortung übernehmen. Solche Gemeinschaften basieren auf Kooperation und Kommunikation. Sie sind verstärkt Lebensformen des Miteinanders. Das Individuum kann sie frei wählen, sich dort einbringen und im Miteinander sich „verwirklichen“. Unser zurzeit gelebter Individualismus ist mit einem verstärkten Konkurrenzverhalten verbunden. Er engt uns damit in unserem Freiheitsverhalten letztlich nur ein, macht uns in unserem Freiheitsverhalten nur einsam und über den Dauerstress, den er uns damit bereitet, am Ende nur krank.

Das dabei auch auftretende Problem sind die möglichen Konflikte, die zum ständigen Dialog miteinander zwingen. Ihre Lösung setzt eine gewisse Kompromissbereitschaft voraus. Man kann diese neuen Beziehungen als eine romantische Form der früheren Großfamilien oder Dorfgemeinschaften ansehen, aber wahrscheinlich sind sie der einzige mögliche Ersatz für die ehemaligen evolutionär gelebten genetisch programmierten Familien- und Kollektiv-bedürfnisse, um psychisch möglichst gesund zu bleiben. Wir sind nun einmal, biologisch gesehen, Gemeinschaftswesen und vorrangig keine Individualwesen, wie es uns die herrschenden Paradigmen einzureden versuchen.

Die traditionelle Familie war von den Umständen gekennzeichnet, dass in ihr die genetische, rechtliche und soziale Elternschaft noch zusammengehörte, d. h., dass der verheiratete Mann auch der Vater der Kinder seiner Frau war. Durch die Möglichkeiten der neuen Fortpflanzungsmedizin und die zunehmende Offenheit vieler Beziehungen ist dies heute oft nicht mehr der Fall. Die historischen biologischen Familien zerfallen immer häufiger. Jede dritte Ehe wird geschieden. Eine Familie ist heute kein Garant mehr für ein stabiles soziale Gefüge, bisher der Hintergrund stabiler Gesellschaften, – bisher auch eine der ideellen  Grundlagen einer gesunden Demokratie. Als Ersatz werden heute andere soziale Beziehungen propagiert, z. B. die „Freunde“ der digitalen Medien. Doch ist es fraglich, ob sie ihre ehemaligen, psychisch für den Einzelmenschen notwenigen Funktionen übernehmen können.

Der Zerfall der biologischen Familie hat seine Ursachen u. a.

  • in der Entfernung der Wohnorte ihrer Mitglieder, der Entfernung ihrer Arbeitsstätten,
  • dem leichteren Ausleben der Vater-Sohn-, Mutter-Tochter-Konflikte,
  • der fehlenden Bereitschaft der Schwiegerkinder, sich den Werten und Bräuchen der Familie ihres Partners zu öffnen. (Weitgehend ausgelebt im Fernhalten der Enkel von den Großeltern. Sie kennen sich kaum noch gegenseitig),
  • im ausgelebten Individualismus (u. . in den Orientierungskonflikten nach der Pubertät),
  • in den feministischen Versprechungen möglicher Selbstverwirklichung (für die bereits psychisch geschädigte Frauen besonders empfänglich sind),
  • weil Partner oder Freunde Menschen aus ihrem familiären Umfeld lösen.

Heute zerschlagen wir unsere Familien über die Forderungen der weiblichen Autonomie. Um sie zum Erfolg zu führen, werden Kitas geschaffen, Ganztagsschulen und staatliche Ganztagsbetreuungen der Kinder. Die Ideologie verspricht den individualisierten Frauen die große Chance einer Selbstverwirklichung, doch einer Selbstverwirklichung wofür? Zweifellos kann die Arbeitswelt ein Identitätsstifter, bzw. ein Sinngeber sein, der einem Leben einen gerichteten Inhalt einer Orientierung gibt. Nur welcher Sinn ist dies oft. Als kleine Angestellte folgt man den Aufträgen einer Firma und ist dort von anderen viel abhängiger als in einem Haushalt. Und wenn die Menschheit in wenigen Generationen auf zehn, bzw. auf fünfzehn Milliarden anwachsen wird und es für die Mehrzahl ihrer Angehörigen keine Arbeit mehr gibt, weil diese besser von Robotern ausgeführt werden kann, welche Lebensperspektive will man dann den Frauen, bzw. den Menschen geben.

Es ist die historische, auf eine Zweier-Beziehung bauende Familie, die sozial für uns Einzelne und für unser Kollektiv von Bedeutung ist. Wir werden zunächst von unseren Genen bestimmt, aber über unser Erbgut auch von den negativen Erlebnissen unserer Vorfahren, von deren Stress und Traumata. Wahrscheinlich beeinflussen sie auch die Aktivität der Gene der Nachgeborenen (Epigenetik). Man geht heute davon aus, dass die Intelligenz eines Menschen zu

  • ca. 50 % von seinem Erbgut bestimmt wir,
  • ca. 30 % von seiner Umwelt (Eltern, Schule u. a.
  • ca. 20 % von unklaren Faktoren.

Sie lässt sich bis ins hohe Alter kaum ändern. Damit wird unsere Persönlichkeit weitgehend von unseren Eltern bestimmt, u.a. unsere Einstellung dem Leben gegenüber und unseren Ängsten. Die Erfahrungen in unserem Elternhaus beeinflussen

  • unsere Werte und Interessen,
  • unsere Vorlieben und Abneigungen,
  • unsere Sehnsüchte,
  • unsere Ortsbezüge.

Alle Verhaltensweisen, die uns zu einem individuellen Menschen machen, erhalten in der Familie oft ihre entscheidenden Stoßrichtungen. Es ist unser Elternhaus, das darüber entscheidet, welche unserer Veranlagungen gefördert oder zurückgedrängt werden. Die Väter und Mütter stehen dabei für verschiedene Pole: Die

  • Mütter stehen für die Fürsorge, das Vertrauen und das Vermitteln unserer Ideale. Die Häufigkeit ihrer Körperkontakte und ihre Kommunikationsformen prägen das Kind entscheidend. Sie stellen oft die engsten menschlichen Beziehungen dar. Die Mutter ist die erste Bezugsperson eines Kindes. Ihre Nähe bedeutet für dieses Geborgenheit, Vertrauen, Zuwendung. Der Einfluss der Mutter beginnt bereits während der Schwangerschaft. Bereits hier werden die genetischen Möglichkeiten eines Kindes gefördert oder unterdrückt, seine Gehirnentwicklung und sein Stoffwechsel.
  • Väter für das Selbstbewusstsein und die Motivation,
    • bei Töchtern beeinflussen sie die spätere Partnerwahl,
    • bei Söhnen dienen sie oft als Reibungsfläche während ihrer Entwicklung, später als Kompensationsgröße oder als Vorbild. An ihm lernen sie ihre Stärken zu entwickeln,
  • beide gemeinsam für das zwischenmenschliche Zusammenhalten. Ihr Miteinander mit den Kindern fördert das Selbstvertrauen und die Sozialkompetenz und damit die Identitätsfindung des Kindes. (Gesellschaftlich fördern sie damit entscheidend die Weiterentwicklung ihrer jeweiligen Kultur).

Unser feministisch-individualistisches Frauenbild führte zur Vielzahl der überforderten Frauen. Sie sollen heute gleichzeitig einen selbstverwirklichenden Beruf ausüben, eine verständnisvolle, interessierte Partnerin und eine hingebungsvolle Mutter sein. In dieser gleichzeitigen Rollenvielfalt erschöpfen sie sich und erkranken immer häufiger. Dabei sind diese sozialen Vorgaben nur soziale Setzungen, die eigentlich nicht notwendig wären, zumal sie ihren biologischen Grundprogrammierungen widersprechen. Es wäre für die Frauen und für die Menschheit sinnvoller, wenn diese ihrer Programmierung gemäß einen eigenen empathischen Weg innerhalb unserer globalen anthropogenen Kultur aufzeigen könnten, der  unserer statusorientierten Naturvernichtung eine Grenze setzen würde und damit der Menschheit in ihrer Ganzheit auch eine andere Zukunft aufzeigen könnte.

Kinder reduzieren für die Eltern einerseits ihre gemeinsame Zeit und andererseits leben diese ihnen ihre Paarbeziehung vor. Damit bestimmen sie direkt oder indirekt die Lebensziele der Kinder.

(Ein gewisses Problem können dabei später die Erinnerungen der Kinder darstellen, da sie dann oft kompensatorisch deren einmal gefasste Meinung bestätigen können. Erinnerungen, die nicht in das vorgefasste Bild passen, werden aus dem Gedächtnis gedrängt und andere geschönt).

Oft konkurrieren die Kinder um die Aufmerksamkeit der Eltern. Im Elternhaus sammeln sie ihre ersten Erfahrungen. Niemand kann sich dem Einfluss seiner Herkunft entziehen. Sie wird zum Teil seiner Persönlichkeit.

Wie stark wir genetisch auf sexuelle Gemeinschaften eingestellt sind, zeigen besonders deutlich unsere uns biologisch vorgegebene Strategien bei der Partnerwahl. Man orientiert sich bevorzugt nach „oben“, nach Attraktivität. Die

  • Männer sollen (in den Augen der Frauen) männlich auftreten und möglichst einen hohen Bildungsabschluss haben,
  • Frauen sollen für Männer bevorzugt jünger sein.

Die dann erfolgten Entscheidungen sind oft irrational, da die tatsächlichen Realitäten für die einzelnen Menschen zu komplex sind. Der einzelne Mensch ist in individualistischen Gesellschaften bei ihnen überfordert. Bedeutsam sind hier Ähnlichkeiten und das soziale Umfeld. In traditionellen Familien trafen die Ausgangsfamilien die wesentlichen Entscheidungen. Heute sollen oft Computer bei der Wahl helfen. Ihre Algorithmen vergleichen die Daten und machen dann entsprechende ihrer Programmierung ihre Vorschläge.

Für unsere Zivilisation ist die historische Kleinfamilie eine Fehlkonstruktion (weitgehend wegen der ideologischen Überforderung ihrer Mitglieder). Früher war sie in Gemeinschaften vom 50 – 300 Menschen eingebettet, die gemeinsam die Kindererziehung übernahmen. Die moderne Industriegesellschaft machte aus ihnen Kleinfamilien in einer anonymen Massengesellschaft, Beziehungssysteme ohne zusätzliche Bezugspersonen für die Entwicklung der Kinder. Trotzdem kann man auf diese nicht verzichten, denn sie schaffen

  • die psychisch existenznotwendige Nähe, ein besseres gegenseitiges Verständnis,
  • ein Gemeinschaftsgefühl,
  • gemeinsame Erinnerungen, die den Zusammenhalt stärken (durch gemeinsame Rituale, Spiele, Erlebnisse),
  • einen gemeinsamen Orientierungsbesitz.

Ein Problem in unserm auf die alleinige Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse hin zielenden Individualismus ist der Belastungs- und Kostenfaktor durch die Kinder (bis zur Volljährigkeit laut statistischem Bundesamt ca. 148.000 Euro). Kinder können auch Stress bedeuten. Dabei können sie innerhalb vieler Familien deren einzigen Lebenssinn darstellen, ihren inneren Zusammenhalt stärken, deren Erlebnisreichtum entscheidend mitbestimmen. Sie können nicht nur eine große Last, sondern auch das höchste Glück darstellen.

Eine besondere Bedeutung für Kinder haben Geschwister, zunächst als Personen der Nähe, später über eine zunehmende Distanz. Durch die ständigen Vergleiche mit ihnen besitzen sie Hilfen bei ihrer Identitätsgewinnung.

  • Sie können sich lieben und hassen.
  • Sie können zu einander Nähe und Distanz spüren.
  • Sie können unter einander zusammenhalten oder gegenseitige Konkurrenten sein.
  • Sie verbringen oft mehr Zeit miteinander als mit irgendeiner anderen Bezugsperson.
  • Von Anfang an sind sie Rivalen. Aber anders als gegenüber anderen Konkurrenten müssen sie sich bei Streitigkeiten einander aushalten.
  • Jungen brauchen besonders während ihrer Pubertät für ihre Identität männliche Bezugspersonen.

Eine besonders schwere Belastung für Betroffene können Ausgrenzungen sein. Sie empfinden sich dann als „Schwarzes Schaf“, Außenseiter, Sündenböcke. Betroffene Kinder verlieren ihr Selbstwertgefühl. Auch eine Trennung von einer Familie bedeutet oft nicht nur eine Befreiung, sondern auch immer einen Verlust.

Schwere Aufgaben für die Eltern ergeben sich, wenn sie

  • ihre Kinder zu stark lieben und diese dadurch ihre Grenzen nicht kennenlernen,
  • die Jugendlichen in die Welt entlassen und sie selber damit oft ihren sinngebenden Lebensinhalt verlieren.

Großeltern können heute u. a.

  • Eltern entlasten,
  • ihren Enkeln zugewandter sein als früher ihren Kindern gegenüber,
  • gelegentlich ein negatives Familienklima ausgleichen,
  • zusätzliche Anregungen und Geborgenheit bieten,
  • zu Vorbildern werden,
  • für ihre Enkel zu Gesprächspartnern werden (wenn die Eltern dies als Mittler zulassen),
  • den Blick der Kinder auf ihre Eltern erweitern,
  • Bindeglieder zu ihrer Familiengeschichte werden.

Durch das Internet verändert sich heute das Leben der Jugendlichen. Mit digitalen Geräten groß geworden, besitzen sie andere Kommunikationsmöglichkeiten. Sogar ihre sexuellen Aktivitäten haben dadurch abgenommen. Früher lernten sich die Partner in ihrer Nachbarschaft, am Arbeitsplatz oder in einer Bar kennen, heute erfolgt dies weitgehend über Plattformen (40 %). Dadurch ist die ganze Welt für sie zu einem Dorf geworden, während sie zugleich als Personen immer einsamer werden. Damit haben sich nicht nur ihre Interaktionen geändert, sondern auch ihre Beziehungen und die Formen ihres Zusammenlebens.

Viele der Jugendlichen sind durch die Erziehung ihrer Eltern (Helikopter-Eltern) anspruchsvoll und verwöhnt. Sie haben nie gelernt auf eigenen Füßen zu stehen. Sie sehen kaum ihre Schwächen und Mängel und vertragen keine Kritik. Bereits an den Grundschulen wurde ihnen der Leistungsgedanke aberzogen. Sie wollen ein gutes Leben führen, ohne sich viel anstrengen zu müssen. Sie wollen es möglichst bequem haben. Von ihren Arbeitsplätzen erwarten sie nur sinnvolle Tätigkeiten, ein gutes Betriebsklima, Rücksicht auf ihr Privatleben und nur positive Rückmeldungen. In der Politik wollen sie mitreden. Als wichtigste Ausdrucksform der Demokratie sehen sie den Protest. Sie wollen nicht mehr vor einer unvernünftigen Erwachsenenwelt fliehen, sondern die Verantwortlichen benennen. Dabei verbinden sie ihre Protestformen mit solchen der Popkultur. Allerdings bekommt man durch deren Beachtung durch die Medien ein falsches Bild von ihnen, so sind z. B. an der „Fridays for Future“-Bewegung nur 5 % der Jugendlichen beteiligt.

Ob wir es wollen oder nicht, unsere frühesten Beziehungen zu den uns prägenden sozialen Gemeinschaften hinterlassen in unserem Gehirn Spuren, die unser ganzes späteres Leben bestimmen. Der Mensch ist von seiner Biologie her ein Gruppenwesen. Er hat um sich ein Geflecht sozialer Verbindungen:

  • Am nächsten steht ihm seine Familie: Eltern, Lebenspartner, Kinder, Geschwister, Verwandte,
  • dann Freunde (sie können sogar Verwandte ersetzen):
    • In der Antike bildeten Freundschaften das Gegengewicht zur Familie. Sie vereinten sich z. B. oft zu Männerbünden.
    • Freundschaften beruhen auf Freiwilligkeit, gemeinsames Tun, gegenseitige Hilfe und gemeinsame Zerstreuung.
    • Freundschaften beruhen auf Wechselseitigkeit (das Geben und Nehmen),
    • zu den besten zählen 1 – 2 Personen.
    • Sie bieten soziale Sicherheit, entlasten sich (statistisch wird in Deutschland die Hälfte von ihnen alle 7 Jahre ausgetauscht).
    • Menschen mit einem Freundeskreis leben länger und werden seltener krank (in vielen Studien bewiesen).
  • danach Kollegen, Nachbarn, gemeinsame Vereinsmitglieder.

Philosophisch wird jedes Individuum als Subjekt gesehen. Es zieht um sich zu seinem inneren Schutz in einer diffusen Welt seine Grenzen und nennt deren Innenbereich seine Identitätswelt, auf die er selbstbestimmend Einfluss nehmen kann, während er vor deren Außenbereich oft Angst verspürt, in jedem Fall in sich unsicher ist. In seinem Selbstbewusstsein, das man über seine Prägung erhalten hat, ist man immer von einem Gegenüber abhängig. An der Auseinandersetzung mit diesem erkennt man sich und bestimmt seinen Wert. Er basiert auf einem weitgehend unbewussten Bewerten von Anerkennung und Ablehnung. Niemand kann sich von seiner sozialen Umwelt vollständig lösen.

Ein Individuum ist das Gesamtergebnis

  • seiner Gene, d. h. seines evolutionären Erbes, seiner Prägungen in seiner Kindheit und Jugend, d .h. der vermittelten Werte seiner Erziehung,
  • seines Stoffwechsels, d. h. seines Botenstoffhaushaltes, seines Mikrobioms, seiner Ernährung und Bewegung,
  • seiner Erfahrungen, d. h. seines ihm vorgegebenen Umfeldes und dessen Einwirkungen auf dieses.

Individuell werden wir weitgehend von unseren Botenstoffen gesteuert, gesellschaftlich von den globalen Mächten. Demokratische Entscheidungen mögen einst für die überschaubaren griechischen Stadtstaaten ideal gewesen sein, heute, bei unseren gegenseitigen weltweiten Abhängigkeiten, stellen sie weitgehend nur noch soziale Wunschvorstellungen dar, Entscheidungen, die weitgehend von den Kapitalmärkten, digitalen Weltfirmen und Hegemonialmächten gesteuert werden.

Die Individualität steht für die Möglichkeiten der menschlichen Vielfalt. Diese ist unermesslich groß. Das Problem bei ihr ist nur, dass viele Personen glauben, deshalb auch das Recht zu haben, deren Extreme ausleben zu können. Sie bedenken dabei nicht, dass dies immer nur auf irgendeine Weise zu Lasten der Natur, der Umwelt, der Gemeinschaft geht. Einer anderen Art angehörend, würden sie so nicht überleben. Unter dem Schutz der kollektiven Setzungen stehend, haben sie nicht das Recht, sich gegen die Setzungshintergründe zu stellen, bzw. gegen deren Existenzhintergründe. Das Problem unseres Individualismus in Verbindung mit unserer Kultur ist, dass letztere ständig in uns Bedürfnisse, Ansprüche weckt, die oft mit den persönlichen Fähigkeiten der Betroffenen nicht in Einklang zu bringen sind. Kompensierend werden dafür Schuldige gesucht, zunächst oft im persönlichen Umfeld, dann aber auch abstrakt weit entfernt bei Schuldigen, die man gar nicht kennt, bei Ausländern, Politikern, Juden. Eine Folge davon sind wachsende Ungleichgewichte im persönlichen Transmitterhaushalt, psychische Überspanntheiten, weit fortgeschritten, psychische Krankheiten, die dann auch oft in physische umschlagen oder sehr häufig, Fluchten in Phantasiewelten.

Unsere Entwicklung zu unserer individualistischen Kultur zog sich über mehrere Jahrhunderte hin und formte uns, von unseren uns prägenden Setzungen her und damit unserem Selbstverständnis, zu selbstbestimmenden Individuen. Der Liberalismus verstärkte diesen Prozess besonders in den letzten Jahrhunderten und machte unser Selbstwertgefühl von unseren Möglichkeiten der Selbstbestimmung abhängig. Damit wurde aber auch für den Erfolg und das Scheitern jeder Einzelne für sich selber verantwortlich, seine Existenz zu einem ständigen Wettbewerb, der jetzt losgelöst von seinem archaischen sexuellen Hintergrund nun jeden Abschnitt seines Daseins erfasste und ihn dabei zugleich mit seiner zunehmenden Naturentfremdung zunehmend physisch und psychisch überforderte, ihn krank machte, – mit einem Kranksein, dem er wiederum mit Mitteln der Selbstoptimierung zu begegnen versuchte und mit dem er sich zusätzlich von seinem biologischen Kern entfernte. Er machte seinen Individualismus zum Mittelpunkt seines säkularen, zeitgenössischen Lebens. Er erhielt den Wert, losgelöst von der Natur, zu der er gehörte, einer eigenen Realität.

Während der Industriegesellschaft besaß das Leben des Einzelnen noch klare Orientierungsinhalte und Ziele. Hierarchisch vorgegeben, ordnete sich der einzelne noch nach Geschlecht, Beruf, Religion, Volkstum und Klasse in seinen Gruppenplatz ein. Die Arbeitgeber, Gewerkschaften, Kirchen, Vereine und Schulen begleiteten die Einordnung. Jeder besaß seinen Platz in seiner Gesellschaft, von dem er sich nur begrenzt fortbewegen konnte, wenn er nicht hart mit Sanktionen wieder auf den rechten Weg zurückgeführt werden wollte.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begann dann verstärkt der Anspruch auf Selbstbestimmung, auf eine eigene Entscheidung über den zu gehenden Lebensweg. Mit diesem Anspruch verbunden war eine ständige Ungewissheit, ein ständiger Stress innerhalb seiner Welt. Die Geborgenheit bietende Familie, Umwelt zerbrach zunehmend. Man besaß jetzt zwar oft eine höhere Bildung, ein höheres Einkommen, eine erhöhte Lebenserwartung,  konnte sich einen höheren Lebensstandard, teure Reisen und höhere Statussymbole leisten,  suchte aber trotzdem für sein Selbstverständnis ständig über soziale Bezüge nach seiner Rollen- bzw. Gruppenidentität.

Innerhalb einer Konzentration auf das „Ich“ gestaltete sich das Leben nun als ständiger Versuch und Irrtum. Man berief sich dabei auf die alten Setzungen aus der Aufklärung: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die jeder in ihrer Unverletzlichkeit als gefüllte Wahrheit in einem abstrakten demokratischen Ideal nun für sich beanspruchte. Umgeben von einem Gesetzeskanon, der seine Individualität schützt, pocht man auf deren Unverletzlichkeit, die man hauptsächlich über seinen Konsum zum Ausdruck bringt. Das Problem dabei ist, dass es gerade in unserer Gesellschaft dieser Konsum ist, der uns direkt in unser Verderben führt. Wir versuchen zwar unserem Naturverbrauch durch eine Geburtenbeschränkung rational zu begegnen, leben aber zugleich emotional erhöhte Konsumansprüche, so dass alle unsere Vorsätze erfolglos bleiben.

Wir wissen heute, dass das Paradigma unserer Individualisierung eine anthropogene Fehlentwicklung darstellt, die uns, wenn wir sie weiter leben, direkt in das Anthropozän führt. Der Feminismus und unser Naturverbrauch sind nur zwei Ausdrucksformen dieser Entwicklung. Sie klammern die jeweils biologisch gegebenen Vorgaben des Menschen aus, die zunächst fundamental in einem bestimmten sozialen Hintergrund eingebettet sind. In der Zukunft werden wahrscheinlich zwei Stränge dieser Entwicklung Grenzen setzen und den Individualismus zu einer sinnentleerten Spielerei, bzw. zu einer Farce machen:

  • Die Digitalisierung unserer Umwelt wird dazu führen, dass unsere Autonomie zu einer reinen Fiktion wird. Manipuliert wird unser „freie Wille“, der Wille von Interessengruppen sein. Völlig überwacht (unbemerkt) werden unsere „bewussten“ Entscheidungen deren instrumentalisierte Ausdrucksformen. Der Zerfall unserer traditionellen Gesellschaften beschleunigt nur diese Vorgänge. Unser Individualismus gleitet in eine neue Form des Kollektivismus. Bereits Hanna Arendt glaubte, dass die einzige individuelle Entscheidung, die wir tatsächlich noch besitzen, die Möglichkeit ist, unsere Individualität aufzugeben.
  • Der globalisierte, weltweite Finanzkapitalismus wird unserer Individualität harte Grenzen setzen. Der einzelne Mensch versteht die Zusammenhänge dieser Welt in ihrer Komplexität immer weniger. Wir müssen akzeptieren, dass unsere gesamten rationalen Vorgaben nur zeitabhängige wissenschaftliche Orientierungshilfen sind, und es diese Vorgaben sind, die uns in unserer „Freiheit“ lenken. Wir sind abhängig von ihnen und von den verselbständigten Finanzströmen.

Was uns individuell wahrscheinlich nur bleibt, ist unsere Fähigkeit zur Empathie, unsere Intimität zu pflegen und zu wissen, dass unser Selbst nur ein Teil unserer uns prägenden Gemeinschaften ist. Indem wir über uns selbst reflektieren und bewusste Entscheidungen treffen, können wir uns in unsere Bezugsgruppen einbringen. Jedes Individuum kann sich nur im sozialen Spiegel seines Gegenübers erkennen. Sein Ich hängt immer vom Blick seiner Umwelt ab. Erst darüber kann es zu seiner persönlichen Autonomie gelangen. Jeder besitzt seine Stärken. Dazu können u. a. gehören: Der Sinn für Schönes, Kreativität, Neugier, Ausdauer, Weitsicht, Teamfähigkeit, Führungsvermögen und Bescheidenheit. Und jeder möchte ein sinnvolles Leben führen. Als die sechs Grundtugenden gelten dafür: „Menschlichkeit, Weisheit, Mut, Gerechtigkeit, Mäßigung und Transparenz“.

Zu einer größeren Lebenszufriedenheit sollen führen: „Neugier, Dankbarkeit, Hoffnung, die Fähigkeit zu lieben und geliebt zu werden. Sie erhöhen stark das persönliche Glücksempfinden.“ (nach Martin Seligman).

Für unser Selbstwertgefühl ist die Wertschätzung anderer die Voraussetzung, d. h.:

  • Anerkennung (Wertschätzung, Lob),
  • Zuwendung (zuhören, Wahrnehmung),
  • Authentizität (Autonomie, Souveränität),
  • Zärtlichkeit,
  • Zeit.

Als Ergebnis führen sie zu einer erhöhten Dopamin- und Oxytocin-Ausschüttung. Die Menschen blühen auf.

Eine fehlende Zuwendung führt zu psychischen Belastungen, zu depressiven Erschöpfungszuständen, ständigem Stress, Dauerfrustrationen (Burnout), einem gestörten Immunsystem, Krankheitsanfälligkeit, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen  und in extremen Fällen zu Selbstmord oder Mord. Die Ursachen für das Fehlen können sein: Nichtbeachtung, Respektlosigkeit, Schweigen, fehlende Zuwendung (z. B. des Partners). Deutlich wird ein solches Verhalten durch Unsicherheit und fehlendes Selbstvertrauen. Diese Aufzählung macht unser Angewiesensein auf soziale Zuwendung deutlich. In manchen Fällen können Hilfen das Verzeihen (z. B. bei Rachegedanken) und die Selbstüberwindung sein.

Um nicht psychisch krank zu werden, brauchen wir in uns ein Gleichgewicht unserer Botenstoffe, die wir weitgehend über unsere Orientierungswerte steuern. Ist jemand uns in einer Hinsicht offensichtlich überlegen, suchen wir bei ihm in anderen Bereichen Negativgebiete, um uns mit ihm gleichwertig zu fühlen. Gelingt uns dies nicht, belasten wir ihn mit Negativbeschreibungen, die uns dann indirekt wiederum langfristig psychisch selber belasten.

Zwischen dem gewünschten und dem gelebten Selbst bestehen meistens Differenzen. Gewünscht wird immer eine Anerkennung. Viele Menschen wollen deshalb extrovertierter, offener sein. Es besteht deshalb zurzeit ein großer individueller Optimierungsdruck. Eine Persönlichkeit zu sein, ist relativ. Ein Individuum wird von seinen Gefühlen, Gedanken und durch sein Verhalten bestimmt. Das Grundmodell der Persönlichkeitsforschung geht heute von fünf Kriterien aus:

  • Offenheit für Erfahrungen,
  • Gewissenhaftigkeit,
  • Extraversion,
  • Verträglichkeit,
  • Neurotizismus.

Das Erbgut bestimmt den Rahmen, in dem sie sich entfalten können. Während der Kindheit werden sie hauptsächlich durch die Gene charakterisiert. Später werden sie von neuen Erfahrungen, Rollenerwartungen und Herausforderungen beeinflusst. Auch durch neue Rollen werden neue Gewohnheiten erforderlich (z. B. durch den Beruf, Kinder). Den größten Einfluss sollen die erste Liebe und das Ende der Ausbildungszeit haben.

Eine besondere Bedeutung für unseren Individualismus besitzt unsere Privatsphäre. Sie ist eine Erfahrung unserer persönlichen Innerlichkeit und Intimität, unserer Selbsterfahrung. Nach unserer Individualisierung in der Reformation und der Aufklärung wurde sie zum Grundgedanken unserer Menschenrechte und unserer Demokratie. Damit verdient sie heute unseren besonderen Schutz. Durch das Internet erodiert sie allerdings zunehmend. Sie wird als ein Verlust unserer bürgerlichen Werte kaum noch wahrgenommen. Als Konzept gibt es sie auch erst seit etwa 200 Jahren. In den früheren Dörfern kannte noch jeder jeden. Aber auch damals gab es graduelle Rückzugsmöglichkeiten. Heute ist das Internet zu einem künstlichen Sozialkontrolleur aufgestiegen. Alles ist transparent geworden. Dabei müssen wir persönlich gar nicht mehr direkt beobachtet werden. Statistische Daten lassen relativ genau das Handeln Einzelner voraussagen. Indem alle unsere Gefühle und all unser Verhalten datenmäßig erfasst werden und wir von den Datenbesitzern beliebig manipuliert werden können, sind viele unserer ideellen Freiheiten verloren gegangen.

Kollektiv schafft unser Individualismus eine soziale Beliebigkeit und damit letztlich eine gesellschaftliche Orientierungslosigkeit. Ideologische Thesen werden hochgespielt, und wenn man sich langweilt, nimmt man dankbar für die Abwechslung von seinem ansonsten erlebnisarmen Leben an einer Demonstration teil. Eine gewisse Orientierung können dann neue soziale Gruppen mit einem neuen Dazugehörigkeitsgefühl bieten.

Man kann gesellschaftlich die Rechte eines Individuums, seine Freiheitsrechte besonders herausstellen, doch geht man dabei indirekt von dessen psychischer und intellektueller Gleichheit aus, einer Wunschvorstellung, die zwar immer wieder erhoben wird, die aber nie gegeben ist. Dies würde auch dem biologischen Spiel der Gene in ihrer evolutionären Ausrichtung widersprechen. Wohl können wir sozial von einer rechtlichen Gleichheit als Setzung ausgehen, wenn einige soziale Grundforderungen eingehalten werden, unter anderen eine Verantwortung für sein Tun. Von Adenauer stammt die Aussage: „Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben alle nicht den gleichen Horizont“. Er trifft damit relativ genau unsere Realität.

Durch die individuell mögliche Vielfalt der DNA im Menschen weichen viele Personen als evolutionäre Versuche von der Artprogrammierung des Homo sapiens variierend ab. Viele von ihnen werden dadurch für ihre Art zum Problem, das nur durch unseren hohen Zivilisationsstandard und unsere individuellen Wertsetzungen existentiell aufgefangen werden kann. Genau genommen sind sie artkrank, viele in ihrem Verhalten neurotisch, was dann positiv zur Ausdrucksform des betroffenen Individuums deklariert wird. Das Problem für die Menschheit ist jetzt nur, dass evolutionär nicht nur die nicht Angepassten, bzw. Anpassungsunfähigen gefährdet sind, sondern unsere ganze Art. Wir verteidigen zwar noch uneinsichtig unsere individualistischen Werte, weil sie in unserem Gehirn unsere glücksverheißenden Botenstoffe fördern, doch macht uns das letzten Endes gesellschaftlich unfähig, uns in unserer Gesamtheit einzuschränken, zumal uns unsere statusorientierten Werte gleichzeitig massiv dagegen aufbegehren lassen. Damit rasen wir sehenden Auges relativ ungebremst in die Auflösung unserer Art.

Wir erziehen in unserer Gesellschaft zum Individualismus, zum Freiheitsanspruch des Einzelnen. Sein persönliches Glück (in manchen Schulen heute ein Unterrichtsfach) steht im Vordergrund aller pädagogischen Bemühungen, letztlich in Richtung einer hedonistisch ausgerichteten Gesellschaft. Dabei wissen wir, dass diese Zielsetzungen uns in einen Abgrund,  in einen anthropogenen Selbstmordes führen werden. Appelle an die Erwachsenen auf Einzelaspekte zu verzichten, führen ins Leere, wenn wir nicht bereit sind, unsere gesamte Existenz zu verändern. Jeder will seine Individualität in seinem Verhalten und in seiner Kleidung herausstreichen. Da das alle wollen, aber alle den gleichen Informationen, den gleichen Trends folgen, sehen am Ende dann doch alle gleich aus und bewegen sich alle in der gleichen gesellschaftlichen Strömung (Mainstream). Einerseits wird die eigene Persönlichkeit betont, das Recht auf seine Individualität, andererseits wird jeder Mode, jedem Event nachgelaufen, um den anderen zu gleichen, bzw. kein Ereignis zu verpassen. Einerseits erkennt man die Notwendigkeit des Naturschutzes, des Klimaschutzes, andererseits ist keine Erlebniswelt zu weit entfernt, um nicht zur Befriedigung seiner Glückshormone dort hinzujetten. Im Endeffekt mündet das persönliche Unangepasstsein in einem allgemeinen Angepasstsein. Und unsere Medien, bzw. die Datenbesitzer im digitalen Hintergrund, fördern diesen Trend.

Unsere Entfremdung von der Natur verändert unsere natürliche psychische Grundbefindlichkeit. Da wir mehr oder weniger alle davon betroffen sind, wird sie zu einem Ausdruck unseres allgemeinen Daseins. Psychische „Fehl“-Entwicklungen beginnen uns und unsere Gesellschaft zu beherrschen. Wir merken es selber kaum. Unser Individualismus mit seinen narzisstischen Formen oder unser überdecktes Statusstreben mit seinen machiavellistischen, psychopathischen Verhaltensweisen werden zu alltäglichen Ausdrucksformen unserer Gesellschaft. Einerseits von utopischen persönlichen Ansprüchen beherrscht und andererseits von den Ressourcengrenzen unseres übervölkerten Planeten begrenzt, agieren wir unzufrieden, mehr oder weniger psychisch krank, unserem biologischen Artende entgegen. Als soziale Bewegung ähnlich Betroffener ist unser Feminismus eine seiner Ausdrucksformen.

Um sozial besser anerkannt zu werden, versuchen wir uns ständig zu optimieren. Sei es wegen unserer Naturentfremdung durch eine gezielte Ernährung, künstliche Bewegungszentren oder durch Drogen, bzw. technische Eingriffe an unserem Körper. Da der ständige Wettbewerbsdruck den Einzelnen überfordert, setzt man sich unter den Druck, momentanen gesellschaftlichen Leitbildern zu folgen. In der Antike und noch bei Humboldt galt die geistige Arbeit am Ich als Ideal, als eine Kulturleistung. Heute besitzen wir dafür nicht mehr das „rechte Maß“, keinen „richtigen“ Orientierungsansatz. Man verspricht uns über die Selbstoptimierung mehr Glück, mehr Erfolg und größere Entfaltungsmöglichkeiten. Man muss sich nur für die richtigen Maßnahmen entscheiden und wird dann gemäß den Versprechungen erfolgreicher, schlagfertiger, selbstbewusster. Alle Formen einer Verbesserung der Selbstdarstellung für das persönliche Erscheinungsbild, für eine größere soziale Akzeptanz, Anerkennung werden genutzt. In der Realität sieht es dann so aus, dass allein 2017 in Deutschland für diesen Trend 922.000 Schönheitsoperationen getätigt wurden, –  und das ist nur ein kleiner Bereich dieser Optimierungsversuche.

Der Trend zu unserer Selbstzerstörung wird durch unsere augenblickliche Zerschlagung unserer bisherigen sozialen Strukturen zugunsten des Individualismus gefördert. Damit wird fundamental von der Tatsache, dass der Mensch existentiell zunächst ein Sozialwesen ist, abgewichen. Besonders auffallend ist dies bei der Zerschlagung der traditionellen Familie, dem bisherigen Hintergrund aller unserer gesellschaftlichen Strukturen. Das zunehmende Herausnehmen der Frauen aus diesen ist dabei vielleicht das wichtigste Symptom. Die feministische Abwertung ihrer bisherigen Tätigkeiten förderte diese Entwicklung. Kitas und Ganztagsschulen sind nur zwei dieser Entwicklungsformen. Die Erziehung als entscheidende soziale Prägungsinstanz wurde zunehmend aus der Familie genommen und zu einer gesellschaftlichen Aufgabe erklärt. Parteien, die die Globalisierung förderten (in der Realität eine Unterwerfung unter die amerikanischen Hegemonialbestrebungen) verstärkten diese Entwicklung. So setzten die „Grünen“ sich einerseits für einen verstärkten Schutz der Natur ein, andererseits sind sie die stärksten Förderer einer Nivellierung der bisherigen sozialen Strukturen und des Individualismus und damit letztlich indirekt durch die dadurch entstehende Unregierbarkeit der Gesellschaft, auch ein entscheidender Förderer der Zerstörung der Natur. Der wichtigste zu lernende Wert in unserer Erziehung muss in Zukunft die Verantwortung sein, die Verantwortung nicht nur für uns selbst, sondern auch für unser Umfeld. Verbunden muss er mit einem umfangreichen Verzicht werden, was nicht zwangsläufig einem Verzicht auf unsere Glück verheißenden Transmitter bedeutet, sondern nur auf eine Umpolung ihrer prägenden Reizauslöser. Wenn wir dem nicht folgen, geht die Evolution auf der Erde auch ohne uns weiter, denn die Natur kennt keine Moral im Sinne unserer Setzungen.

Wir erwerben unsere Orientierungsinhalte weitgehend außerhalb unserer persönlichen Erfahrungswelt, d. h. hauptsächlich über interessengesteuerte Medien, über das Internet. Unsere Orientierungen gehen damit weitgehend aus Konsuminhalten hervor. Allein wichtig für uns sind dann unsere verbindenden Gefühle mit diesen Inhalten, die Bedeutung der von ihnen hervorgerufenen Bilder in uns. Wir orientieren unsere Gesellschaft auf einen möglichst ständigen Dopaminausstossß ihrer Mitglieder, auf ständige Glücksgefühle. Dabei klammern wir den Preis, der dafür gezahlt wird, verdrängend aus. Wichtig allein ist unser jeweiliges Wohlgefühl, unser ständiges jeweiliges Hochgefühl, – und danach kommt zunächst nur die Leere. Es gibt in unserem Dasein nichts, das für sich alleine steht. Alles befindet sich in einem Kontakt zu einem Umweltsein, und alles wirkt irgendwo auf etwas ein, und oft mit unserem Hochgefühl negativ auf andere Aspekte unseres Daseins.

Das Problem unseres Orientierung-angewiesen-seins ist seine jeweilige soziale Führung, da diese einen Machtfaktor darstellt und verbunden mit ihren Statusfunktionen, zum Missbrauch und dem Ausleben psychischer Problemhaltungen ihrer Repräsentanten verleitet. Bis jetzt hat sich für Großgruppen die Demokratie als ihre beste Führungsform erwiesen. Einst geboren als Vertretung einer wohlhabenden Oberschicht in einem relativ kleinen griechischen Stadtstaat (z. B. Athen), als Tätigkeit einer kleinen Menschengruppe, die selber nicht arbeiten musste (diese wurde von Sklaven ausgeführt), wurde sie idealistisch verbrämt. Heute ist sie als repräsentative Demokratie genau genommen nur noch eine Form der Oligarchie, für die die großen Bevölkerungsmassen, manipuliert durch die Medien und die Glücksversprechungen, alle paar Jahre ihre Stimme abgeben dürfen. Ihr Extrem haben wir in den USA, wo die Wahlkämpfe, bzw. die Manipulationen mit Milliardenbeträgen finanziert werden. Als westliche Hegemonialmacht, die die Welt wirtschaftlich und militärisch zu beherrschen versucht, ist es ihr gelungen, auch informationstechnisch dir Führungsrolle zu übernehmen und damit die Welt endgültig im Sinne ihrer Oligarchien zu beherrschen.- Und die übrige Welt sieht ohnmächtig, bzw. hilflos zu. Mit ihrer Vetostimme in der UN (mit welchem Recht eigentlich) schmettern sie alle internationalen Anregungen, die ihnen nicht gefallen, ab. Bei unserem sozialen Orientierungsproblem verbleibt damit die Aufgabe, in unserer Demokratie echt demokratischer und dabei funktionstechnisch selber autark zu werden (evtl. in einer Verbindung mit Frankreich).

Wir orientieren uns in allen unseren Bewegungen über verinnerlichte Setzungen, die in uns Reizwelten auslösen und die uns diesen folgen lassen. Damit ist unser Individuum-Ideal, dasjenige eines manipulierten Wesens und in seiner kollektiven Summe, dasjenige  einer verführten Gesellschaft. In dieser doppelten negativen Form begegnen wir der Natur und beuten sie für unsere Statusdarstellungen aus. Alle aktiven Einschränkungen gegen sie sind damit genau genommen Orientierungssetzungen gegen unsere eigene biologische Art und damit am Ende relativ ergebnislos. Was uns deshalb alleine bleibt, ist ein Erinnerungsbewusstsein an eine frühere, noch „heile“ Welt, als wir selber noch als Teil der uns umgebenden Natur lebten und sie uns nicht mit unserem christlichen Ethos untertan gemacht haben. Was uns in unserer individualistischen Welt deshalb alleine bleibt, ist unsere eigene Optimierung für die neue von uns geschaffene Welt soweit voranzutreiben, dass sie über die evolutionäre Zwischenstufe des Anthropozäns mit uns  in eine neue Evolutionsstufe einer Cyborgwelt einmündet. Der einzelne von uns merkt von diesem Prozess in unserer Gesellschaft relativ wenig, da er als Teil ihrer Ganzheit satt mit ihr in seine Zukunft schwimmt, und er alle Unannehmlichkeiten zurzeit noch weit weg von sich wähnt.