15.1 Setzungen, Gedanken
- Jedes Individuum ist auf ein persönliches Orientierungsmodell angewiesen. Jedes Orientierungsmodell ist ein individuelles philosophisches System, dessen persönliche Verbindlichkeit von der Art und Weise der darin enthaltenen Paradigma abhängig ist. Eine Sozialität ist ohne verbindliche Meta-Setzungen nicht möglich. Die Antwort auf die Frage, ob ein sozial verbindliches philosophisches Modell möglich sei, ist eine Setzung innerhalb eines Orientierungsmodells und abhängig von der Art und Weise der darin enthaltenen Paradigma.
Jedes Weltbild ist das Orientierungsganze eines Standortes. D.h., jeder Standort besitz seine Weltsicht. Die Philosophie beschäftigt sich mit dem Ordnen von Strukturelementen zu einem solchen.
- Der Mensch sieht die Welt nicht so wie sie ist, sondern so wie er glaubt, dass sie es ist, d.h., so wie es ihm seine Kultur nahe legt. Abweichen kann er von der relativ festen Perspektive nur dann, wenn eine Kultur sich ihrer Setzungen unsicher, im Umbruch ist. Jede Gesellschaft kann ihre Welt nur im Sinne ihres Weltbildes, ihrer Ideologie erfahren.
- Jede Kultur versucht zunächst neue „Informationen“, Begegnungen im Rahmen ihrer alten Strukturprogramme aufzuarbeiten. Erst wenn dies nicht möglich ist, verändert sie diese. Ein Denken zwischen zwei Kulturen, Struktursystemen entspricht dem Denken zwischen zwei verschiedenen logischen Ansätzen und ist, wenn überhaupt, nur begrenzt möglich.
Innerhalb der Kulturen sind die entscheidenden Setzungen die Ergebnisse sozialer Machtverhältnisse, da über Setzungen auch bestimmte Sozialstrukturen determiniert, bzw. verstärkt werden können. Gesellschaft, Wissen und Erkenntnis sind so gesehen sich gegenseitig bedingende, dialektische Größen.
- Das „Bild der Welt“, das ein Mensch in sich trägt, ist ein Ergebnis seiner sozialen Evolution. Es ist die Wirklichkeit, die als Wirklichkeit sein Überleben sichert. Durch seine Abhängigkeit von seiner Kultur sind deshalb auch die Maßstäbe seines Selbstwertgefühls immer sozial verankert, beziehen sich immer auf eine vorgegebene, verinnerlichte Kulturvorgabe. Alles was ein Mensch sucht, kann er nur in sich selber finden. Er kann sich nur in Richtung auf seinen eigenen Entwurf hin entwickeln, einen Entwurf den er sich sowohl in seinen biologischen wie auch sozialen Vorgaben nicht auswählen kann und dessen „Gefangener“ er ist.
- Alle Sinnfragen des Menschen werfen ihn letztlich auf sich selber zurück. Sie sind die Fragen, Symbole eines aus seinen ganzheitlichen Bezügen heraus Entwurzelten, dem die rückbezogenen, traditionellen „Werte“ seiner Naturbindung keine befriedigende Antwort mehr geben können. Innerhalb seiner sich daraus ergebenden kosmischen „Sinnlosigkeit“ sind sie jedoch ohne eine Bedeutung, denn (bewusstseinsmässig) außerhalb des „geschlossenen“ Universums haben sie keinen Sinn. Es kann als eine Energieeinheit gesehen werden, in der sich das denkende Subjekt nur im Rahmen seiner eigenen Setzungen narzistisch betrachtet. Ein Standort (z.B. ein Mensch) repräsentiert im Weltall nur eine vorübergehende, lokale Energiekonzentration.
- Jede Zeit, jede Kultur muss ihr eigenes Weltbild neu formulieren. Ihre Ängste, Hoffnungen und Bedürfnisse formen zunächst die Fragen und dann die Antworten. Gemeinsam schaffen sie eine Welt nach ihrem Bilde. Die Illusion ist dabei vielleicht das wichtigste Orientierungskriterium. Je weiter ihre möglichen Ziele sind, je umfangreicher durch sie Träume und rituelle Tätigkeiten organisiert werden, je umfangreicher kleinste „Selbstfindungen“ erreicht werden, um so mehr Hoffnung verspricht sie zu spenden und damit einen Orientierungscharakter zu besitzen.
- Unsere Kultur wird bestimmt von einem ständig wachsenden Defizit an Natureindrücken (-reizen) und einem gleichzeitigen Überangebot (sektoralen sensitiven Überreizung) an nicht verarbeiteten und deshalb auswechselbaren Kultureindrücken. Beide zusammen bedingen die Orientierungslosigkeit des modernen Menschen, seine Unsicherheit, sein psychisches und später physisches Krankwerden, obwohl er von der „Welt“ mehr gesehen hat als noch jeder Mensch vor ihm.
- Jedes von einem Menschen entworfene Orientierungssystem ist ein Ideal, sein Ideal. Der Erkenntnisprozess ist immer ein Zuordnungsprozess und damit eine Wertung in einem vorgegebenen Rahmen. Die Umweltorientierung erfolgt immer nach einem Kanon gesetzter Strukturen, d.h. nach einer Wertung, einer im Hintergrund stehenden Meta-Orientierung. Erkenntnis und Sozialität (Sprache) sind untrennbar mit einander verknüpft und nur als abstrakte Einheiten von einander trennbar. Im Alltag sind sie eins. Eine Erkenntnis verlangt, bedingt sozial gesehen immer Verantwortung.
- Die Existenz des Menschen ist dadurch gekennzeichnet, dass er seine kosmische Bedeutungslosigkeit über die bewusste Schaffung einer rationalen Scheinwelt zu verdrängen sucht. Seine innere Distanz zur Ganzheit seiner Herkunft und seine Angst vor ihren „Gefahren“ schaffen in ihm eine egozentrische Bewusstseinslage. Doch wie die Erde nicht im Zentrum des Universums, ja nicht einmal des Planetensystems steht, so steht auch nicht der Mensch über der Natur, sondern ist nur ein Teil von ihr, d.h. ein unbedeutendes Sandkorn in einem gewaltigen, mit einander in Verbindung stehenden Abhängigkeitssystem. Innerhalb einer „logischen“ Welt ist der Mensch deren unlogischer Teil. Die Tragik des „Wissenden“ ist es, dies zu „sehen“ und dadurch sozial zum Narren zu werden. Die blinde Menge höhnt ihn, wie er als tragische Gestalt in seiner Ohnmacht seinen Weg geht.
Das Problem des modernen Menschen ist durch den Umstand gekennzeichnet, dass er für sein Denken kein „Maß“ besitzt. Über das „Sandkorn“ in seiner Hand vermag er zu sich, das Metaphysische und die Wissenschaften wieder zu ihrer Einheit zu gelangen.