9.1 Setzungen, Gedanken
- Die Sprache regelt unseren Zugang zur Welt. Sie bestimmt über ihre Symbole und Struktur die Grenzen unseres sozial determinierten Denkens.
Sie ist das evolutionäre Endergebnis einer Kultur, deren Vorgaben unsere Beziehungen zu den Objekten auf einen sozialen Konsens einengt. Ihre Übertragung auf die „nichtrationale“, nicht empirische Welt ist nur im Sinne einer Verständnisannäherung möglich. Sie repräsentiert das „Metasystem“ unserer rationalen Umweltorientierung.
- Die Begriffe sind abstrakte Symbole zum Zwecke einer reduziert-funktionalen Orientierung, einer Annäherung. Eine Sprache ergibt sich aus deren Aneinanderreihung im Rahmen eines „logischen“ Denksystems, einer Grammatik als Ausdruck einer Kultur. Unsere Gedanken finden u.a. eine ihrer Grenzen in der Sprache, in der sie gedacht werden.
- Begriffe erfassen nie die vielfältige Komplexität eines Objektes. Entweder sind sie zu offen oder zu eng. Bei verschiedenen Empfängern wecken sie nie identische Bilder. Sie sind nur Annäherungsversuche gegenüber den Objekten, die sie zu ihrem Inhalt haben. Abweichungen ergeben sich aus den verschiedenen Standorten der Individuen, sei es durch deren genetische oder sei es durch deren sozialen Vorgaben. Der Begriffsinhalt zweier verschiedener Standorte ist nie identisch.
Begriffe vermögen nie eine „Wahrheit“ im Sinne einer vollständigen Erfassung eines Objektes zu vertreten. Sie wecken im Menschen nur sozial vorgeprägte Bilder, evtl. Emotionen und lösen in ihm Stoffwechselprozesse aus.
- Begriffe ohne einen Anschauungshintergrund, z.B. als Versuch eine „metaphysische Wahrheit“ zu objektivieren, sind nur ein kulturelles Spielmaterial. Sie versuchen Inhalte verständlich zu machen, für die es keine „anschauliche“ Konkretheit gibt und die deshalb mit beliebig austauschbaren Setzungen zeitgemäß modifiziert werden können. Sie tragen nichts zu einer unmittelbar existentiellen Orientierung bei (wohl zu einer sozialen).
(Der Begriff „Gott“ ist eine solche abstrakte Setzung mit einem beliebig auswechselbaren Inhalt. Jeder kann ihn mit den Bedeutungen befrachten, die ihm oder seiner Gesellschaft wichtig erscheinen).
- Begriffe schaffen Ausgrenzungen. Sie stehen zwischen den kommunizierenden Subjekten und deren Betrachtungsgegenstand. Sie repräsentieren als Abstraktionen eine symbolische Welt für sich, nicht einen Teil dieser Welt, sondern die Facette einer Kultur, d.h. des menschlichen Geistes, des „Geistes“.
Keine Aussage eines Subjektes wird von einem anderen identisch wahrgenommen, immer nur im Sinne einer (kulturell vorgeprägten) Annäherung.
- Der Geist einer Kultur ist an die Struktur einer Sprache gebunden. Sie repräsentiert die Summe der „Erfahrungen“ einer Gesellschaft, deren Daseinsentwurf. Über sie erfährt der Mensch als Sozialwesen seine Umweltorientierung. Sie prägt das Individuum, ermöglicht eine Kommunikation und ist eine Grundlage jeder sozialen Gemeinschaft.
Eine Kultur erschließt dem Menschen die Welt im Sinne einer sozialen Vorgabe. Der einzelne wird in ihren Entwurf hineingeboren.
- Eine Sprache bestimmt das menschliche Bewusstsein. Sie prägt damit seine „Natur“.
(Eine Verständigung zwischen verschiedenen Sprachsystemen ist nur begrenzt möglich, da diese unterschiedliche Denk- und Gefühlsebenen gefördert haben, denen der jeweils Außenstehende nur bedingt folgen kann, da er dem ihm fremden Sprachsystem nicht nur als ein um Verständnis suchendes Einzelwesen sondern auch als ein geprägtes Sozialwesen gegenübertritt. Jede Übersetzung kann nur ein unterschiedlich weiter Annäherungs-, Interpretationsversuch sein).
- Jede sprachliche Aussage, jeder Gedanke schaffen eine Realität, eine kulturelle Wirklichkeit. Sie kosten Energie und nehmen Einfluss auf den komplexen Energiehaushalt ihrer jeweiligen Umwelt und damit auch auf die Bewegungsflüsse im Universum.
Die Gesamtheit aller dieser Wirklichkeiten ist der „Geist“ als der nächsten, nachbiologischen Stufe der Evolution.
- Die Geschichte des Menschen spiegelt sich in der Geschichte seiner Sprache.
Sie war immer auf eine kommunikative Orientierung hin angelegt. Zunächst für einen unmittelbaren sozialen Kontakt im Rahmen einer bestimmten Umwelt, später, mit einem zunehmenden abstrakten Gehalt ihrer Symbole, verselbständigte sie sich und begann ein Eigenleben zu führen. Nach der Trennung von der Natur, setzte die Emanzipation der Individuen von ihrem sozialen Verband ein. Sie befrachteten die Begriffe mit ihren persönlichen Bildern und beraubten sie so ihrer verbindenden Funktion, eine fundamentale Grundorientierung geben zu können. Der Mensch begann sozialorientierungslos in die strukturell-geschlossene Offenheit seiner globalen Zukunft zu steuern. Er begann am Widerspruch seiner persönlichen Bedürfnisansprüche und der (z.Z. noch) nicht möglichen sozialen Lösung der damit verbundenen Probleme zu scheitern.
Der menschliche Glaube, seine persönliche Existenz dadurch zu bestimmen, dass er sein Leben selber in die Hand nahm, wich einem Gefühl sozialer Unsicherheit und individueller Ohnmacht. Der Mensch fühlte sich in die Freiheit „geworfen“, erstarrte aber in einer ohnmächtigen Angst und begann in einer Art Untergangsstimmung zu leben, zu konsumieren, während die Evolution des Abstrakten sich ruhig ihrem inneren Gesetz gemäss auf das in ihr ruhende Ziel weiter hinbewegte und anhebt ihre „objektive“ Weltherrschaft anzutreten.