Religionen

Über Religionen

Religionen sind zeit- und regionsabhängige, personenbezogene, im positiven Sinne einfältige Orientierungsmodelle, Orientierungsprogramme, Weltanschauungen, Ideologien. Ihr Hauptmerkmal ist der Glaube an nicht beweisbare überirdische Kräfte. Als Sinngebungssysteme bestimmen sie über die sie begleitende Wertvorstellungen unsere Gefühle, unser Denkens und unser Handelns. Oft lassen sie sich auf die intuitiven Erfahrungen charismatischer Menschen zurückführen (Schamanen, Propheten). Ihre Lehren werden dann mit Hilfe von Ritualen kultisch gepflegt. Damit werden sie oft zu einer vereinenden Basis sozialer Gemeinschaften. Durch die Machtstrukturen, die sie dann oft errichten, erhalten sie Dauer. Durch ihre Einfalt sind sie einerseits volksnah, andererseits für geistige Auseinandersetzungen eine intellektuelle Aufgabe. Die Gedanken und Kulturleistungen, die Menschen allein für den Theodizee-Gedanken (Gottesgedanken) aufgebracht haben, sind bewundernswert, in vielen Fällen ehrfurchtgebietend. Wenn man sich der Musik Bachs hingibt, durch die Kirche Chartres oder des Kölner Doms geht und zugleich die geistigen Leistungen, die dahinter stehen, erfasst, bekommt man, unabhängig von ihrem religiösen Bezug, auch ein Gefühl dafür, was die Größe des Menschseins-an-sich ausmacht.

Kennzeichnend für Religionen sind:

  • existentielle Kernfragen:
    • Woher kommen wir? (Die Antworten sind oft zeitabhängige Mythen).
    • Wohin gehen wir?
    • was ist der Sinn unserer Existenz?
  • Angebote auf unsere archaischen Ängste

(besonders Trost und Schutz bietend durch Entlastungsangebote);

  • kultische Handlungsgebote

(besonders durch soziale Bindungsangebote, gefördert durch Rituale, Musik und Tanz),

  • Erlebnishinweise für das Nacherleben des Transzendenten

(in früheren Zeiten oft mit Hilfe von Drogen; im Westen traditionell über Gebete und Mystik, im Osten über Meditationen und Ekstase und überall individuell über ein ganzheitliches Naturerleben, Askese und Mitmenschlichkeit).

Religiöse Handlungen werden bei Menschen bereits seit 120.000 Jahren vermutet (Grabbeigaben). Später führten sie zu gewaltigen Grabanlagen (z. B. Pyramiden). Als Grabbeigaben fand man die verschiedensten Kleinkunstwerke. Die ersten ausführlichen schriftlichen Unterlagen über sie haben wir aus der Antike (besonders von der Griechen und Römern), während wir kaum etwas über die Mythen der Kelten und Germanen wissen. Durch die Philosophie erfolgte seit dieser Zeit eine weitgehende Rationalisierung unserer Umweltbezüge. Besonders zunächst durch den Humanismus und die Aufklärung und dann durch die modernen Wissenschaften wurden ihre Orientierungsinhalte rational hinterfragt und zunehmend infrage gestellt. Heute erleben wir das weitgehende Schwinden ihres einstigen Einflusses (rückläufige Besucherzahlen, Kirchenaustritte). Durch ihre kulturelle Verunsicherung haben der Islam, der Buddhismus und das Christentum in den Entwicklungsstaaten zwar zurzeit noch einen großen Zuspruch, doch dürfte dieser durch die Globalisierung und Digitalisierung in wenigen Jahrzehnten auch dort schwinden.

Für Adorno waren Religionen „gesellschaftliche Projektionen“. Nach Durkheim tragen sie besonders zur Festigung sozialer Strukturen bei. Als solidarische Systeme bauen sie auf Mythen und Riten. In modernen naturwissenschaftlichen Ansätzen gelten sie als Ansammlungen von Ideen, die unsere Handlungen bestimmen, als Orientierungssysteme. Während der Romantik wurde von Schleiermacher mit ihrer Hilfe das Gefühl gegenüber der Rationalität der Metaphysik hervorgehoben.

Ihre allgemeine Bedeutung haben die Religionen heute noch, weil sie den Hintergrund unserer Wertsysteme darstellen. Einerseits stehen sie für Mitgefühl, Hilfsbereitschaft und Vergebung, andererseits aber auch fundamentalistisch fanatisiert für die brutalsten Grausamkeiten, die Inquisition, Hexenverbrennung, Gewaltmissionierung, Auschwitz oder heute für die Unterdrückung in Israel. Religionen regelten einst Formen des menschlichen Zusammenlebens. Fast alle sie besaßen eigene Ethiken. Unser heutiges Problem ist, mit dem Schwinden ihrer Akzeptanz: Auf welche Weise können wir ihre humanen Werte konsensfähig für unsere anthropogene Zukunft noch erhalten? Unsere heutige Philosophie scheint dies zurzeit nicht leisten zu können.

Heute hinterfragen wir zunehmend die Inhalte, Rituale und Machtstrukturen unserer Religionen. Einst soziale Sammlungsbewegungen, basteln sich die heutigen Menschen, indem sie sich aus den verschiedensten spirituellen Welten Bausteine herausnehmen, ihre individuellen Patchwork-Religionen selber. Je nach ihrem Bedarf  laden sie ihre verschiedenen Lebensbereiche mit bestimmten Werten auf und  nehmen dann die Ergebnisse zur Grundlage ihrer Orientierung (z. B. im Ernährungsbereich die Veganer). Der moderne Mensch erlebt seine Existenz in der Erfüllung seiner Ansprüche, seines Rechts auf Glück und nicht in seiner fehlenden Bedeutung. Gottesvorstellungen waren schon immer nur Projektionen, die Gebete Selbstgespräche mit den eignen Setzungen. Unsere heutigen Anspruchsreligionen ruhen dagegen nicht in uns selber. Sie sind außengerichtet und führen aus ihrer Erwartungshaltung heraus eher zu einer psychischen Überforderung.

Individuell können Religionen

  • Antworten für Unerklärliches bieten,
  • dem Einzelnen Orientierungsinhalte geben,
  • Identifizierungsinhalte bieten,
  • eine geistige Heimat darstellen,
  • einem Dasein seinen Sinn geben,
  • zu einer inneren Balance verhelfen,
  • ein geistiges Rückgrat darstellen,
  • jemanden psychisch stabilisieren,
  • Gefühle wecken und jemanden lenken,
  • ihn zur Ekstase bringen,
  • kreative Möglichkeiten wecken,
  • verzaubern,
  • trösten,
  • Projektionsflächen sein.

Sozial können Religionen

  • Abgrenzungsmöglichkeiten bieten,
  • Gemeinschaftsgefühle schaffen,
  • Machtinteressen dienen,
  • Herrschaftssysteme stabilisieren,
  • zu Manipulationen missbraucht werden.

In Deutschland lebten 2013:

  • 24,3 Mio. Katholiken (weltweit 1,2 Mrd, davon in Europa 300 Mio.),
  • 23,9 Mio. Protestanten,
  • 1,5 Mio. Evang. Freikirchen,
  • 4,0 Mio. Muslime,
  • 270.000 Buddhisten,
  • 102.000 Juden.

Offiziell gelten Staat und Kirche als getrennt, in der Realität sind sie aber eng miteinander verbunden:

  • Der Staat zieht für die Kirchen deren Steuern ein.
  • In den Schulen ist Religion ein Unterrichtsfach.
  • Der Staat bezahlt die Bischofsgehälter und fast alle Leistungen der kirchlichen Einrichtungen:
  1. B. deren Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Altersheime, Sozialeinrichtungen.

Dabei schwinden die kirchlichen Traditionen:

  • Im Alltag spielen sie kaum noch eine Rolle.
  • Tischgebete werden kaum noch gesprochen.
  • In der Bibel wird kaum noch gelesen.
  • Die Kirchenbesuche nehmen drastisch ab.
  • Die Kirchenaustritte nehmen zu  (in manchen Regionen Ostdeutschlands gehören bereits über 50 % der Bevölkerung keiner Kirche mehr an).

Weltweit gibt es auf Erden, bezogen auf die Weltbevölkerung, zurzeit:

  • Christen:       ca. 35,6 %,
  • Muslime:      ca. 28,7 %,
  • Hindus:         ca. 12,5 %,
  • Buddhisten:  ca.   6,0 %,
  • Juden:           ca.   0,2 %,
  • Atheisten (Agnostiker):  ca. 8,5 %.

Man geht davon aus, dass es zurzeit auf Erden etwa 35.000 verschiedenen Glaubensströmungen gibt. Viele von ihnen sind erst in jüngster Zeit entstanden. (Um 1900 zählte man nur 3000 verschiedene Glaubensgemeinschaften).

Die bedeutendste Religion ist das Christentum. Es ist einst aus einer jüdischen Sekte hervorgegangen. Im Judentum selber hatten sich die Gedanken verschiedener religiöser Strömungen des Nahen Ostens zusammengefunden. Mehrere alte Mythen der dortigen Völker (z. B. das Gilgamesch-Epos), ihre mündlich weitergegebene Erinnerungen und die Lehren des Zarathustras, die das Leben als einen Kampf des Guten mit dem Bösen, über den nach dem Tode Gericht gehalten wird, wurden geschickt zu einem großen geistigen Entwurf zusammengefasst.

Zu den Mythen gehören u. a.:

  • die Schöpfungsgeschichte: Sie folgt alten sumerischen und persischen Schöpfungsmythen (u. a. dem Gilgamesch-Epos).
  • das Paradies: Ursprünglich war darunter ein königlicher Lustgarten der persischen Könige gemeint. Bei der Übersetzung der Thora vom Hebräischen ins Altgriechische (nach 250 v. Chr. in Alexandria = „Septuaginta“) wurde aus dem „pairidaeza“ ein Gottesgarten.

Auch Äpfel gab es in der damaligen Zeit noch nicht. Das Bild verdankt seine Entstehung einem Übersetzungsfehler im 4. Jh. n. Chr. (der „Vulgata“). Aus dem ursprünglichen Begriff „malum“ (das Böse“) las man „malus“ (der Apfel).

  • die Sintflut: Auf der Welt gibt es über 170 Sintflutmythen. Dafür werden in fasst jeder Kultur Naturkatastrophen verantwortlich gemacht. Im Gilgamesch-Epos gibt es bereits einen Flutbericht, der die Menschheit vernichtet habe (geschrieben um 1800 v. Chr.).
  • Sodom und Gomorrha: Symbole des Lasters und der Verdorbenheit. Vermutet wird, dass diese Orte zwischen 2350 und 2300 v. Chr. in zwei Folgen durch Erdbeben zerstört wurden (wie sie in diesen Regionen häufig vorkommen).
  • Abraham und seine Wanderung nach Kanaan: Es hat sie nie gegeben. Die israelische Identität entwickelte sich im Laufe einer längeren Zeit aus den Kanaaniten, aus den dort lebenden Hirten (Nomaden) und den Bauern des Berglandes. In drei Wellen bildeten sie Siedlungen. Ihre einzige Besonderheit gegenüber den anderen Völkern war, dass sie kein Schweinefleisch aßen (vielleicht nur, um sich von ihren Gegnern abzugrenzen).
  • Moses und der Exodus: Ob es Moses als Person je gegeben hat, ist umstritten. Wahrscheinlich war der Mythos um den akkadischen König Sargon I. das Vorbild für ihn, und man verdichtete in ihm später die individuellen Fluchtberichte mehrerer charismatischer Personen zu einer großen  nationalen Erzählung (nach „Exodus“ flohen 600.000 Personen mit ihren Kindern, also 4 – 5 Mio. Menschen).
  • Schlacht von Jericho: Es hat sie nie gegeben. Wahrscheinlich ist das historische Jericho um 2350 v. Chr. durch ein Erdbeben zerstört worden.
  • David (der größte israelische Held, Symbol für die jüdische Identität): Über ihn wurde der regionale Stammesgott zum israelischen Nationalgott (Jahwe). Nach Matthäus soll Jesus seinem Geschlecht entstammen. Man weiß nicht, ob er je gelebt hat, vielleicht als charismatischer Stammesfürst.
  • das Duell zwischen David und Goliath: Der Kampf eines Chancenlosen gegen einen Übermächtigen; eine symbolische Darstellung des Kampfes des kleinen Israels gegen seine mächtigen Feinde und seines Sieges als auserwähltes Volk Gottes.
  • die Bundeslade: Über sie gibt es unzählige Theorien. Sie gehörte nicht zum Beutegut bei der Zerstörung des Tempels durch die Babylonier (darüber gibt es ausführliche Berichte).

Die Bibel spart bei ihren Erzählungen nicht mit Superlativen. Alle zielen auf das Ziel, den Gläubigen zu sagen, dass sie ein auserwähltes Volk seien. Das ganze Alte Testament ist eine theologische Ideologie. Nach der Niederlage gegen Nebukadnezar und der Zerstörung ihres Tempels blieb den Juden nur die Flucht in eine literarische Utopie. Mit Hilfe seiner Mythen versuchte es, sich nicht bei den Babyloniern zu assimilieren (es ging ihnen während der 50-jährigen Gefangenschaft relativ gut) sondern ihre Identität zu bewahren. Mit der Bibel besaßen sie einen besonderen Vertrag zwischen Gott und ihrem Volk.

Das Judentum

Sein zentrales Kultbuch ist die Bibel (wie auch im Christentum). Seine Verfasser sind unbekannt. Sie beginnt mit den „Fünf Bücher Moses“: Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri, Deuteronomium (hebräisch „Thora“ genannt, griech. „Pentateuch“). Man geht heute davon aus, dass das erste Buch aus drei älteren Quellentexten zusammengestellt wurde und das Deuteronomium einen eigenen Verfasser besaß. In der Literatur werden diese Quellen durch Buchstaben gekennzeichnet. Das sind:

  • „ J „ , benannt nach dem Gott Jahwe (dem Gott des Königreichs Juda),
  • „ E „, benannt nach Elohim (dem Gott des Königreichs Israel),
  • „ P „, Priesterversion. Sie behandelt vorrangig rituelle Inhalte und Gesetzesteile.

Sie ist das letzte Dokument aus der Entwicklung des Priestertums.

  • „ D „, Sie behandelt Teile, die  nur  hier genannt werden. Sie stammt aus dem

Zeitalter der Propheten.

  • „ J + E „ sind die älteren Teile, ihnen folgen „ D „ und „ P „ als spätere. „ J „  und

„ E „ entstammen noch einer sehr frühen Phase (nach der einer Naturreligion).

In der Frühzeit bestanden die Israeliten aus 13 Stämmen (12 mit einem zu ihnen gehörendenden Territorium und dem Priesterstamm Levi, der in deren Städte lebte. Ihre Oberschicht bildeten die Richter, Priester und Propheten. Um den Siedlungsdruck der anderen Volksstämme (Philister) standhalten zu können, wählte man nach der Zeit der Richter Könige, die die gemeinsamen Truppenaufgebote der Stämme befehligten.

Die zwölf Stämme lebten in zwei verschiedenen Königreichen: „Israel“ im Norden und „Juda“ im Süden. Beide Völker waren miteinander verwandt, sprachen dieselbe Sprache (Hebräisch) und verehrten denselben Gott („Jahwe“). In beiden war zunächst  eine eigene Version der Geschichte ihres Volkes geschrieben worden. Vielleicht fußten beide auf einer gemeinsamen Quelle (evtl. mündlichen) und die Autoren haben sie ihren jeweiligen Interessen und Zielen angepasst. „ J „ wurde wahrscheinlich zwischen 848 – 722 v. Chr. geschrieben, „ E „ zwischen 922  – 7822 v. Chr. Die Vereinigung der beiden Texte in Babylon diente auch der Vereinigung der beiden Volksteile nach einer 200jährigen Teilung.

Das Deuteronomium wurde während der Herrschaftszeit Josuas geschrieben (um 622 v. Chr.)Es vertritt dessen politische und religiöse Interessen. Sein Autor war ein Priester von Silo, vermutet wird Jeremia (oder sein Schreiber Baruch). Es beschreibt die Herrschaft Davids und seiner Dynastie, u. a. den Davidischen Bund, der auf den Messias verweist.

 Der Autor von „ P „ lebte vor der Zerstörung des Tempels. Er stellt noch die Stiftshütte als Zentrum des religiösen Lebens dar und betont die Zentralisierung der Religion. Wahrscheinlich war er ein aaronitischer Priester und vertrat die Interessen des Königs Hiskia. Opfergaben besaßen für ihn eine zentrale Bedeutung. Die angeführten Gesetze stammen wahrscheinlich aus älteren Sammlungen.

Die Autoren von „ D „ und „ P „ gehörten verfeindeten Personengruppen an, „ P „ der aaronitischen Priesterschaft, „ D „ der Priesterschaft von Silo. Sie erzählten zwei verschiedene Sichten der Geschichte Israels. Dem Autor „Redaktor“ ist es dann gelungen, die sich widersprechenden Texte kunstvoll miteinander zu verflechten. Viele Indizien weisen darauf hin, dass es „Esra“ war. Es gelang ihm, die verschiedenen Quellen zu einem Ganzen zu vereinen.

Die zentralen Bücher des Judentums sind:

  • „Thora“ (Offenbarung), identisch mit den fünf Büchern Moses des Alten Testaments,
  • „Talmud“, er erläutert die religiösen Alltagsregeln,
  • 613 Regeln des Moses Maimonides (1135 ? – 1204, Haupt des orientalischen Judentums): u. a.
    • kein Schweinefleisch zu essen,
    • Heiligung des Sabbats (wöchentlichere Ruhetag, beginnt Fr4eitagabend bis Sonnenuntergang des Folgetages),
    • die Beschneidung als wesentliches Identitätsmerkmal.

Probleme:

  • Die Israeliten sehen sich als auserwähltes Volk Gottes an. Damit schaffen sie eine gewisse Distanz gegenüber anderen Bevölkerungskreisen. Diese Haltung wurde zu einer der Ursachen ihrer allgemeinen Ablehnung (bei oft vorgeschobenen anderen Gründen).
  • Der heutige Versuch eine territoriale Nation zu werden auf dem Hintergrund einer 2000 Jahre alten Rückbesinnung und der Vertreibung von Millionen Menschen.

Das Christentum

Zunächst war das Christentum eine kleine unbedeutende jüdische Sekte. Über seinen Religionsstifter weiß man genau genommen kaum etwas. Wahrscheinlich hat er um 4 v. Chr. bis ca. 33 na. Chr. gelebt und wurde im Jahre 28 von dem radikalen Bußprediger Johannes der Täufer getauft. Nach dessen Tod und einem Initiationserlebnis setzte sein Wirken ein. Er war in seiner Zeit nur einer unter vielen Wanderpredigern. Ihn unterschied von den anderen nur seine radikale Unerbittlichkeit und Selbstgewissheit: „Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich“. Wie unbedeutend er in seiner Zeit war, kann man daran erkennen, dass er im damaligen Schrifttum an keiner Stelle erwähnt wird (die zweimalige Nennung in den Chroniken des Josephus und des Suetons werden heute als nachträgliche Fälschungen angesehen). Er provozierte die Priester

  • durch das Verlassen der traditionellen jüdischen Gemeinschaften durch seine Anhänger (u. a. deren Familien),
  • mit seiner Behauptung, der Messias zu sein,
  • durch sein Vorgehen gegen die Händler und Geldverleiher im Tempel

(diese waren keine Geschäftsleute in unserem Verständnis, sondern Beteiligte an den priesterlichen Kulten, indem sie deren Opfermaßnahmen vorbereiteten),

  • durch sein gutes Verhältnis zu den „Unreinen“ (u. a. Zöllner, Prostituierte),
  • durch seine Kritik an der Priesterschaft (Zusammenarbeit mit den Römern).

Der von ihm in Jerusalem provozierte Aufruhr ließ die Römer einen Aufstand befürchten. Seine wahrscheinliche Kreuzigung wurde dann zum Gründungsmythos einer neuen Religion. Ihr eigentlicher Gründer wurde dann allerdings Paulus. Erst er vollzog den eigentlichen Schritt vom Juden- zum Christentum. Er besaß als Jude das römische Bürgerrecht und verfolgte zunächst die Anhänger Jesu. Eine Christusvision veranlasste ihn zu einem Seitenwechsel, und er begann sich als letzter Jünger von Jesu zu sehen. Durch ihn löste sich der christliche Glaube von den strengen jüdischen Vorschriften. Es entstanden in der Urgemeinde zwei Gruppen:

  • Hebräer – Sprache aramäisch,
  • Hellenisten – Sprache griechisch.

In einem Apostelkonvent 48 n.Chr. in Jerusalem kam es zwischen den beiden Gruppen zu einer Aussprache: Petrus vertrat die Judenchristen (Hebräer), Paulus die Heidenchristen (Hellenisten). Die Jerusalemer beharrten auf der Einhaltung der Vorgaben der Thora (u.a. der Beschneidung), die hellenistischen Gemeinden

  • lehnten die Beschneidung ab,
  • hielten sich nicht an die Speisegesetze,
  • praktizierten nicht den Tempelkult.

Damit wurden sie als Verräter beschimpft, Paulus von den Juden abgelehnt, aus den römischen Städten ausgewiesen und später in Jerusalem verhaftet. Mit der Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr. endete die Existenz der hebräischen Urgemeinde.

Paulus konnte sich auf das Universalversprechen Abrahams berufen (1. Buch Moses). Das Judentum prognostizierte die Herrschaft Gottes in eine messianische Endzeit, das Christentum verschob das Reich Gottes ins Jenseits.

Die Paulusbriefe sind die ältesten Dokumente des Christentums). Wahrscheinlich stammen nur sieben von Paulus selber, die anderen von seinen Schülern). Die Evangelien wurden später geschrieben (ihre Autoren sind unbekannt, ihre Namen haben sie erst später erhalten). Die Evangelien von Matthäus, Markus und Lukas haben wörtlich übereinstimmende Passagen. Vermutet wird eine ältere Vorlage oder das Markusevangelium als Vorbild. Es kann nicht vor 70 n.Chr. geschrieben worden sei n, da es die Zerstörung des Jerusalemer Tempels erwähnt.

In der damaligen römisch-hellenistischen Welt gab es unzählige Glaubensströmungen. Das Christentum unterschied von den anderen Religionen

  • ihr Monotheismus,
  • ihr Gott, der Mensch geworden war und wie ein Verbrecher gestorben war,
  • die Ablehnung von Opfern für den Kaiser

(damit stellte sie die gesellschaftliche Hierarchie in Frage),

  • der Glaube an die Gleichheit der Menschen,
  • der Glaube an die Wiedergeburt,
  • ihre Neigung zur Askese,
  • ihr sozialer Gemeinschaftsgeist.

Ähnliche Vorstellungen hatten in der antike der Mithras- und der Isiskult:          

  • Mithraskult:

Ursprünglich war Mithras ein Tier, das durch seinen Opfertod neues Leben entstehen ließ. Gemeinsam mit dem Christentum hatte er u. a.:

    • eine Taufe (als Akt einer Reinigung),
    • eine Firmung (als Bekräftigung der Beziehung der Gläubigen zur Kirche durch den Heiligen Geist),
    • dass sich der Mensch nach seinem Tod vor einem Göttlichen Gericht verantworten müsse,
    • das Versprechen, bei positivem Verhalten in den Himmel aufgenommen zu werden, bei negativen Verhalten in die Hölle zu gelangen,
    • dass die menschliche Seele unsterblich sei,
    • den 25. Dezember als Geburtstag.

Welche Elemente das Christentum aus dem Mithraskult übernommen hat, ist umstritten. Durch die Entscheidung Kaiser Theodosius I. das Christentum zur Reichsreligion zu machen, konnte diese den Mithraskult verdrängen.

  • Isiskult:

Ihr Kult ähnelte stark dem der Gottesmutter Maria (= Isis) und Jesus (= Horus). Isis galt als die „Mutter der Natur“, als Uranfang der Welt. Auch ihr Mann Osiris starb, um in eine andere Sphäre aufzusteigen. Auch hier ist umstritten, welche Elemente das Christentum aus ihm übernommen hat.

Das frühe  Christentum bestand aus vielen zerstrittenen Splittergruppen. Der heftigste Streit war zwischen den Arianern, die die Gleichheit von Gott und Christus bestritten und den Trinitätsvertretern, die die Dreifaltigkeitslehre, die absolute Gleichheit von Gott, Jesus und dem Heiligen Geist vertraten. Um diesen Streit zu beenden, berief Kaiser Konstantin 325 das Konzil in Nicäa, bei dem die letzteren sich durchsetzen:

  • Jesus wird im Endergebnis als wesensgleich mit Gott angesehen,
  • Ostern wird als Auferstehungsfest von allen Kirchen am selben Tag gefeiert.

Die Arianer wurden zunächst verbannt, ihre Rückkehr verboten. Doch lässt sich Kaiser Konstantin auf seinem Sterbebett 335 wahrscheinlich arianisch taufen, bekannten sich viele Germanenstämme zum arianischen Glauben und auch der Islam übernimmt später im Koran dessen Vorstellung, Jesus nur als einen Gesandten Gottes zu sehen. In Europa setzt sich ab 500 der Trinitätsglaube über die Taufe des Frankenkönigs Chlodwig durch.

Im Christentum vereinen sich viele persische, ägyptische und griechische Einflüsse. Sein Glauben ist eine inhaltliche Festlegung aus einer Vielzahl von Texten (= verbindliche Glaubenstexte). Im 1 Jhrd. bestand noch keine einheitliche Lehre. Die Kanonísierung war erst im 4. Jhrd. mit der Aufnahme von 27 Schriften ins Neue Testament abgeschlossen. Viele Texte wurden dabei nicht berücksichtigt.

Eine besondere Bedeutung erlangten die frühen Asketen und Mönche. So entwarf Benedikt von Nursia (um 480 – 547) für sein Kloster auf dem Monte Casino für die dortige Gottsuche besondere Verhaltensregeln. Sie beinhalten die Elemente Askese, Gottesdienst, Gehorsam und körperliche Arbeit als eine Form der Gottsuche: „Ora et labora“ (bete und arbeite). Dadurch bekam die Arbeit einen hohen ethischen Stellenwert (während sie zuvor als eine Sklaventätigkeit galt) und bestimmte als solche die gesamte nachfolgende Geschichte Europas. Sie ist bis heute (losgelöst vom Christentum) der zentrale Inhalt unserer persönlichen Sinnsuche geblieben.

Weitere Geschichte:

um 800 – Konstantinische Schenkung: Danach schenkte der Kaiser Konstantin

dem Papst „die Stadt Rom und ganz Italien“. (Die Urkunde war eine Fälschung. Damit erhoben sich die Päpste auch zu weltlichen Herrschern).

1054 – Trennung der byzantinischen und der römischen Kirche (Schisma). Der

Bischof von Rom beansprucht die Position eines Oberhirten über die gesamte Christenheit. Byzanz lehnt ab. Sowohl der Bischof belegt den Patriarchen mit einem Bann, wie auch der Patriarch den Bischof. Damit ist die Trennung vollzogen.

1077 – Gang Heinrich IV. nach Canossa. Danach verschiebt sich die politische

Macht vom König auf den Papst.

1095 – Aufruf zum 1. Kreuzzug (1. Von 7). Den in den Schlachten Umkommenden

wird eine himmlische Belohnung versprochen.

(Genau genommen, waren die Kreuzzüge nur brutale, plündernde Eroberungskriege).

  1. Jh. Einführung der Inquisition durch Papst Innozenz(1161 – 1216) zur Beseitigung

von Missständen (= Bekämpfung der Häresie, u. a. gegen die Katharer, Hussiten, Templer, Täufer Protestanten und Juden. Die „Wahrheit“ wurde mit Hilfe der Folter ermittelt. Wer einmal angeklagt war, hatte keine Chance mehr.

Man geht von etwa 1 – 10 Mio. Toten aus und einer 10fachen Zahl an gefolterten und verurteilten Menschen.

  • Allein bei der Eroberung von Beziers sollen 22.000 Menschen ermordet worden sein, in Montsegur über 200 verbrannt.
  • 1481 ließ der Großinquisitor Torquemada 12.000 Juden verbrennen, weil sie sich nicht taufen lassen wollten.
  • 1609 vertrieb die spanische Inquisition zwischen 300.000 -3 Mio. maurische Christen nach Nordafrika (weil sie angeblich kein Schweinefleisch aßen oder keinen Wein tranken).
  • Der Inquisition fielen u.a. Hus , Savonarola und Giordano Bruno zum Opfer.

Als Inquisition bestand diese Einrichtung bis 1908. Danach nannte sie sich „Heiliges Offizium“ und seit 1965 „Kongretation für die Glaubenslehre“. Sechzehn Jahre wurde sie von Kardinal Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI. geleitet.

1486 – Heinrich Kramer veröffentlicht seinen „Hexenhammer“, ein Buch, das

die „Hexenverfolgung“ im großen Stil einleitet.

(Zwei Jahre zuvor hatte Papst Innozenz VIII. dessen Thesen in einer Bulle bestätigt).

50.000 bis 9 Mio. Menschen fallen ihr zum Opfer (die Zahlen differieren so stark wegen den Interessenhintergründen bei der Zählung). Sogar Luther und Calvin waren für ihre Tötung. Man glaubt, dass etwa 1 Mio. Frauen in Europa Opfer dieses Wahns wurden (in Bamberg allein in einem Jahr 600 Frauen, in Siegburg 200, auch die Jungfrau von Orleans wurde (auf britischem Druck) als Hexe verbrannt).

Erst der Jesuit Friedrich Spee wandte sich 1631 in einer Schrift „Cautio  criminalis“ („Rechtliche Bedenken gegen die Hexenprozesse“) gegen sie Ihre Diskussion führte in der Nachfolge u.a. zu unserer heutigen aufgeklärten Rechtsprechung.

1517 – Luther veröffentlicht seine „95 Thesen“ (damit löste er die Reformation aus).

Als Augustinermönch gewohnt, nach dem Armutsgebot des Evangeliums zu leben, veröffentlichte er sie nach seinem Rombesuch gegen den Ablasshandel in der Volkssprache. Mit Hilfe des Buchdrucks suchte er die Öffentlichkeit. Er forderte den mündigen Gläubigen und eine „Bildung für alle“ und brach damit deren Bevormundung durch die Kirche.

1870 – Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes,

(Dogma = verbindliche Glaubensaussage, Anspruch auf absolute Wahrheit, Gültigkeit)

1950 – Dogma von der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel durch Papst

Pius XII.

Im Christentum gibt es mehrere Strömungen. Die bedeutendsten sind die römisch-katholische und die evangelische Kirche.

Besonderheiten der römisch-katholischen Kirche:

  • Der Papst gilt als Nachfolger des Apostels Petrus und als Stellvertreter Christis auf Erden.
  • Man bekennt sich zu
    • einem dreifältigen Gott (Schöpfer der Welt, Sohn Jesus Christus, Heiliger Geist),
    • Maria und unzähligen Heiligen.
  • Umstritten ist
    • die rigide Sexualmoral,
    • das Zölibat,
    • der Ausschluss der Frauen vom Priesteramt.

Besonderheiten der evangelischen Kirche:

  • Viele verschiedene Strömungen, da es kein gemeinsames Oberhaupt gibt (mit zum Teil sektenartigen Zügen),
  • Die Ablehnung
    • von Maria als Heilige,
    • des Zölibats (1/3 der Theologen sind weiblich),
  • nur zwei Sakramente (Taufe, Abendmahl),
  • Segnungen (Konfirmation, Ehe).

Als christliche Werte gelten:

  • alttestamentarisch die „Zehn Gebote“,
  • göttliche Tugenden: „Glaube, Hoffnung, Liebe“ (nach Paulus: 1. Kor. 13,13),
  • ergänzt um vier Kardinaltugenden durch die Kirchenväter (orientiert an der Antike, u. a. an Platon, Cicero):

Weisheit (Klugheit), Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mäßigung (Maßhalten),

  • allgemein gelten als die christlichen Hauptwerte:

Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit.

Eine besondere Bedeutung in den monotheistischen Religionen besitzt der Seelenglauben. Für das Judentum war die Seele der Lebensatem gewesen („nefesch“) über den Gott Adam zum Leben erweckte. Als Lebenskraft verlässt sie den Menschen bei seinem Tode. Ihr Träger ist das Blut. Sie ist ein Teil des Körpers und nicht unsterblich. Erst die griechisch gebildeten Juden schrieben ihr die aus dem Platonismus stammende Lehre von ihrer unabhängigen Existenz vom Körper zu. Die Pharisäer glaubten nun an ihre Auferstehung, während die Sadduzäer diese weiterhin bestritten. Das frühe Christentum übernahm das Verständnis des hellenistischen Judentums. Für die Neuplatoniker stellte sich das Leben als eine Vorbereitung auf den Tod dar. Als unsterblicher Teil des Menschen befreite sich die Seele auf der Erde von der Materie, um in ihre eigentliche Welt zurückzukehren.

Für die Christen spiegelt sich in der Seele deren immaterielle Identität (unabhängig von der materiellen Existenz seines Körpers):

  • In der Antike war sie das Lebensprinzip aller Lebewesen.
  • Bei Homer trennte sie sich nach dem Tod vom Körper.
  • Die Orphiker und Pyrhagoreer machten sie zum Mittelpunkt ihres religiösen Orientierungskonzepts und  machten sie unsterblich, indem sie sie mit einem Fortleben nach dem Tode verbanden. Über ihre Reinheit ermöglichte sie den Zugang zur Götterwelt.
  • Platon wurde von ihnen in seinem Denken beeinflusst (evtl. in Syrakus) und machte sie wesensverwandt mit den nicht wahrnehmbaren Erkenntnisgegenständen (Ideen), nach denen sie strebt, nach dem „Guten“,  dem „Schönen“ und dem „Gerechten“. Sie ist nach ihm in allen Existenzen vorhanden, die gemeinsam die Weltseele bilden.
  • Die Stoiker übernahmen viele Gedanken Platons. Nach ihnen ist die gesamte wahrnehmbare Materie von einer eigenständigen Substanz, dem „pneuma“ durchdrungen. Sie entwickelten verschiedenen Gedanken über sie. Für Plotin steht sie unter dem „Einen“ und ist aus der Weltseele hervorgegangen. In letzterer vereinigten sich alle Einzelseelen.
  • Die Kirchenväter (im 2. Jh.) übernahmen von Platon den Gedanken eines Fortbestehens der Seele nach dem Tode, verbanden sie aber mit ihrer eigenen Auferstehungslehre, nach der sich im Jenseits Leib und Seele wieder verbinden.
  • Für Albertus Magnus war sie identisch mit dem Intellekt,

Die Gleichsetzung von Person und Seele führte über das Bemühen um sie zur „Seelsorge“ und zur Vorstellung des „Fegefeuers“ für die Verstorbenen, bzw. den Gebeten für diese an „Allerseelen“ (2. Nov.). Auf dem „5. Laterankonzil“ (1513 wurde dann die individuelle Unsterblichkeit der Seele zum Dogma erklärt. Noch 1950 erklärte Papst Pius XII., dass sie unmittelbar von Gott geschaffen sei.

In der evangelischen Kirche sah Luther in ihr den von Gott vermittelten Lebenshauch, während Calvin ihr eine immaterielle Substanz zusprach, die im Körper gefangen sei und für die der Tod eine Befreiung darstelle (u.a. auch von den Sünden). In der Gegenwart bestreiten einige evangelische Theologen ihre eigenständige Substanz und deren Unsterblichkeit und glauben an eine Auferstehung des ganzen Menschen („Ganztodtheorie“).

Die christlichen Feiertage lehnen sich an ältere heidnische Festtage an, die man einfach für seine Zwecke mit neuen Inhalten versah:

  • Weihnachten:

Der Termin entspricht dem des römischen Sonnenkults (festgelegt von Kaiser Aurelian auf den 25. Dezember = Fest des Geburtstages der Sonne). Vermutet wird, dass Kaiser Konstantin dann vom Solkult zum Christuskult wechselte. Ob auch Verbindungen zum germanischen Mitwinter- oder Julfest bestehen, ist nicht bekannt.

  • Ostern (hier bestehen mehrere ältere Bezüge):
    • zum jüdischen Passahfest (bewegliches jüdisches Hauptfest nach dem 1. Frühlingsvollmond),
    • zu verschiedenen Matronen- und Disenkulten

(Muttergottheiten in den römischen, germanischen und keltischen             Religionen; Disen = niedrige weibliche Vegetationsgottheiten der nordischen Mythologie),

  • germanisches Frühlingsfest (in manchen Regionen als solches noch heute gepflegt).
  • Pfingsten:
    • entspricht dem jüdischen „Schawuot“ (Fest zur Feier der Offenbarung der Thora; sieben Wochen nach dem Passahfest),
    • römisches Frühlingsfest, den Rosalien (das Schmücken der Gräber zu Ehren der Verstorbenen; ein reines Volksfest getrennt vom Totenkult),
    • fällt mit germanischen Maibräuchen zusammen (Birkenstecken, Pfingstkranz, Schmücken des Pfingstochsen).

Der Islam

Der Islam ist nach dem Christentum die zweitgrößte Weltreligion (ca. 1,5 Mrd. Gläubige). Seine heilige Schrift ist der Koran, in dem die Gläubigen die Ausdrucksformen des göttlichen Willens, die Offenbarungen Gottes für den Propheten Mohammed sehen. Er besteht aus 114 Kapiteln (Suren) und vereinigt in sich große Gegensätze:

  • Gnadenbezeugungen und Intrigen,
  • genaue Alltagsvorschriften und dunkle Sprachbilder,
  • Bodenständiges und Rätselhaftes.

Es ist vielleicht das umstrittendste wie auch das geheimnisvollste Buch der Welt, dessen Regeln die Orientierungsinhalte von 1/5tel der Menschheit bestimmen.

Eine Folge davon ist, dass seine Texte verschieden ausgelegt werden können. Heute haben wir deshalb vom Koran, obwohl er nur arabisch rezitiert werden darf, eine Vielzahl  an Übersetzungen. Das Buch gilt für die Gläubigen als heilig (vielleicht vergleichbar mit Jesus für die Christen). Seine

  • „Mekkanischen Suren“ bezeugen die Wunder Gottes,
  • „medinensischen Suren“ beziehen sich auf die Lebensführung, Kriegsrechte und den Umgang mit den Andersgläubigen.

Als Lehrbuch ist es voller Widersprüche: z. B.:

  • Sure 16.67:  Der Wein ist eine gute Gabe Gottes.
  • Sure 2.219:  Der Wein kann nützlich und eine Sünde sein.
  • Sure 5.90:  Der Wein ist ein Werk Satans.

Für die Andersgläubigen gilt z. B.:

  • einmal: Sie seien „Leute der Schrift“,
  • das andere Mal: Sie seien „diejenigen, die Gott verflucht hat“.

Der „Dschihad“ beschreibt das „Bemühen auf dem Weg Gottes“. Dabei ruft der Koran immer wieder zum Kampf auf (bei einer Ablehnung einer selbstvernichtenden Opferbereitschaft).

Nachfolgende Verse sollen auf die vorangegangenen jeweils aufbauen. Ihre Niederschrift soll 22 Jahre gedauert haben. Der Kalif Uthman  (= 3. Nachfolger Mohammeds) soll veranlasst haben, verschiedene Aufzeichnungen im Koran zu vereinigen. Die Kairoer Azhar-Universität wacht nun seit 1000 Jahren über deren Unverletzlichkeit.

Heute gibt es unter den Moslems:

  • Fundamentalisten (konservative Anhänger),
  • Liberale, die ihn für die Neuzeit öffnen wollen

(Reformer gab es bereits sehr früh: Mutasiliten),

  • verschiedene Glaubensströmungen:
    • Sunniten,
    • Schiiten,
    • Aleviten (Schiitische Sondergruppe mit einer spezifischen türkischen Traditionspflege),
    • Ahmadiyya (islamische Sondergruppe aus Indien; in den 1880iger Jahren entstanden),
    • Ibaditen ( Sondergruppe mit eigenen Rechtsvorstellungen),
    • Sufis (Mystiker): Asketische Sondergruppe, die spirituell eine individuelle Nähe zu Gott sucht.

Die Moslems glauben

  • an einen einzigen Gott,
  • dass Mohammed dessen Gesandter gewesen war,
  • an die Einhaltung von fünf Grundpflichten:
    • dem Bekenntnis zu Gott und seinem Propheten,
    • 5 x zu verrichtende Rituale,
    • das Fasten im Monat Ramadan,
    • Pflichtalmosen,
    • eine Wahlfahrt nach Mekka.

Die Symbole des Islams sind: Burka, Minarett und Moschee.

Verboten ist den  Moslems: Schweinefleisch, Alkohol, Glücksspiel und Unzucht.

Im Islam besteht eine enge Verbindung von Religion und Staat, da ihre erste Gemeinde zugleich eine Glaubens- und politische Gemeinschaft war. Das Zusammenleben wird in der Scharia geregelt (die ein anderes Staats- und Religionsverständnis als das Grundgesetz besitzt). Sie wurde aus den „Hadithen“ (Aussprüche Mohammeds) entwickelt. Sie bildet deren moralischen und rechtlichen Teil. Über sie gibt es zwei  Verständnisebenen:

  • als Gesamtheit der islamischen religiösen und rechtlichen Normen

(Orientierungsinhalte),

  • im engeren Sinne, u. a. als Anweisung zu den berüchtigten Praktiken der

Geschlechtertrennung, der Körperstrafen und der Ungleichbehandlung anderer religiöser Gläubiger.

Mohammed lebte von ca. 570 – 632 n. Chr.. Über sein Leben weiß man relativ viel. Er verstand sich als monotheistischer Nachfolger des Juden- und Christentums (der Arianer). Jesus (im Koran „Issa“, wird dort 25 x genannt) ist für ihn ein Gesandter Gottes. Die 19. Sure gilt besonders ihm und Maria. Woher Mohammed seine Kenntnisse über das Christentum erhalten hat, weiß man nicht (er konnte weder lesen noch schreiben). Vermutet werden:

  • zum einen Informationen von den Juden über die Gestalten des Alten Testaments (in Medina sollen zu seiner Zeit etwa 10.000 gelebt haben),
  • zum anderen Lesungen aus der „Evangelienharmonie“, die damals im Orient weit verbreitet war (einer Zusammenfassung der vier Evangelien und des „Nazaräerevangeliums“ zu einer Geschichte).
  • Kontakte zum Frühchristentum. In Mekka soll es zu seiner Zeit sogar einen christlichen Friedhof gegeben haben, und in der Kaaba  sich nach ihrem Wiederaufbau nach 605 eine Darstellung der Maria mit dem Jesuskind befunden haben, die Mohammed nach seiner Eroberung Mekkas 630 stehen ließ.

Im Jahre 610 erhielt Mohammed seine Eingebung und fand unter den einfachen Leuten schnell Anhänger. Im Mittelpunkt des islamischen Universums ist Mekka als heilige Stadt mit der Kaaba (einem kleinen Tempel mit einem schwarzen Stein in der Mitte, wahrscheinlich einem Meteoriten), die von Pilgern 7x umrundet werden soll. Bis nach dem 1. Weltkrieg war Mekka politisch unbedeutend. Erst die Saudis erkannten seine mögliche wirtschaftliche Bedeutung. Man riss das Geburtshaus Mohammeds und die Häuser seiner Frau ab, weil man die Verehrung historischer Denkmäler als Götzendienst ansah und baute die Heilige Stadt zu einem gewaltigen Geschäftsunternehmen aus.

Neu an der neuen Religion für die Araber war:

  • das Versprechen des Paradieses nach dem Tode,
  • die Kritik an den Reichen,
  • die Predigt nur von einem Gott,
  • das Zitieren von Schriften der Juden und Christen.

Ein Nachfolgestreit um die zukünftige Stellung des Oberhaupts führte zu einer frühen Spaltung:

  • Die Anhänger eines Vetters und Schwiegersohn Mohammeds (Ali ibn Abi Talib, er wurde ermordet) bilden heute die Schiiten. Sie glauben an dessen Wiederkehr. Für ihn übernimmt ein Imam (geistig-politisches Oberhaupt) die geistige Herrschaft (heute im Iran, Aserbeidschan und Bahrein).
  • Für die übrigen Muslime musste der Nachfolger nicht aus der Prophetenfamilie kommen. Sie bilden die Sunniten (heute ca. 90 % der Moslems, besonders in Saudi-Arabien).

In großer Geschwindigkeit unterwarfen die Araber riesige Gebiete,

  • nachdem sich das Byzantinische Reich und das persische Sassanidenreich gegenseitig aufgerieben haben,
  • es in Spanien wegen der inneren Machtkämpfe kaum einen Widerstand gab.

Nachtrag

Unsere Religiosität ist ein zentraler Inhalt unserer Identität. Wahrscheinlich machen wir uns über sie völlig falsche Vorstellungen, da sie eine unserer möglichen Grundprägungen darstellt, die fundamental im Rahmen unseres genetischen und epigenetischen Erbes unser Dasein bestimmen. Es scheint so zu sein, dass sie jeweilige Stufen unseres in unserer Evolution gewachsenen Botenstoffhaushaltes sind.

Die älteste Identitätsstufe scheint unsere

  • religiöse Identität zu sein. Wir scheinen sie über Meditationsübungen erreichen zu können. Sozial versuchen wir sie über Rituale, Musik oder Tanz anzusprechen.

Ihr scheint die

  • soziale Identität zu folgen, unsere Gemeinschaftsbezüge. Im Alltagsleben nehmen wir sie als Heimatgefühl, Leitkultur oder Nationalismus wahr. Alle Versuche sie zu negieren, verkennen das grundsätzliche Geprägtsein des Menschen durch sie.

Danach beobachten wir eine

  • personale Identität, die Identität des Individualismus, der persönlichen Aktivierung der Glückshormone. Auch hier scheint es mehrere Stufen mit einer abnehmenden Tiefe zu geben, die der
    • Selbstverwirklichung,
    • Mode,
    • der Events und des Schoppens,
    • des Tralala.

Als letzte evolutionäre Prägungsstufe scheint es eine

  • rationale (wissenschaftliche) Identität zu geben. Sie versucht im Rahmen sozialer Logiksysteme Orientierungswege zu finden, die wir als Wahrheit empfinden.

Sich gegen alle diese Prägungsstufen zu wenden, verkennt unser Menschsein. Ihr Fehlen würde uns Orientierungslos machen.

Allgemein gesehen finden religiöse Orientierungen auf persönlichen wie auch auf sozialen Ebenen statt. Sehr gut kann man dies zurzeit bei den Juden beobachten. Auf persönlicher Ebene gibt es dort ultraorthodoxe, orthodoxe, konservative, liberale und progressive Gläubige, die sich in ihren Ansichten stark unterscheiden. Die Orthodoxen versuchen die Texte der Thora wörtlich zu nehmen und zu befolgen, unabhängig davon, dass sie einst vor 2500 Jahren geschrieben wurden und in sich voller Widersprüche stecken (z. B. Autor „ E „ und Autor „ J „). Das damalige Hauptziel der Texte in Babylon innerhalb einer 50jährigen Gefangenschaft und einem relativen Gutergehen war, eine Assimilation mit den anderen Bevölkerungskreisen zu verhindern (ein Gedanke der diese Religion noch heute prägt und der der eigentliche Hintergrund ihrer historischen Schwierigkeiten in fast allen Ländern in den ihre Anhänger lebten war und teilweise noch heute ist). Zu ihrer Eigenstellung wählten sie als Erkennungsmerkmale die Beschneidung und die Ablehnung des Schweinefleisches. Ihre heutigen Probleme sind weitgehend sozialer Art. Nachdem es ihnen gelungen war, in Palästina von den Großmächten ein Territorium zugesprochen zu bekommen, versuchen sie sich dort auf Kosten der bisherigen einheimischen Bevölkerung auszudehnen (Siedlungspolitik). Sie werden dabei von territorialen Machtvorstellungen ihrer Politiker geleitet. Unterstützt werden sie von den globalen Hegemonialinteressen der USA, für die sie den militärischen Hintergrund im ölreichen Nahen Osten darstellen. Sie sind genau genommen nur einer ihrer Stützpunkte, aufgerüstet mit Atomwaffen (die ansonsten bisher niemand von den USA erhielt) und modernstem Kriegsgerät. Von hier werden die Auseinandersetzungen zwischen den Sunniten und Schiiten geschürt und deren Bevölkerungskreise gegenseitig geschwächt. Wahrscheinlich wurde die Wahl Trumps zum amerikanischen Präsidenten weniger vom russischen Geheimdienst gefördert, sondern vom israelischen (vielleicht hat dieser den russischen nur für seine Zwecke genutzt). Vielleicht ist der Lohn für seine Wahl die Förderung der Entwicklung von Jerusalem zur Hauptstadt Israels (Botschaftsverlegung), die Förderung des Konflikts mit dem Iran (Kündigung des Atomvertrages), die Förderung der Siedlungspolitik, die Sperrung der humanen Zuwendungen für den Gazastreifen, der Druck der USA auf die europäischen Länder (besonders die BRD) sich nicht gegen israelische Interessen zu stellen. Genau genommen werden hier die engen Interessen von fanatischen, beziehungsweise auf einen wirtschaftlichen Vorteil bedachten  Gläubigen für die globalen Interessen einer Großmacht missbraucht.

Eine Kritik an einen Götterglauben setzte bereits sehr früh ein:

  • Xenophanes (von Kolophon, um 580/77 – 485/80 v. Chr.):

„Nicht die Götter schufen den Menschen, sondern die Menschen die Götter.“

  • Spinoza, Baruch de (1632 -1677):

Gott ist das Allumfassende des Seins. Die Bibel ist eine Schöpfung des Menschen.

  • Nietzsche, Friedrich (1844 – 1900):

Gott ist eine Idee des Menschen. Seine Werte und Gewissheiten sind Illusionen.

  • Einstein, Albert (1879 – 1955):

Er glaubte an eine „überlegene Vernunft, die hinter der Harmonie der Naturgesetze stände.

Götter und religiöse Inhalte sind soziale Orientierungssetzungen, Inhalte von identitäts