23.1 Setzungen, Gedanken
- Gott steht vor dem Seienden. Er wird repräsentiert durch das Seiende, die Wahrheit, eine „höhere“ Wirklichkeit. Er ist für den Menschen der Inhalt einer „Idee“, das Spiegelbild seiner persönlichen Grenzen, eine Formel, eine Illusion, – Hoffnung. Gott ist in der modernen Sprache ausgedrückt das Grundaxiom der menschlichen Orientierung, der Ausgangspunkt der Setzungen, die sein Weltbild zusammenhalten.
- Gott ist eine Projektion jenseits der rationalen Grenzen des Menschen. Er ist das auf ein „Du“ angelegte Bild eines inneren Dialoges, – der mit sich selbst erfolgt und deshalb bereits in seinem Ansatz ein Widerspruch ist -, und damit auch ein Ausdruck der persönlichen Grenzen. Es ist ein mehr oder weniger offenes, auf eine Ganzheit hin angelegtes Bild unseres emotionalen Seinsbezuges. Wird er als Bild rational eingeengt wie bei der Aussage: „Gott ist eine mathematische Formel“, schrecken wir irritiert zurück. Er ist die Antwort einer Kultur auf die Fragen nach einer letzten Orientierung.
- Nicht Gott schuf den Menschen, sondern der Mensch Gott. Er ist eine emotional aufgeladene abstrakte Leerformel aus der der Mensch seine eigene Existenz ableitet, zu der er sich in Beziehung setzt. In dem Begriff „Gott“ projeziert er alle seine Sehnsüchte auf eine unangreifbare Fiktion.
Die Setzung eines Gottesbildes entspricht dem Ich des setzenden Individuums, seinem Abstraktionsvermögen, seiner Begrifflichkeit. Sie ist ein Ausdruck, die Verkörperung seiner Mitte. „Gott“ wird in dem Inneren eines Menschen geboren. Er ist eine „Setzung seiner Seele“. – An die Hand nehmend führt Gott seinen Schöpfer in das „Nichts“.
- Das Nichts ist die „Welt“ des nichtobjektivierbaren Seins. Als solches ist es der außerhalb der menschlichen Grenzen stehende Oberbau des Seins. Es ist das „Selbstlose“, dasjenige, das kein Objekt ist. Erst das Bewusstsein macht aus einem Gegenüber das Objekt, den Inhalt eines Denkens und macht aus ihm einen Gegenstand seiner selbst, indem es sich in seiner Rationalität darin spiegelt.
Das Nichts und das Sein sind gedanklich Ausformungen eines identischen Inhalts aus einer unterschiedlichen Perspektive heraus. Das „Nichts“ als ein Selbst gedacht, ist kein Nichts, sondern die „Rückseite“ einer denkenden Person in ihren Grenzen.
- Die heutige Auseinandersetzung des Menschen mit „Gott“ ist ein Ausdruck seiner Auseinandersetzung mit dem für ihn Irrationalen. Er ist ein Ausdruck seines Defizites geworden: Der Mensch ist für seinen inneren „Ausgleich“ auf einen „Gott“ angewiesen. Da sich dieser letztlich nicht „denken“ lässt, ist er die ganzheitliche Projektion einer Seele auf das Universum, die „Urprojektion“ ·eines genetischen Grundes in das Sein, ein Versuch der Aufhebung eines Geworfenseins in die Bewegung des Überindividuellen.
- Das Paradies ist der Traum unserer Seele, der letzte Ort ihrer Zuflucht in unserer Kultur. Gott ist darin der Versuch, das Undenkbare zu denken. Alle Sehnsüchte des Menschen enden in ihm.
Gott ist eine Idee, für uns heutige Menschen die Verkörperung der Idee des Humanen in seiner Ganzheit, eine Kulturleistung der gesamten Menschheit in Hinblick auf ein Ideal des „Guten“, Schönen, Geborgenheit bietenden, das als Leistung des einzelnen in der Liebe, im Sinne des Gebens verkörpert, seinen höchsten Ausdruck findet.